Stadtteilaktivismus: Tausendmal Bürgerbündnis
wedding und moabit
Es ist eine kleine Völkerwanderung, die sich am Dienstagabend in Bewegung setzt. Mädchen mit Pudelmützen, elegante Herren in grauen Mänteln, Männer mit schwarzen Vollbärten - alle strömen in die Moabiter Universal Hall. Ein bisschen erinnert der Zug an Heiligabend, wenn viele Leute im Dunkeln in die Kirche drängen. Drinnen vertreibt lautes Trommeln jede Besinnlichkeit. Die Stühle sind besetzt, die Leute stehen in dichten Reihen am Rand.
Das Interesse ist groß an der Bürgerplattform Wedding-Moabit, die sich an diesem Abend gründet. Über zwei Jahre haben die Vorbereitungen gedauert. Nach dem Modell des amerikanischen Community Organizing schließen sich 40 Gruppen aus beiden Stadtteilen zusammen (taz berichtete). Die Plattform soll mehr sein als ein soziales Projekt neben anderen: Gemeinsam wollen die Bürger die Probleme vor Ort benennen, von den Politikern konkrete Lösungen einfordern und so der Zivilgesellschaft eine Stimme geben.
Richtig konkret wird an diesem Abend zunächst nur die Zahl der Teilnehmer. Ein Vertreter der Bilal-Moschee ruft: "Schon die Propheten haben gesagt: Man soll Schlechtes vermeiden und Gutes verbreiten. Wir sind mit 30 Leuten da." Applaus, Trommelwirbel, schon springt der Nächste auf die Bühne. "Wir wollen nicht meckern, sondern machen", schnarrt einer von der Weddinger Stadtmission. "Wir sind heute 14." Applaus.
Die Zahlen werden gefeiert wie die Zwischenergebnisse einer siegreichen Wahl. Das Publikum berauscht sich an sich selbst. Alte und Junge sind da, Männer und Frauen, Muslime und Christen, Deutsche und Afrikaner - und schaffen ein Gefühl von Gemeinsamkeit. Schließlich verkündet der Moderator: "1.150 Menschen sind heute gekommen." Da jubeln die Zuschauer und johlen.
Eine Politikwissenschaftlerin kümmert sich hauptberuflich um die Koordinierung der Plattform. Die Inhalte bestimmen die Mitglieder selbst. Ein türkischer Bäcker fordert mehr Förderung von Migranten in der Schule. "Meine Kinder sollen es besser haben als ich." Eine Pastorin klagt über die vielen Spritzen in den Büschen an ihrer Kirche. Ein Moschee-Vertreter findet Hartz-IV-Anträge zu kompliziert. "Nicht mal Jugendliche, die hier aufgewachsen sind, verstehen das."
Wie man diese Dinge ändern kann, wird am Dienstagabend nicht geklärt. Das ist Aufgabe von kleineren Gruppen. Wenn der Schwung der Gründung anhält, wird man von der Bürgerplattform Wedding-Moabit noch hören.
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