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Stadtplan für Ökoprojekte in NeuköllnGrüne Karte für Neukölln

Wer in Neukölln auf der Suche nach Ökologischem ist, kann auf der Greenmap nachsehen. Dieser Stadtteilplan erklärt auf einen Blick, wo Ökoprojekte zu Hause sind.

Naturoasen sind auch auf Stadtplänen verzeichnet - zumindest in Neukölln Bild: dpa

Die Kühe haben schlechte Laune: Das Licht zu ungewohnter Tageszeit hat sie in ihrer Mittagsruhe gestört. Unruhig scharren sie mit den Hufen, schwingen die Köpfe und brüllen so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. "Die wissen nicht, was jetzt ist - ob sie gemolken werden oder Futter kriegen", erklärt Milchbauer Joachim Mendler. Schnell knipst er das Licht wieder aus.

Seit 27 Jahren führt Mendler den Milchhof. Noch bis in die 80er-Jahre lag der Betrieb der Familie in der Schöneberger Steinmetzstraße. Mittlerweile waltet Joachim gemeinsam mit seinem Bruder Georg über rund 50 Kühe, ein paar Hühner, Ziegen und einen Pfau. In dem Hofladen wird frische Kuhmilch verkauft, die anderen Tiere sind "nur zu Anschauungszwecken", stellt Mendler klar. Schließlich schauen auf seinem Hof des Öfteren Schulklassen oder Kindergartengruppen vorbei. "Damit die Kinder mal lernen, wie ein Huhn aussieht und wo die Milch herkommt." Das zu wissen ist in einer Welt, in der die Milch aus der Packung und das Rind in unschuldigen rosa Scheiben auf den Tisch kommt, keine Selbstverständlichkeit mehr, das weiß Joachim Mendler.

Die Greenmap-Bewegung

Das Greenmap-Netzwerk entstand Mitte der 90er-Jahre. Lokale Projekte schlossen sich zusammen, um sich mit Hilfe von Karten für eine nachhaltige Entwicklung einzusetzen. Die Stadt- und Stadtteilpläne verzeichnen Orte, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, wie Parks, Recyclinghöfe und Bioläden.

Die Karten sollen auf der einen Seite als Wegweiser für Touristen und Ortsunkundige dienen. Auf der anderen Seite wünschen sich die Aktivisten eine möglichst breite gesellschaftliche Beteiligung: Dadurch, so die Hoffnung, werden die Anwohner auf Vorzüge und Missstände in ihrem Viertel aufmerksam - und setzen sich dafür ein, Letztere zu beseitigen.

Einen Aufschwung erlebte die Bewegung mit der Popularität des Internets: Die Karten werden seit 2008 zentral auf der Open Greenmap weiterentwickelt. Da die Neuköllner Initiative bereits 2003 begann, hat sie eine eigene Karte erstellt. Sie ist zu finden unter: www.greenmap-berlin.de.

Mittlerweile sind mehr als 500 Städte, Stadtteile und Dörfer beteiligt. Ein großer Teil der Greenmaps kommt aus den USA, in Europa gibt es Karten etwa in Großbritannien und in Lettland.

In grünem Arbeitsanzug und rotem Pullover steht Mendler zwischen Koppel und Kuhstall. Es ist kalt, der Atem der Kühe dampft, aber Mendler friert nicht. Seit fünf Uhr morgens ist er auf den Beinen, hat gefüttert, ausgemistet, gemolken. Jetzt ist Mittagspause, um 16 Uhr geht es wieder los. "Man fängt Montag früh an und hört Sonntagabend auf", erklärt er seine Arbeitswoche. Als Landwirt mit Leib und Seele, so sieht er sich selbst, und gleichzeitig als Exoten. Denn die Brüder Mendler haben ihren Hof weder in den Weiten Brandenburgs noch vor den Toren Berlins. Sondern in Rudow, zwischen Neubausiedlungen und Einfamilienhäusern.

Die Lage war es auch, die Peter van de Loo auffiel. Der Geograf hat gemeinsam mit einer Handvoll Mitstreitern eine Karte von Neukölln erstellt, die ökologische und klimafreundliche Projekte verzeichnet. Greenmap heißt sie, angelehnt an ein internationales System von Stadtkarten. Neukölln steht damit in einer Reihe mit São Paulo, Malmö und Edinburgh.

Einen Sommer lang liefen van de Loo und seine Kollegen in ihrer Freizeit durch Neukölln auf der Suche nach geeigneten Projekten, sie wälzten Broschüren und hörten sich im Bekanntenkreis um. Herausgekommen ist ein Stadtplan, auf dem zwar viel grau ist. Doch es finden sich ebenfalls eine ganze Menge Symbole, die auf ökologische Nahrungsmittel, Parks, Recyclingplätze hinweisen - oder auf Umweltproblembereiche.

"Wir sprechen zum Beispiel Leute an, die reisen oder in eine neue Stadt ziehen, und dort auf einen Blick sehen wollen, welche Gegenden für sie interessant sind", erklärt van de Loo das Konzept der Karten. Wer die Symbole - etwa kleine Bäume mit einem Mensch, die ein Naherholungsgebiet symbolisieren - einmal verstanden hat, soll sich überall zurechtfinden, auch ohne vorher aufwendig Reiseführer zu konsultieren.

Der Milchhof ist in der Greenmap ein kleiner Apfel. "Nachhaltige Entwicklung", erklärt die Legende das Symbol, und van de Loo fügt hinzu: "Die Produkte werden praktisch in der Stadt produziert, das spart Transportwege und schont damit das Klima." Außerdem fällt weniger Verpackung an: Wer Milch holt, bringt sein Gefäß selber mit. Wer kein Gefäß hat, bekommt eine Pfandflasche. Es ist ein kleiner Beitrag, das gibt van de Loo zu, aber ein Beitrag.

Ein paar Kilometer weiter nördlich, nahe der Karl-Marx-Straße. In einer kopfsteingepflasterteten Seitenstraße beginnt scheinbar eine andere Welt. Der Lärm des Zentrums lässt nach, die Häuser wirken ländlich, aus dem Nichts taucht ein Holzzaun auf, hinter dem Bäume und Sträucher hervorragen. Die kleinen Häuser gegenüber gehören zum Böhmischen Dorf, einer kleinen Gemeinde aus dem 18. Jahrhundert, die Bäume und Sträucher sind Teil des Comenius-Gartens. Auf der Karte ist er mit einem Smiley gekennzeichnet, der die Augen gesenkt hält und zu meditieren scheint. "Spiritueller Ort", lautet die Erklärung. Ein Garten als Ort der Ruhe.

Gründer und Geschäftsführer Henning Vierck öffnet die Pforte. Der große Mann mit dem weißen Bart wirkt deutlich jünger als jemand, der bald in den Ruhestand gehen soll. 90 Stunden pro Woche, so schätzt er, verbringt er in dem Garten und der angeschlossenen Werkstatt. "Wir wollen hier das Bewusstsein dafür schärfen, dass es Alternativen zu unserem Verhalten gibt", erklärt er das Ziel des 7.000 Quadratmeter großen Areals. Während er eine junge Frau mit Kinderwagen grüßt, erzählt er von einem Jungen, der ihn im Frühling fragte, ob es denn in diesem Jahr nur noch Blumen gebe und kein Obst mehr. "In dem Moment hat er etwas begriffen", sagt Vierck. Dass die gleichen Bäume, die vorher karg auf der Wiese standen und noch vorher Äpfel trugen, auf einmal blühten, öffne bei dem Jungen ein Bewusstsein "fürs Ganze".

Vierck legt Wert darauf, dass vor allem Kinder aus dem Bezirk den Garten nutzen. Verschiedene Schulen aus der Umgebung haben eigene Hochbeete angelegt, die sie pflegen und besuchen. "Die Kinder sammeln hier Erfahrungen, auch Klimaerfahrungen, die sie sonst nicht machen würden." Der Kern: zu lernen, wie etwas Neues geschaffen werden kann, ohne dass dafür etwas anderes zerstört wird.

1995 wurde aus der ehemaligen Brachfläche ein Garten, gefördert vom Senat und Geldern der Lottostiftung. "Er entstand zu einer Zeit, in der die Ökologie noch stärker präsent war", sagt Vierck. Ernten ist hier ausdrücklich erwünscht: Äpfel gibt es und laut Vierck "sämtliche Beerenfrüchte Europas". Zwölf Libellenarten haben sich im Laufe der Jahre in dem Teich angesiedelt, und Vierck berichtet von begeisterten Nachbarn, die vor allem im Sommer die Oase vor ihrer Haustür zu schätzen wissen. Ein Mikroklima wie das hiesige sei in Neukölln nicht so häufig zu finden.

"An bestimmten Stellen können wir mehr machen als eine große Konferenz wie jetzt in Kopenhagen", sagt Vierck und wird dann doch ein bisschen spirituell: "Die Kinder, die hierher kommen, haben einen Ferrari im Kopf. Sie kommen in diesen Garten - und die meisten haben keinen Ferrari mehr im Kopf, wenn sie gehen."

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