piwik no script img

Stadtleben vor dem G20-GipfelHamburg macht die Schotten dicht

Vor dem Gipfel herrscht Ausnahmezustand: Büros und Geschäfte schließen, der Verkehrskollaps droht. Wer kann, verlässt die Stadt.

Ein verbarrikadierter Laden in Hamburg kurz vor dem G20 Gipfel Foto: reuters

HAMBURG taz | Während Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sich müht, die Wogen angesichts des anstehenden Ausnahmezustands zu glätten, rüstet sich seine Stadt für die Chaostage. Scholz sagte letzte Woche: „Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“ – und verglich den Gipfel mit dem Hafengeburtstag, den die Stadt schließlich auch jedes Jahr ausrichte.

Doch außerhalb des Rathauses ist von der Vorfreude auf das Politereignis nichts zu spüren. Wer kann, verlässt die Stadt. Wer bleiben muss, verriegelt Fenster und Türen. Je näher der Gipfel rückt, desto deutlicher wird, wie sehr das Treffen der Staats- und Regierungschef*innen das Leben der Hamburger*innen einschränken wird.

Arztpraxen, Schulen, Schwimmbäder, Kindergärten und Banken schließen über die Gipfeltage. Darüber hinaus droht der Verkehrskollaps. Durch die sogenannten Protokollstrecken, auf denen die Staatsgäste zwischen Flughafen, Tagungsort, Hotels und Elbphilharmonie pendeln werden, sind weite Teile des Straßennetzes in den Gipfeltagen für Normalbürger*innen nicht befahrbar. Die Stadt Hamburg empfiehlt ihren Bewohner*innen, das Auto stehen zu lassen und stattdessen auf die S- und U-Bahnen auszuweichen. Doch der öffentliche Nahverkehr sei während der heißen Tage nur bedingt zu empfehlen, warnte der ADAC und verwies auf planmäßige Ausfälle sowie Störungen durch Aktionen militanter G20-Gegner*innen.

An einigen Streckenabschnitten der Bahnschienen hat die Polizei Natodraht angebracht. Auch die Bahnstation Sternschanze ist davon eingezäunt. „Man kommt sich vor wie in einem Knastkiosk“, sagt Mike Spitzer, der eine Bäckereifiliale am Gleis betreibt. Die muss er während des Gipfels schließen. „Meine Chefin sagte, sie könne die Gefahr nicht verantworten.“ Zusätzlichen Urlaub bekommt er dafür aber keinen – die zwei erzwungenen Urlaubstage gehen von seinem Jahresurlaub ab. Spitzer ist genervt: „Ich würde meine freien Tage gerne nehmen, wann ich das will.“ Doch nicht nur der Urlaubsanspruch geht flöten – Donnerstag und Freitag seien die Hauptumsatztage für den Laden. Außerdem sorge er sich um die verglasten Wände der Filiale: „Ich hab mir schon überlegt, mich in meinen Sankt-Pauli-Klamotten hier zu postieren.“

Der öffentliche ­Nahverkehr sei nur bedingt zu empfehlen, warnt der ADAC

So wüssten die Protestler, dass er einer von ihnen sei, und ließen seinen Laden in Ruhe, hofft Spitzer. Auch als Anwohner ist er vom Gipfel betroffen. Kürzlich fand er einen Infozettel der Stadt im Briefkasten – mit der Empfehlung, sich früh mit Lebensmitteln einzudecken, um Freitag und Samstag nicht zu oft das Haus verlassen zu müssen.

Auch einige Firmen legen ihren Mitarbeiter*innen nahe, zu Hause zu bleiben. Der Kosmetikkonzern Beiersdorf gewährt seinen 2.500 in Hamburg Beschäftigten am Gipfelfreitag einen Home-Office-Tag. Andere Firmen machen gleich ganz dicht: Die Lufthansa-Konzerntochter Lufthansa Technik schenkt ihren rund 7.500 Mitarbeiter*innen einen Tag bezahlten Sonderurlaub.

Viele Restaurants und Cafés müssen während der Gipfeltage allein deshalb schließen, weil die die Anlieferung von Lebensmitteln bei einigen wahrscheinlich unmöglich sein wird. Viele der Läden, die während der Gipfeltage geöffnet haben, verbarrikadieren sich dagegen aus Angst vor Straßenschlachten. Eine Karstadt-Filiale in der Innenstadt hat bereits letzte Woche ihre Schaufenster mit Holzplatten gesichert, im Laufe der Tage sollen Bauzäune hinzukommen.

Aber Geldausgeben wird ohnehin schwierig: Viele Banken lassen die Jalousien runter, die Sparda-Bank will sogar ihre Geldautomaten schließen. Die Geldinstitute haben offenbar Angst, zur Zielscheibe von Kapitalismuskritiker*innen zu werden. Die Commerzbank empfiehlt ihren Mitarbeiter*innen, in der Gipfelwoche von dem sonst üblichen Dresscode abzuweichen und den Anzug im Schrank zu lassen. Stattdessen dürften die Angestellten ausnahmsweise im „Smart Casual“-Look ins Büro kommen, wie es die Commerzbank-Sprecherin Felizia Richter ausdrückte. Jogginghose und Flip-Flops seien zwar nicht okay, sagte sie, ein „legerer Freizeitlook“ sei dagegen als Sicherheitsmaßnahme angebracht.

Aber auch im Privaten, innerhalb der eigenen vier Wände, spüren viele G20-kritischen Hamburger*innen inzwischen den Sondermodus. Sie rücken zusammen: Weil die Situation um die Protestcamps weiterhin so unsicher ist, bieten viele den anreisenden Demonstrant*innen privat Schlafplätze an. Siebener-WGs werden mal eben zu Siebenundzwanziger-WGs umfunktioniert, Dixieklos in Gärten und Zelte auf Balkons aufgebaut – Ausnahmezustand mal anders.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Es muss eine unfassbare Ehre für eine Stadt sein, derartige Gipfel ausrichten zu dürfen. Und dann erst all die Pracht und Herrlichkeit, wenn die Potentaten aus aller Welt Hof halten. Ein wenig von ihrem Glanz wird sicherlich auf die Bürgerschaft und ihre Oberhäuptlinge abstrahlen ...

  • 2G
    2284 (Profil gelöscht)

    Also bis auf die Cops, die hier wirklich an jeder Ecke rumstehen und aggressive Scheisstimmung ausstrahlen, ist alles friedlich auf St Pauli.

     

    Just saying. Bisschen mehr Ruhe und Sachlichkeit von Politik und Sicherheitsbehörden würde hier sicher helfen.

     

    Oder zumindest eine offene Kommunikation und Diksussion über rechtsstaatlich bestenfalls fragwürdiges Vorgehen.

     

    Stattdessen lassen die weiter so ne Nullnummer wie Dudde (der uns übrigens immer noch aus der guten alten Schill Zeit erhalten ist) Öl ins Feuer gießen und wundern sich, dass es immer noch nicht knallt.

     

    Nur mal so zur Einordung wer hier eigentlich was eskaliert und diesen ganzen Mist hauptsächlich zu verantworten hat.

  • Ich finde es schon heftig, wie sehr ein Teil der Bevölkerung Panik macht. Ich kann mir gut vorstellen, dass es zu Ausschreitungen mit der Polizei kommt und das sich Läden vor Sachschaden schützen, doch die Vorgehensweise bzw. der Rat der Commerzbank an ihre Mitarbeiter (bezüglich Dresscode) finde ich schon übertrieben.

    Ich verstehe auch generell nicht, warum man den G20 nicht da macht wo keiner gestört wird... Finde es unverschämt, dass eine ganze Großstadt halb lahmgelegt wird und bei den ganzen Kosten für den Gipfel, will ich gar nicht erst anfangen.

  • Was ich noch einmal betonen möchte: es ist selbstverständlich die Schuld der "Protestler und Chaoten" das es in Hamburg einen Ausnahmezustand gibt. Diese verdammten Linken.

    Ah... das tat gut.

  • Es ist traurig, das eine solche Panikmache entsteht! Ausnahmezustand, Verbarikadierung und Bankangestellte solchen sich nicht in Dresscode auf die Straße trauen. Warum wird dies alles gemacht? Ist die Angst vor linker Meinung so groß?

    Wird gleich links wieder mit Gewalt verbunden?

    Was ist mit den Neonazis? Ist das keine Gewalt? Sobald dies Hohlköpfe aufmarschieren sollte man Angst bekommen!

    Ich kann nur noch mit dem Kopf schütteln und den Demontranten in Hamburg eine laute Stimme wünschen! Lasst euch nicht unterkriegen! Macht weiter den Mund auf!