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StadtgesprächSein oder Nichtsein

Solidarität zum Jahrestag des Charlie-Hebdo-Angriffs hat den Charme staatstragender Bürgerpflicht

Rudolf Balmer aus Paris

Sein oder Nichtsein, das ist ein Jahr nach dem Attentat auf Charlie Hebdo noch immer die Frage. Der Slogan „Je suis Charlie“ (“Ich bin Charlie“) war vom künstlerischen Leiter des Magazins Stylist erfunden worden. Er wurde zur weltweit übernommenen Solidaritätsbotschaft. Wer nicht auf der Seite der Terroristen stehen wollte, bekannte sich so zur ­Freiheit.

Wie die Pariser Philosophin Sandra Laugier in Libération bezeichnenderweise erwähnt, erlaubte es diese Ichform der Solidarisierung, eine Bindung zwischen dem bekennenden Individuum und der Gemeinschaft zu bilden und mithin das Gefühl einer subjektiven ­Aktivität. Und für einmal konnte jeder und jede so den Eindruck haben, die eigene persönliche Meinung werde buchstäblich genau von (fast) allen geteilt.

Auch heute noch laufen Leute mit dem Button „Je suis Charlie“ herum, die sich persönlich betroffen fühlen. Den Slogan sieht man auch noch in Schaufenstern, wo er, absichtlich oder nicht, Werbezwecke verfolgt.

Doch der Satz blieb stets umstritten. Umgekehrt war nämlich in diesem Kontext einer seltenen Einhelligkeit der öffentlichen Meinung die Negation „Ich bin nicht Charlie“ eine Provokation, ja sie konnte sogar den Verdacht der Sympathie mit den Attentätern begründen.

Der Jahrestag des Angriffs auf Charlie Hebdo und Hyper Cacher hat den Spruch wieder aktuell werden lassen. Ein neuer, besserer oder ansprechenderer Slogan für den Appell zur Einheit wurde auch nach den barbarischen Anschlägen vom 13. November nicht gefunden. Die Medien lancierten den Begriff der „Generation Bataclan“ ohne vergleichbare Breitenwirkung. Bevor am Sonntag in Paris auf der „République“ aller Terror­opfer gedacht wird, erinnern in diesen Tagen sämtliche Medien mit Beilagen und Dokumentarfilmen an das Attentat vom 7. Januar 2015.

Charlie Hebdo selber tut dies mit einer Sondernummer im unveränderten Stil. Sie ist eine Botschaft für die Terroristen: Ihr Anschlag auf Charlie, auf die Pressefreiheit und das Recht der blasphemischen Karikatur war völlig sinnlos oder sogar kontraproduktiv! Das ist wichtig zu wissen; selbst für all diejenigen, die sich zwar spontan mit dem angegriffenen Satireblatt solidarisiert hatten, deswegen aber nicht unbedingt mit der redaktionellen Linie einverstanden sind.

Im Unterschied zu 2015, als die eine Woche nach dem Attentat als „Nummer der Überlebenden“ erschienene Nummer als gedrucktes historisches Dokument am Kiosk millionenfach verkauft wurde, hielt sich seit dem letzten Mittwoch die Nachfrage eher in Grenzen, als die Sondernummer zum Jahrestag in den Verkauf gelangte.

Trotz der Attentate vom 13. November nutzt sich die Mobilisierung zum Gedenken ab. Auf die Place de la République kommen weiterhin Leute, um Kerzen, Blumen, Zeichnungen oder ein paar Zeilen niederzulegen. Eine Gruppe von Freiwilligen kümmert sich dort darum. Sie berichten aber auch, dass es Passanten gibt, die ihnen sagen, man müsse nun endlich damit aufhören.

Die spürbare Demobilisierung hat auch mit der offi­ziellen Organisation vieler Anlässe zu tun. Die Staatsführung hat zum Kampf einen Notstand verhängt, der gerade in den politisch linken Kreisen wegen gefährlicher Vollmachten für die Polizei stark kritisiert wird. Wird die Solidarität zur staatstragenden Bürgerpflicht? Der Präsident und seine Regierung versuchen, mit ihrer Präsenz an Gedenkfeiern politisch zu ­punkten.

Die Risse in der Eintracht werden offensichtlich. Der frühere Charlie-Karikaturist Siné protestiert öffentlich, dass am Sonntag beim Hauptanlass zum Gedenken an die Opfer des Terrors ausgerechnet der Altrocker Johnny Hallyday eingeladen wurde, der auf der „République“ seinen Song „Un dimanche en janvier“ singen soll. Siné erinnert daran, dass man sich bei Charlie Hebdo immer über den „reaktionären“ Hallyday lustig gemacht habe. Der ermordete Charlie-Chef Charb sei zu den Klängen der „Internationale“ beigesetzt worden. Das durch Johnny zu ersetzen sei eine „Schande“.

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