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StadtgesprächNatalie Mayroth aus MumbaiDas Wäldchen Aarey ist die grüne Lunge der Stadt Mumbai. Muss es bald einem U-Bahn-Fuhrpark weichen?

Natürlich sind wir wütend“, sagt Manasi Jadhav, Studentin an der Universität Mumbai. Die 20-Jährige war in den letzten Wochen im Namen von Aarey auf den Beinen. An einem verregneten Sonntag im September kam sie zum ersten Mal zum Protest und an diesem Sonntag wieder. Denn die Mumbaikar sorgen sich um ihren wilden Stadtwald: Wird Aarey bald abgeholzt, um einen U-Bahn-Fuhrpark zu bauen? Das fragen sich hier viele. Mit dieser Ungewissheit wird die Bewegung größer.

Jadhav wird ernst, wenn sie anfängt, über das Thema zu sprechen. „2.700 Bäume sollen gefällt werden“, sagt sie empört. Das Gelände ist die Heimat von 16 Siedlungen von Wald­bewohner*innen. Damit sind auch die Adivasi-Familien in Gefahr, ihren Lebensraum zu verlieren. Sie haben sich dort angesiedelt, nachdem das Land nach der Kolonialzeit als Milchproduktionsstätte ausgedient hatte. Seitdem ist auf der ehemaligen Weide ein kleiner Dschungel gewachsen. Seine drohende Abholzung hat Mumbai in Streikmodus versetzt.

Der Anwalt Zoru Bhathena brachte den Fall vor Gericht. Er klagt an, dass der Wald in den letzten Jahren bereits geschrumpft ist. Jeden Monat verschwinden etwa 1.000 Bäume in Mumbai. Zu viele, findet er. Ein Gutachten brachte vor Kurzem ans Licht, dass die Abholzung zudem den internationalen Flughafen ins Überflutungsgebiet verschiebt. Das hat die Protestwelle verstärkt. Ohne den Schutz von Aarey wird der nahe gelegene Fluss bei heftigen Regenfällen zur Gefahrenquelle.

Gleichzeitig verlaufen sich immer öfter Leoparden in die Außenbezirke Mumbais. Sie sind auf der Suche nach Nahrung und schnappen sich rundgefressene Hunde. Doch die Regierung behauptet weiter, es gäbe keine Wildtiere in Aarey. Verbreitet werden diese Informationen zum Beispiel durch Zeitungsanzeigen. „Die Wahrheit, die ihr wissen sollt“, lautet die Überschrift einer dieser Annoncen. Damit versucht sie, das Engagement der Aktivist*innen mit falschen Fakten zu untergraben.

„Das ist ein Haufen von Unwahrheiten, der veröffentlicht wurde“, sagt Bhathena, der sich seit 2016 für Aarey einsetzt. Aarey ist eine umweltsensible Zone, daran ändere sich nichts, selbst wenn die Regierung das Land umdeklariere. Ähnlicher Meinung sind Manasi Jadhav und ihre Kommiliton*innen, die Aarey, so wie fast jeder, der in Mumbai aufgewachsen ist, mindestens einmal mit der Schule besucht hat.

Jadhav glaubt nicht, dass für jeden abholzten Baum zwei neue gepflanzt werden, wie die Regierung beteuert. „Wenn sie ihr Infrastrukturprojekt wollen, dann sollen sie sich einen anderen Ort suchen“, sagt sie. Sie macht sich Sorgen um die Zukunft: „Was bleibt, wenn wir jetzt nicht nachhaltig handeln?“ Neben den Studierenden kommen auch immer häufiger Lehrer*innen zu den Waldrettungsaktionen. „Einige meiner Schüler haben einen Protest mitveranstaltet“, sagt Anjali Masarguppi, die am Wilson College Wirtschaft unterrichtet. Sie gehe mit, um ihre Schüler zu unterstützen.

Mit den steigenden Bauvorhaben der letzten Jahre und der massiven Luftverschmutzung bildet sich langsam ein Umweltbewusstsein. Die Natur so zu belasten, nur weil das Land verfügbar ist, hält Masarguppi für unüberlegt. „Indien ist sehr anfällig für Umweltprobleme“, sagt sie. Das zeigt sich gerade wieder in der Regenzeit, die Mumbai besonders heftig heimsucht. Im Rachana-Sansad-College verfolgt Prerna Thacker dagegen einen anderen Weg. Sie versucht, Lösungen im Kleinen zu finden, um so die Universität umweltfreundlicher zu gestalten. „Wir wollen bei uns selbst anfangen, anstatt anderen zu sagen, was sie besser machen sollen“, erklärt Thacker.

In Mumbai kennen viele Fridays for Future nicht, das hindert sie aber nicht daran, sich für ihren Wald einzusetzen. Helfen kann den Aktivist*innen, dass die Politik das Thema für sich entdeckt hat: Selbst die angeschlagene Oppositionspartei Kongress zeigte sich aktiv und rief mit einer Baumzeremonie Götter an, den Wald zu retten. Auch Politiker*innen lokaler Parteien setzen sich für den Wald ein. Nicht ganz unwichtig ist bei der plötzlichen Liebe zur Natur, dass in vier Wochen Kommunalwahlen anstehen. Ob göttliches Eingreifen oder das Gericht den Wald retten kann, wird sich zeigen.

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