StadtgesprächMartin Fritz aus Tokio: Zwei unerwartete HeldInnen beleben den Wahlkampf in Japan. Eine ist schon tragisch geendet
Vor vier Wochen sah in Japan alles nach einem langweiligen Wahlkampf aus. Denn die Liberaldemokraten (LDP) des nationalistischen Premierministers Shinzo Abe, die nach einem alten Bonmot weder liberal noch demokratisch sind, dominieren die Politik des Landes seit bald fünf Jahren dermaßen, dass nur noch die Hälfte der Japaner wählen geht.
Der Schachzug von Abe, die Neuwahl des Parlaments um mehr als ein Jahr auf diesen Sonntag vorzuziehen, war gut durchdacht. Zwar hatte die angebliche Begünstigung von zwei politischen Freunden seine Beliebtheitswerte in den Keller geschickt. Aber dann schoss Nordkorea zwei Raketen über Japan hinweg. Dank seiner guten Beziehungen zum „Japan-Beschützer“, dem US-Präsidenten Donald Trump, stieg Abe wieder in der Achtung vieler Japaner. Sein Sieg – und die Langeweile – schienen sicher.
Doch dann wurden zwei Lehrstücke aufgeführt, die Japan elektrisierten. Erst sprang Yuriko Koike auf die Bühne. Die 65-jährige Gouverneurin von Tokio gründete aus dem Stand ihre „Hoffnungspartei“ und positionierte sie als konservative Alternative zur LDP. Nach ihrem Sieg bei der Kommunalwahl im Juli witterte Koike die Chance, selbst Premierministerin zu werden. Aber sie schätzte die Japaner falsch ein.
Tausende machten ihr per E-Mail und auf dem in Japan extrem beliebten Twitter-Dienst die Hölle heiß. Sie solle sich gefälligst um die Belange der Hauptstadt kümmern, donnerten die User. Schließlich sei Koike gerade erst zur Gouverneurin gewählt worden. Das saß: Bei ihren wenigen Auftritten im Wahlkampf geriet die sonst eloquente Frau mehrmals ins Stocken. Bald verzichtete sie auf die eigene Kandidatur und ließ ihre 200 Kandidaten im Regen stehen. Der Stern der Hoffnungspartei verglühte, bevor er aufgegangen war.
Auftritt Yukio Edano. Sein Gesicht ist weltweit bekannt, seit er während der Fukushima-Katastrophe im Frühjahr 2011 als Kabinettssprecher täglich im blauen Arbeitsanzug vor die Kameras trat. Deswegen wollten die Japaner ihn eigentlich auch nicht mehr sehen. Aber das Blatt hat sich gewendet: Plötzlich verkörpert Edano die Hoffnungen all jener, die die „Japan ist wieder da“-Rhetorik von Abe satthaben.
Und das kam so: Gouverneurin Koike hatte den Vorsitzenden der oppositionellen Demokratischen Partei (DP), Seiji Maehara, überredet, mit allen Abgeordneten zur Hoffnungspartei überzulaufen. Doch dafür mussten sie ein Papier mit konservativen Positionen unterschreiben, etwa einer Verfassungsreform zu Lasten des Pazifismus. Plötzlich standen die Liberalen und Linken der DP auf der Straße.
In dieser Lage zauberte ihr Vizechef Edano die Konstitutionelle Demokratische Partei (CDP) aus dem Hut. Über Nacht wurde sie zum Sammelbecken für jene Kräfte, die sich ein weltoffenes und sozial gerechtes Japan wünschen.
184.000 Japaner folgen der CDP inzwischen auf Twitter, ein Drittel mehr als der Abe-LDP. „Zeig’s ihnen!“, feuern sie ihren Helden an. Per Hashtag verbreitete sich der Spitzname „Edanon“. Im Japanischen klingt das so niedlich wie die Namen jener Maskottchen, die Städte und Organisationen zur Werbung benutzen. Besonders seine großen Ohrläppchen begeistern viele User.
Aber viele blieben politisch. So heimst Edano viel Lob dafür ein, die Probleme des Landes offen beim Namen zu nennen, statt nur den Gegner zu kritisieren. Zwar ist die Wirtschaft des Landes in Hochform, aber viele Japaner klagen über niedrige Löhne, soziale Unsicherheit und wachsende Ungleichheit. Mit seinem Schlachtruf „Nicht rechts, nichts links, sondern vorne!“ spricht er die Unzufriedenen an.
Jüngste Umfragen sehen die CDP als stärkste Oppositionspartei, obwohl sie nur in jedem vierten Wahlkreis Kandidaten hat.
Ihre Gründung geht auf eine Anregung des nationalistischen Manga-Zeichners Yoshinori Kobayashi zurück. Er gehört zu jenen rechten Japanern, die Abe wegen seiner Pro-USA-Politik verachten. Auf einer CDP-Kundgebung forderte Kobayashi jetzt den abtrünnigen DP-Chef Maehara und die Tokioter Gouverneurin Koike scherzhaft zum rituellen Selbstmord auf, da sie den Wahlsieg von Abe zu verantworten hätten.
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