Stadtgespräch Jürgen Vogt aus Buenos Aires: In Argentiniens Hauptstadt wird versucht, Müllgestank mit Zitronenduft zu überdecken. Dazu hört unser Autor politische Analysen beim Hundespaziergang
Neulich zieht mich meine Hündin Pinky beim Gassigehen mit aller Kraft in Richtung des Müllcontainers am Straßenrand. „Na, duftet er schon nach Zitrone?“, ruft jemand uns von hinten zu. Es ist das Herrchen mit dem Boxer-Rüden aus der Parallelstraße, der Pinky freudig begrüßt. „Warum sollte er?“, frage ich erstaunt zurück. Nun, weil der Bürgermeister angeordnet habe, dass alle 33.000 Müllcontainer in der Stadt mit Zitronenduft behandelt werden sollen, erklärt er mir. „Ab sofort soll Buenos Aires im Sommer nach Zitronen duften“, meint das Boxer-Herrchen.
„Wir wissen, dass in den heißen Sommermonaten der Geruch von Müll intensiver sein kann als zu anderen Zeiten des Jahres. Deshalb ergreifen wir diese Initiative, um mögliche schlechte Gerüche aus den Müllcontainern zu neutralisieren“, erklärte der Minister für öffentlichen Raum und Stadthygiene. Im Rahmen des „intensiven Desodorierungsprogramms“, wie es offiziell heißt, werden die städtischen Hygienemitarbeitenden mit einem 16-Liter-Sprührucksack unterwegs sein, um die geruchshemmende Flüssigkeit Odormatic auszubringen, die zugleich einen frischen Zitronenduft verbreite, heißt es in der Verlautbarung.
Er habe das gleich gegoogelt, sagt das Boxer-Herrchen und zeigt auf sein Handydisplay. „Die geruchshemmende Flüssigkeit basiert auf einer kombinierten Formel aus Enzymen, die die geruchsbildenden Bedingungen aufgrund der Zersetzung von organischen Verbindungen verändert“, liest er vor. Und fragt dann skeptisch: „Sollen wir ernsthaft glauben, dass der Bürgermeister dieses teure Zeug gekauft hat? Für mich ist das Wahlkampfgeklingel, der Jorge Macri greift doch nach jedem Strohhalm, um sich zu profilieren“.
In der Hauptstadt Buenos Aires ist rechts von der politischen Mitte ein heftiger Machtkampf entbrannt. Der Aufstieg des Libertären Javier Milei hat das Gefüge im rechten Lager erschüttert. Der autonome Stadtstaat ist immer noch die politische Hochburg des konservativen Ex-Präsidenten Mauricio Macri und seiner Partei PRO. Aber es ist auch seine einzige verbliebene Bastion. Mauricio Macri war von 2007 bis 2015 Bürgermeister und sein Cousin Jorge Macri ist seit 2023 im Amt. Wenn im Juli die Hälfte der 60 Abgeordneten des Stadtparlaments gewählt wird, könnte Mileis Partei La Libertad Avanza stärkste politische Kraft werden. Es wird der erste wichtige Urnengang vor den Teilwahlen zum Kongress im Oktober sein und ein landesweites Signal aussenden.
Damit den Macris die Wähler nicht weglaufen, gibt sich der Bürgermeister nun das Image des oberstes Saubermanns der Stadt. „Zuerst hat er die Obdachlosen vertrieben“, meint das Boxer-Herrchen. Vor Monaten wurden die Obdachlosen nachdrücklich aufgefordert, die Nacht in den Notunterkünften der Stadt zu verbringen oder die Stadt zu verlassen. Dann wurden die fliegenden Händler mit Razzien von den großen Plätzen vertrieben, und jetzt soll alles nach Limonen duften. „Es kommt noch so weit, dass er unseren Hunden wegen Geruchsbelästigung das Pipimachen verbietet“, schimpft er.
„Das kann er gar nicht“, wirft ein Frauchen mit Pudel ein und gesellt sich zur Runde am Müllcontainer. Hundebesitzer seien ja auch Wähler, und Präsident Javier Milei habe vier Hunde in der Präsidentenresidenz. Und überhaupt – dieser charismafreie Stadtregierungschef könne sich neben dem Hans-Dampf-in-allen-Gassen-Präsidenten doch gar nicht profilieren, sagt sie. „Macri kann sich bei uns nicht den kleinsten Fehltritt erlauben, sonst wählen wir Mileis Kandidaten“, fügt sie hinzu.
Es scheint, als habe Pinky genug von unseren Analysen und zieht in Richtung des kleinen Vorgartens an der Straßenecke. Dort blühen stets einige Blumen, es riecht nicht nach Müll oder falschem Zitronenduft. Dort schnüffelt sie gerne. Ich vermute, das liegt daran, dass hier geruchsmäßig jeder Vierbeiner aus unseren Viertel Pipi macht.
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