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StadtgesprächDaniel Zylbersztajn aus LondonUmweltschützer blockieren Straßen und protestieren so gegen den Klimawandel. Die Autofahrer nehmen das hin

Nick Cooper steht am Straßenrand der Riesenkreuzung des „Elephant and Castle“ in Südlondon in einer grellfarbenen Verkehrssicherheitsweste und hat Flugblätter in der Hand. „Gewaltfrei!“ steht da drauf. An der Ampel neben ihm lehnt ein Schild mit den Worten „Entschuldigung, es dauert nicht lange.“

Der vollbärtige Schuhmacher aus dem nördlichen Northampton soll Autofahrer, die im Verkehr wegen des Protestes, zu dem er selber gehört, nicht vorankommen, besänftigen. „Eigentlich darf ich gar nicht hier sein“, gesteht der 36-Jährige. Am Vortag war er Teil der anderen Gruppe von Leuten, die gegenüber von ihm ein etwa zehn Meter langes grünes Banner halten, auf dem „Rebelliere fürs Leben“, steht.

Die Gruppe läuft gerade bei Grün über die Straße und bleibt dort mit dem Banner sieben Minuten lang stehen, um so den Verkehr temporär zu stoppen. Nach sieben Minuten ziehen sie wieder ab und lassen die Wagen passieren. „Die Straßen fluten“ nennt die Klimaschutzgruppe „Extinction Rebellion“ ihren Protest, den sie seit Mittwoch parallel mit verschiedenen Gruppen an Londoner Verkehrskotenpunkten durchführt.

Schon seit zwei Wochen organisiert sie ähnliche Aktionen, zu denen auch kurzfristige Besetzungen des Umweltministeriums oder der brasilianischen Botschaft gehörten. Die meiste Zeit schaut die Metropolitan Police dabei zu. Auch heute steht eine Gruppe uniformierter Beamter am Straßenrand, greift aber nicht ein.

Trotz seines Bekenntnisses zur Gewaltfreiheit und seiner ruhigen Art erhielt Cooper eine Verwarnung der Polizei. Er erklärt: „Wegen meiner gestrigen Beteiligung stehe ich unter einem polizeilichen Verbot, mich in London aufzuhalten.“ Er ist trotzdem gekommen. Mit seiner Aufgabe der „Deeskalation“ fühlt er sich sicher. „Mit dieser kleinen Störung des Londoner Wirtschaftsgeschehens wollen wir auf die Lage der Umwelt hinweisen.“ Cooper gesteht, er wisse nichtnicht weiß, ob das etwas bringe und richtig sei, aber man müsse irgendwas tun.

Unter den im Verkehr stecken gebliebenen Londoner Autofahrer*innen gibt es viel Verständnis, auch wenn hin und wieder mal jemand schimpft. Paul Carley, 27, sitzt in einem Kleintransporter. „Die Stadt, ja die Welt ist zu verdreckt, allein schon die Luftverschmutzung in London ist massiv, die Regierung sollte endlich eingreifen.“

Die Londonerin Ada Bamisedun, 44, die vergeblich auf ihren Bus an der Haltestelle wartet, hat Verständnis. „Das stört zwar ein bisschen, aber die Klimaveränderung hat Konsequenzen für jeden und wir müssen alle an einer Verbesserung arbeiten“, sagt sie.

Als von hinten plötzlich ein Krankenwagen mit Blaulicht heranfährt, lassen die Aktivist*Innen ihn passieren. Sie sind alle ganz unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft und verhalten sich still. Der Rentner Phil Kingston, 82, ist seit zehn Tagen dabei und eigens aus Bristol angereist. „Ich habe vier Enkelkinder und bin wegen ihrer Zukunft hier“, erklärt er.

Annie Risner, 21, ist erst seit Kurzem dabei. Die Universitätsstudentin im Fach Klimaforschung spricht von dem Frust, der sie auf die Straße getragen habe. „Was die Umwelt gefährdet und dass man etwas dagegen tun muss, ist bekannt, doch die Politik reagiert nicht in ausreichendem Maße. Nur durch lokale oder nationale Regierungsentscheidungen kann sich etwas ändern.“

Sian Berry, grüne Abgeordnete des Londoner Stadtrats und nationale Kovorsitzende der Partei, begrüßt die Erstürmung einer Ratssitzung durch die Gruppe Extinction Rebellion. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan gibt sich verständnisvoll, die Proteste müssten aber im rechtlichen Rahmen bleiben. „Ein globaler Temperatur­anstieg von über 1,5 Grad muss verhindert werden!“ Mit einem 500-Millionen-Paket will er in kohlenstoffarme Technologien investieren und tue so allein in London mehr als die nationale Regierung. „Höchste Zeit, dass auch Minister durchstarten“, sagt er.

Am Samstag will Extinction Rebellion sich zum zweiten Mal vor dem britischen Parlament versammeln, um dort eine Trauerveransaltung für die Umwelt abzuhalten. Weitere Aktionen der gut organisierten Kampagne sind geplant.

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