Stadtführer über Celle im Nationalsozialismus: Stadt der "Hasenjagd" erinnert sich
Ein Celler Stadtführer benennt Orte nationalsozialistischer Gewalt. Ein lokalhistorisches Kapitel, das bis vor wenigen Jahren beharrlich totgeschwiegen wurde.
Celle - wer sich für links hält und den Namen dieser niedersächsischen Fachwerkstadt hört, dem fallen meist nicht besonders positive Dinge ein. Mit einem vom Verfassungsschutz initiierten Bombenanschlag auf das Gefängnis, der unter dem Namen "Celler Loch" bekannt wurde, sollten einst Informanten in die RAF eingeschleust werden.
Ansonsten hatte Celle nicht zuletzt wegen seines Umgangs mit der lokalen NS-Geschichte lange den Ruf, eine Hochburg der Ewiggestrigen zu sein. Das gerade erschienene Buch "Celle im Nationalsozialismus" zeigt, wie sich dort die braune Ideologie ausbreitete und wie nach 1945 daran erinnert wurde.
"Erinnerung bedarf der Konkretisierung, und die erfolgt immer im Kleinen, also in der unmittelbaren Lebensumwelt." Dieses Zitat des Historikers Wolfgang Benz bildet das Motto für die Autoren Reinhard Rohde und Tim Wegener. Sie bieten seit vielen Jahren immer am 8. April und am 9. November Rundgänge durch die Innenstadt zu den Orten der lokalen NS-Geschichte an und haben nun einen schriftlichen Stadtführer vorgelegt.
Wo hatten SS, NSDAP und Gestapo ihren Sitz, wo befand sich der Adolf-Hitler-Platz, wo traf sich die Hitler-Jugend, fragen sie darin - und geben auch die Antworten. Vielfach werden Gebäude und Plätze auf Fotografien aus der damaligen Zeit abgebildet, und da Celle im Krieg kaum zerstört wurde, findet man viele dieser Orte bis heute kaum verändert vor. Wichtiger sind die Informationen in den jeweiligen Kapiteln über die nationalsozialistische Entwicklung in Celle. Dort lag schon 1932 bei den Wahlen die Unterstützung für die NSDAP höher als im Reichsdurchschnitt.
Nach der nationalsozialistischen Regierungsübernahme profitierte die Garnisons- und Juristenstadt in besonderer Weise durch den Bau neuer Kasernen und die Ansiedlung des Erbgesundheitsobergerichts sowie des preußischen Landeserbhofgerichts. Zudem wurde die Mitteldeutsche Spinnhütte als Herstellerin von Fallschirmseide zum wichtigsten industriellen Arbeitgeber der Stadt ausgebaut. Die lokalen Machteliten blieben nach 1933 weitgehend im Amt, dienten sich den Nationalsozialisten an und organisierten die Verfolgung der jüdischen Einwohner.
Gleichzeitig wuchs Celles kulturelle Bedeutung in der NS-Zeit: Das fast 50 Jahre lang ungenutzte Schlosstheater wurde 1935 wieder eröffnet. Justiz und Polizei, Gleichschaltung und Gefolgschaft, Widerstand und Opposition, Zwangsarbeit und Mord - in diesen Kapiteln beschreiben die Autoren anhand konkreter Orte, wie Celle zu einer nationalsozialistischen Stadt wurde. Auch das Schicksal der Celler Juden ist Thema.
"1975 wurde in Celle ein jüdisches Leichenhaus abgerissen. Wer sich in dieser Zeit kritisch mit der Celler NS-Vergangenheit auseinandersetzte, der wurde als Nestbeschmutzer beschimpft. Wie war sowas möglich?", lautete kürzlich eine der Fragen bei einer Diskussion anlässlich der Vorstellung des Buches.
Und während sich in SPD-regierten Städten Anfang der 70er Jahre lokale Initiativen auf die Spur ihrer NS-Geschichte begaben, dauerte es im CDU-dominierten Celle bis 1983. Damals löste ein vom damaligen Celler OB gefördertes bundesweites Stahlhelmtreffen starke Proteste aus und gab den Anstoß für die nähere Beschäftigung mit der Zeit von 1933 bis 1945. In den ersten damals erschienenen kritischen Schriften spielte ein zentraler Tag noch kaum eine Rolle - der 8. April 1945, als bei einem Fliegerangriff auf den Celler Bahnhof Züge mit KZ-Häftlingen bombardiert wurden, die ins benachbarte Bergen-Belsen transportiert werden sollten. Viele konnten sich befreien, mindestens 170 von ihnen wurden danach von Celler Polizisten, SS-Männern und Zivilisten in der Stadt umgebracht. Das Massaker ging als "Celler Hasenjagd" in die Geschichte ein.
Wie sich die Erinnerung an diesen lange verschwiegenen Tag entwickelt, wie sich über 5.000 Celler in den 60er Jahren mit ihrer Unterschrift für einen am Tod von Tausenden behinderter Kinder verantwortlichen Arzt in den 60er Jahren einsetzen: Auch diese Themen werden behandelt, wenn auch das Kapitel über die Erinnerungskultur recht knapp ausfällt.
Insgesamt ist es ein aufwändig illustriertes und spannend geschriebenes Buch, das für die späte Aufarbeitung einen Grund nennt, der in vielen Kleinstädten gelten dürfte: "In einer überschaubaren Stadt wie Celle wäre die Beschäftigung mit Tätern über viele Jahre für Familien und Milieus eine sehr schmerzhafte gewesen. Deshalb muss es nicht verwundern, dass diese Auseinandersetzung auf wissenschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene erst seit wenigen Jahren stattfindet."
Inzwischen wurden Stolpersteine für ermordete Celler Juden verlegt und Straßen umbenannt, die die Namen lokaler Größen trugen, die einst für die Judenverfolgung mit verantwortlich waren. Celle will wieder eine normale Stadt werden.
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