piwik no script img

Stadtentwicklung in NordafrikaMaghrebinische Begegnungen

Neue Wege der Stadtentwicklung für und aus Tunesien, Algerien und Marokko. Ein Projekt der Bosch Stiftung und der Europäischen Akademie.

Perspektiven für junge Menschen entwickeln – eine Anforderung in allen drei Maghreb-Ländern. Foto: imago/Chokri Mahjoub

Wenn das Rathaus im tunesischen Sousse, das gerade gebaut wird, eine Kopie der Zentrale der Heinrich-Böll- Stiftung in Berlin wird, dann liegt das an dem Projekt „Baladiya, neue Wege in der Stadtentwicklung“. Die Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung gehört zur ökologischen Avantgarde: hochinnovative Technik, niedriger Energieverbrauch. Khaled Ben Abdessalem hat sich in das Haus bei seinem Berlin-Aufenthalt im Rahmen des Projekts Baladiya verguckt: Nun hat es der Stadtplaner in einem technischen Büro von Sousse für seine Heimatstadt als Modell für den anstehenden Rathausneubau durchgesetzt.

In Sousse, der Stadt am Meer, trafen sich Teilnehmer aus Tunesien, Marokko und Algerien, um über Stadtentwicklung, Demokratie und Partizipation zu diskutieren. Es ist eine Initiative der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit der Europäischen Akademie in Berlin. Ein Projekt, das nach dem Arabischen Frühling und der verstärkten Kooperation Deutschlands mit Tunesien entstand. In Sousse trifft sich bereits die dritte Generation von Teilnehmern mit der zweiten Generation. Das Projekt ist pro Durchgang auf zwei Jahre angelegt mit Vorbereitungsseminar in Nordafrika, mehrwöchigem Aufenthalt mit Seminaren und Besuchen in Deutschland sowie einem Abschlussseminar in Nordafrika.

Khaled Ben Abdessalem, Teilnehmer des zweiten Durchgangs, überlegt, was ihm der Aufenthalt in Berlin außer der Idee für das energiesparende Rathaus gebracht hat: „In Ländern wie Tunesien fürchtet man die Mitbestimmung der Bevölkerung. In Berlin ist uns klar geworden, dass deren Beteiligung sehr wichtig ist, um Projekte umzusetzen. Der Aufenthalt hat uns auch geholfen bei der Auswahl von Projekten. Ganz oben steht nun der Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Fußgängerwege und Fahrradwege.“ Radwege für Sousse? Ein absolutes Novum in Tunesien.

Netzwerke entwickeln

Fezjeri Saloua, Dozentin für Architektur und Stadtplanung in Tunis, arbeitet dank Baladiya mit anderen Methoden: „Entscheidungen, die im Austausch mit den Bewohnern der Viertel getroffen werden, lassen sich viel besser umsetzen. Das fasziniert auch meine Studenten. Das ist neu für uns, da wir in Tunesien immer mit französischen Verwaltungsmethoden, also formellen, starren Hierarchien gearbeitet haben.“

„Wenn Leute konkret etwas machen, lernen sie sich kennen“, sagt Eckart Stratenschulte, Leiter der Europäischen Akademie in Berlin. „Es geht bei Baladiya um enenergieeffiziente Städte, ein Problem, das uns alle betrifft. Unser Projekt ist ein Mosaikstein des Austauschs.“

Die Zusammenarbeit mit dem Maghreb zu stärken ist auch das Motiv der Geldgeber von der Robert Bosch Stiftung. „Mit Experten lässt sich konkret arbeiten und diskutieren“, sagt Irene Weinz von der Robert Bosch Stiftung. „Für das Thema Stadtentwicklung hatten wir schnell die GIZ und die Europäische Akademie im Boot.“

Doch die Zusammenarbeit mit den drei Maghreb-Ländern hat sich erst allmählich entwickelt. „Beim ersten Durchgang mit Marokkanern und Tunesiern wurde von den Teilnehmern ausdrücklich der Wunsch geäußert, Algerien, also das Land dazwischen, miteinzubeziehen.“

Dounia Cherfaoui, Architektin und Stadtplanerin aus Algier mit hervorragenden Deutschkenntnissen, weiß das zu schätzen: „Wir haben viel untereinander zu diskutieren, und vor allem hilft uns das Projekt, praxisorientierte Netzwerke zu schaffen.“

Auch der Marokkaner Abdelkarim El Khadri, zuständig für Verkehrsentwicklung in Casablanca, betont den positiven Effekt eines Netzwerks untereinander: „Wir bringen uns gegenseitig auf Ideen, helfen uns bei anstehenden Fragen, denn wir haben ähnliche Probleme.“

Eines davon, das hier eigentlich keine Rolle spielt, ist der Terrorismus. Im tunesischen Sousse hat der den Tourismus aus Westeuropa fast zum Erliegen gebracht. Gekommen sind dieses Jahr Russen und Algerier. Beim Reisen ist man im Maghreb zusammengerückt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Europa sagt wieder mal Afrika, was es zu tun hat.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Interessant auch die Aussage der Dozentin aus Tunis "...Das ist neu für uns, da wir in Tunesien immer mit französischen Verwaltungsmethoden, also formellen, starren Hierarchien gearbeitet haben.“

      Immer? Ich würde meinen das immer meint die letzten Jahrzehnte. Vor der Kolonialisierung des Maghrebs hatten die Menschen ihre eigenen Methoden.

      Aber die heutigen Eliten dieser Länder sind im System großgeworden, welches ein Denken außerhalb des Kolonialsystems nicht vorsieht. Französisch ist bis heute die Sprache an den Hochschulen. Und das obwohl die erste Universität der Welt in Fes gegründet wurde. Zur Zeiten als man in Europa noch eine Abneigung gegen Körperhygiene hatte....

      Traurig.

      Empfehle sehr die Lektüre des frühen Albert Memmi "The Colonizer and the Colonized"

  • Das Foto ist exemplarisch. Die Jungs gehen zuerst in den Raum. Die Mädchen warten solange brav draussen, bis sie dann auch rein dürfen. Hochinnovative Technik, Seminare und Stadtplanungen ändern diese Denke nicht. Überkommene alte Gesellschaftstrukturen lassen sich nicht wegzaubern durch vorgegaukelte Modernität.