Stadtbild-Debatte: Forderung nach einer solidarischen Stadt
Wer über über das Stadtbild spreche, müsse auch Armut erwähnen, sagen SPDler. Ein Unionspolitiker erteilt ihren Forderungen keine direkte Absage.
Es ist der Versuch, sich einer Debatte zu ermächtigen, die ein anderes Ziel hatte: Mehrere SPD-Abgeordnete fordern einen Gipfel im Kanzleramt zu der Frage, wie sich das Zusammenleben in deutschen Städten solidarischer und sicherer gestalten lässt. Damit wollen sie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) etwas entgegensetzen, der sich über das „Stadtbild“ in Deutschland beschwert und mehr Abschiebungen in Aussicht gestellt hatte. „Unser Beitrag soll helfen, die Debatte zu versachlichen“, sagte der SPD-Abgeordnete und Initiator des Acht-Punkte-Papiers, Adis Ahmetović, der taz.
In ihrem als „Debattenbeitrag“ überschriebenen Programm sprechen die Abgeordneten von „Herausforderungen“ in den deutschen Städten. „Aber Friedrich Merz benennt das falsche Problem.“ Die Ursachen lägen in der Wohnungsnot, der Verwahrlosung öffentlicher Räume und dem Fehlen sozialer Infrastruktur, heißt es dort. „Wer die Debatte auf Asyl, Flucht und Migration verengt, verhindert Lösungen.“ Die zehn SPD-Abgeordneten fordern, mit Merz und Vertretern kommunaler Organisationen über ein „soziales, sicheres und solidarisches Stadtbild“ zu diskutieren.
„Den Kanzler stören im Stadtbild Migranten ohne dauerhaftes Aufenthaltsrecht, die sich nicht an unsere Regeln halten“, sagte Ahmetović der taz. Dieser Argumentation kann der SPD-Abgeordnete durchaus etwas abgewinnen. „Natürlich können nicht alle Menschen, die in den letzten Jahren gekommen sind, bleiben“, so Ahmetović. „Insbesondere diejenigen, die hier ohne Aufenthaltsrecht sind und Straftaten begehen, müssen wir abschieben.“ Doch Ahmetović fordert zusammen mit seinen Kolleg*innen weitere Maßnahmen. In ihrem Acht-Punkte-Papier sprechen sie sich neben besseren Beleuchtungssystemen und abgestimmten Sicherheitskonzepten dafür aus, Städte durch Grünanlagen lebenswerter zu machen, Einkaufsstraßen wiederzubeleben, für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen und gegen Obdachlosigkeit vorzugehen. „Soziale Vielfalt in unseren Innenstädten ist die Grundlage für Sicherheit, Zusammenhalt und Lebensqualität.“ Außerdem fordern die Abgeordneten, Städte ökologischer zu gestalten und vielfältigere Nutzungsmöglichkeiten von Gebäuden zu ermöglichen, um bloße „Konsummeilen“ zu verhindern.
Klaus Mack, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Kommunalpolitik in der Unionsfraktion, erteilte dem Vorstoß seiner Koalitionspartner zumindest keine direkte Absage. „Wenn ein stadtpolitischer Gipfel mehr als nur ein Gedankenaustausch sein soll, müssen dabei die grundlegenden Probleme der Kommunen angepackt werden“, sagte er der taz. „Die Kommunen sind strukturell nicht mehr in der Lage, die Aufenthaltsqualität ihrer Innenstädte zu gestalten, weil ihnen die finanziellen Mittel dazu fehlen.“ Er forderte eine „auskömmliche Finanzaustattung“ für die Städte durch Bund und Länder, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können.
Das Thema Obdachlosigkeit
Weniger gesprächsbereit zeigte sich der Fraktionsgeschäftsführer der Unionsfraktion Steffen Bilger. Er sagte gegenüber der Bild-Zeitung, der Kanzler habe die Problemlage klar benannt, eine weitere Erörterung sei nicht nötig. Für Gespräche über „eine noch konsequentere Innenpolitik“ stehe man aber jederzeit bereit.
Der SPD-Abgeordnete Ahmetović sieht in dieser ablehnenden Haltung ein Zeichen. „Die Union ist wohl noch nicht so weit, abseits von Emotionen das Thema auch rational und inhaltlich zu behandeln“, sagte er. „Ein gemeinsamer Plan der Regierung und Koalition wäre angebracht im Sinne unseres Landes.“
Ähnlich sieht es auch Sabine Bösing, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG). Sie begrüßt, dass die SPD-Abgeordneten auch das Thema Obdachlosigkeit ansprechen, wenn sie über die Situation in den Innenstädten sprechen. „Es muss darum gehen, dass alle Menschen, die in den Städten leben, die entsprechenden Angebote vorfinden, die ihre Situation verbessern“, sagte sie. An einem Gipfel nähme die BAG gerne teil.
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