Staatsumbau in Israel: Netanjahus Machtprobe
Das israelische Kabinett stimmt einem Misstrauensantrag gegen die unbequeme Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara zu. Die Justiz wehrt sich.

Dass das die Regierung beeindruckt, bezweifeln hingegen viele der Protestteilnehmer – insbesondere nachdem Regierungschef Benjamin Netanjahu am Freitag angedeutet hatte, einen Gerichtsentscheid gegen die Entlassung von Ronen Bar, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet, nicht akzeptieren zu wollen. „Wenn die Regierung selbst das Recht bricht, dann darf sie nicht an der Macht bleiben“, sagt die 32-jährige Hail.
Der Ernst der Lage wurde an den Massenprotesten gegen die Entlassungen – mit mehr als 100.000 Teilnehmern die größten seit Monaten – und der fast zeitgleichen Wiederaufnahme des Gazakriegs am Samstag deutlich. Wenig beruhigte auch die Versicherung von Netanjahu am Samstagabend, in Israel werde es „keinen Bürgerkrieg geben“. Davor hatten der ehemalige Präsident des Obersten Gerichts Aharon Barak sowie Oppositionsführer Jair Lapid angesichts der Regierungspläne gewarnt.
Baharav-Miara selbst nahm an der Sitzung am Sonntag nicht teil. In einem Brief warf sie der Regierung vor, „über dem Gesetz“ stehen zu wollen. Die Minister würden von der Generalstaatsanwaltschaft erwarten, rechtswidrige Anordnungen mitzutragen. Ihre Entlassung sei Teil „einer umfassenden Anstrengung, die Judikative zu schwächen“.
Zustimmung zur Entlassung ist nicht sicher
Der Misstrauensantrag ist nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer Amtsenthebung. Als Nächstes muss ein fünfköpfiges Komitee über die Entlassung entscheiden. Eine Zustimmung ist keineswegs sicher. Die Regierung kann sich über eine Ablehnung zwar hinwegsetzen, der Oberste Gerichtshof dürfte das jedoch kaum akzeptieren. Alle Vorgänger von Baharav-Miara und die überwiegende Mehrzahl der früheren Justizminister haben sich gegen ihre Entlassung ausgesprochen. 19 ehemalige Präsidenten und Richter des Obersten Gerichts nannten diese „eine Gefahr für Israel als Rechtsstaat“.
Justizminister Jariv Levin hingegen besteht in seiner 86 Seiten langen Begründung darauf, Baharav-Miara habe „als der verlängerte Arm der regierungskritischen Demonstranten“ agiert. Der weitgehend gewaltlosen Protestbewegung, die sich über weite Strecken maßgeblich gegen die von ihm selbst seit Anfang 2023 vorangetriebene Schwächung des Obersten Gerichts gerichtet hat, wirft er darin zudem den Einsatz von „Gewalt gegen Polizisten und unschuldige Zivilisten“ vor.
Levin ist jedoch nicht der einzige Regierungspolitiker in einem Interessenkonflikt gegenüber Baharav-Miara. Netanjahu selbst nahm wegen Befangenheit nicht an der Kabinettssitzung teil, weil deren Behörde auch die Korruptionsprozesse übersieht, derentwegen Netanjahu derzeit vor Gericht steht.
Schon die Entlassung von Geheimdienstchef Bar am Freitag warf Fragen auf: Der Schin Bet ermittelt derzeit gegen Mitarbeiter aus Netanjahus Büro wegen Verstößen gegen die nationale Sicherheit, der Weitergabe von geheimen Dokumenten an ausländische Medien wie die Bild sowie der Annahme finanzieller Zuwendungen aus Katar, in der Vergangenheit einer der wichtigsten Geldgeber der Hamas. Netanjahu bestritt am Samstag, dass Bars Entlassung mit den Ermittlungen zusammenhänge.
Viele der Demonstranten gingen auch gegen die Fortsetzung des Kriegs in Gaza auf die Straße, wo die israelische Armee ihre Angriffe nach dem Bruch der Waffenruhe vor knapp einer Woche fortsetzt. In einem offenen Brief forderten 40 freigelassene Geiseln sowie 250 Angehörige der noch immer in Gaza gefangenen 59 Israelis, die Kämpfe zu beenden: „Kehren Sie an den Verhandlungstisch zurück, und schließen Sie eine Vereinbarung ab, die alle Geiseln zurückholt, auch um den Preis, den Krieg zu beenden.“
Hamas-Politchef wohl getötet
Am Samstag bestätigte die Hamas den Tod von Salah al-Bardawil, einem Mitglied des Politbüros der Gruppe, der zusammen mit seiner Frau in einem Zelt getötet worden sei. Seit Beginn der israelischen Angriffe vergangene Woche starben laut dem von der Hamas geleiteten Gesundheitsministerium in Gaza rund 700 Menschen, darunter mehr als 200 Kinder.
Mit Blick auf die Zukunft des Gazastreifens beschloss das Sicherheitskabinett am Samstagabend die Einrichtung einer Behörde, die „freiwillige Transfers“ von ausreisewilligen Bewohnern organisieren soll. Verteidigungsminister Israel Katz drohte offen mit der Annexion von Teilen des Gebiets: „Je mehr die Hamas sich weigert, die Geiseln freizulassen, desto mehr Gebiet wird sie verlieren, das von Israel annektiert werden wird.“
Auch im Libanon flog die israelische Luftwaffe die schwersten Angriffe seit vier Monaten, nachdem am Samstag sechs Raketen auf die nordisraelische Gemeinde Metula gefeuert wurden. Bei den Gegenschlägen starben laut den libanesischen Gesundheitsbehörden sieben Menschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Friedensgespräche“ in Riad
Die Verhandlungen mit Russland sind sinnlos
Ökonom über Steuersystem
„Auch in der Mitte gibt es das Gefühl, es geht ungerecht zu“
Trumps Kampf gegen die Universitäten
Columbia knickt ein
Letzte Generation angeklagt
Was sie für uns riskieren
Ergebnis der Abstimmung
Pariser wollen Hunderte Straßen für Autos dichtmachen
Kostenloser Nahverkehr
Schafft endlich die Tickets ab