Staatsbürgerschaft als Entschädigung: Pass für Enkel von Franco-Opfern
Die Nachkommen von Flüchtlingen, die Spanien 1936 bis 1955 verlassen haben, können jetzt die spanische Staatsbürgerschaft beantragen. Antragsberechtigt sind bis zu eine Million Menschen.
Spanien könnte bald wieder eine Einwanderungswelle erleben. Denn seit Samstag können die Nachkommen der spanischen Flüchtlinge der ersten zwei Jahrzehnte der Franco-Diktatur die spanische Staatsbürgerschaft beantragen. Mussten die Vorfahren bisher zumindest auf der Iberischen Halbinsel geboren sein, fällt diese Anforderung jetzt weg. Die Zahl der Antragsberechtigten wird auf 500.000 geschätzt, mitunter ist gar von einer Million die Rede. Sie leben in Argentinien, Uruguay, Chile, Kuba, Mexiko, Venezuela, aber auch in Frankreich und Russland.
Die ley de nietos - Enkelgesetz genannte Richtlinie ist Teil eines "Gesetzes zur historischen Erinnerung" von 2007, mit dem der spanische Staat die Opfer des Bürgerkriegs und des Franco-Regimes entschädigen will. Die neue Regelung gilt für jene, die in der Zeit vom 18. Juli 1936 bis 31. Dezember 1955 Spanien verlassen haben oder mussten.
Die Krux: Jede und jeder muss einen Nachweis liefern, dass Großeltern Spanien verlassen haben, etwa ein Schriftstück des Flüchtlingsbüros der Vereinten Nationen oder den Nachweis, dass Vater, Mutter, Opa oder Oma eine Rente von spanischen Staat erhalten haben. Die Gründe der Auswanderung sind nicht ausschlaggebend, weshalb die Regelung nicht für die aus politischen Gründen Geflohenen gilt.
Die Antragsberechtigten haben bis zum 27. Dezember 2010 Zeit. Sollte der Andrang nicht zu bewältigen sein, ist eine Verlängerung bis 2011 vorgesehen. Auf Kuba könnten es zwischen 150.000 und 240.000 Antragsberechtigte sein. Längst hat sich eine Schlange vor dem spanischen Konsulat auf der Insel gebildet. In Argentinien ist die Lage noch ruhig. Hier kam es in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu einer spanischen Einwanderungswelle. 300.000 sollen es sein, die jetzt den Antrag auf die spanische Staatsbürgerschaft stellen können.
Viele haben ihre Erfahrungen damit schon gemacht. Die Bilder der Schlangen, die sich in den Krisenjahren 2001 und 2002 vor den europäischen Konsulaten in der Hauptstadt Buenos Aires gebildet hatten, sind noch in Erinnerung. Damals versuchten viele Nachfahren vor allem spanischer und italienischer Herkunft mit einem Reisepass aus den Herkunftsländern die Eintrittsberechtigung in die Europäische Union zu erlangen.
Doch im Gegensatz zu Anfang 2000 ist der Kontinent der Vorfahren ebenfalls krisengeschüttelt. In Spanien ist die Regierung nicht mehr sehr glücklich über ihren Beschluss. Noch vor Monaten hatte sich Spanien als Zuwanderungsland für junge Menschen gerade auch aus Lateinamerika gepriesen, zumal hier die Sprachbarriere wegfällt.
Seit das Land von der internationalen Finanzkrise gebeutelt wird und die Immobilienblase auch auf der Iberischen Halbinsel geplatzt ist, hat sich der Wind gedreht. Längst hat Madrid ein Rückkehrerprogramm aufgelegt. Ziel ist, dass eine Million Immigranten der letzten Jahre Spanien in Richtung ihrer Herkunftsländer verlassen.
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