Staatsanwaltschaft klagt an: VW muss sich wegen Sklavenarbeit in Brasilien verantworten
Auf der Rinderfarm einer Volkswagen-Tochter wurden vor vierzig Jahren Arbeiter eingesperrt und misshandelt. Der Vorstand soll davon gewusst haben.
Nun hat das brasilianische Arbeitsministerium Klage gegen Volkswagen Brasilien eingereicht. Laut der Staatsanwaltschaft für Arbeitsrecht seien die Arbeiter extrem langen Arbeitszeiten, entwürdigenden Bedingungen und Schuldknechtschaft ausgesetzt gewesen, was als „sklavereiähnliche Bedingungen“ bezeichnet wurde. Zeugenaussagen würden die „gravierenden Menschenrechtsverletzungen“ belegen. Der Vorstand von Volkswagen do Brasil soll von den systematischen Menschenrechtsvergehen in Hunderten von Fällen gewusst haben.
Brasilien und Volkswagen haben eine lange gemeinsame Geschichte. Seit vielen Jahrzehnten verkauft der deutsche Wolfsburger Konzern Autos im größten Land Lateinamerikas. Mitte der 1970er Jahre expandierte Volkswagen do Brasil und eröffnete Farmen im abgelegenen Amazonasgebiet, um in der Fleischproduktion zusätzliche Gewinne zu erzielen.
Der damalige VW-Chef Rudolf Leiding setzte sich persönlich dafür ein, Land im Bundesstaat Pará für das Projekt zu sichern. Dabei profitierte der Konzern von engen Verbindungen zur Führungsspitze der Militärdiktatur. Erst 1986, kurz nach dem Übergang zu einer demokratischen Regierung, zog sich VW aus dem umstrittenen Rindfleischgeschäft in Brasilien zurück.
VW sieht sich nicht in der Verantwortung
Dass die Menschenrechtsverletzungen überhaupt ans Licht kamen, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Ricardo Rezende Figueira. Der Priester war damals in der Nähe der Farm tätig, als geflohene Arbeiter bei ihm Zuflucht suchten. „Es waren junge Männer, einer war gerade einmal 16 Jahre alt. Was sie uns erzählten, war der reine Horror: Sie wurden gequält, lebten in erbärmlichen Verhältnissen, es soll Morde gegeben haben“, sagte Rezende im vergangenen Jahr der taz.
Jahrzehntelang sammelte er Beweise und Zeugenaussagen zu den Gräueltaten. Die Staatsanwaltschaft stützte sich bei ihren Ermittlungen maßgeblich auf die Recherchen von Rezende, der heute als Professor für Menschenrechte an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro lehrt.
In der Vergangenheit hatte Volkswagen erklärt, nicht verantwortlich zu sein, da die betroffenen Arbeiter nicht direkt beim Konzern angestellt gewesen seien. Der ehemalige Leiter der Cristalino-Farm, der Schweizer Friedrich Brügger, wies jede Verantwortung der VW-Konzernleitung für die Geschehnisse in Amazonien zurück. Er machte die Arbeitervermittler verantwortlich, die mit der Durchführung der Rodungen beauftragt worden waren.
Auf Presseanfragen zur jüngsten Anklage teilte Volkswagen Brasilien mit, noch nicht formell benachrichtigt worden zu sein und damit keinen Zugang zum Inhalt der Klage zu haben. Zudem äußere VW sich nicht zu laufenden Verfahren.
Staatsanwaltschaft fordert ein Schuldeingeständnis
In der Zivilklage fordert die Staatsanwaltschaft Entschädigungszahlungen in Höhe von 165 Millionen Reais (rund 26 Millionen Euro). Eine außergerichtliche Einigung kam nicht zustande.
„Es ist eines Großkonzerns unwürdig, sich der historischen Verantwortung nicht zu stellen“, sagte der Freiburger Aktivist Günther Schulz, der seit Jahren zu dem Fall arbeitet, der taz. „Unsere brasilianischen Partner erwarten jetzt schnellstens ein Entgegenkommen, um auch den noch lebenden Arbeitern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.“ Die Staatsanwaltschaft fordert auch ein Schuldeingeständnis.
Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionär:innen warnte in einer Pressemitteilung, dass VW seine hausgemachten wirtschaftlichen Probleme nicht als Vorwand nehmen dürfe, um Wiedergutmachung abzulehnen. Die Anhörung vor Gericht ist für Februar 2025 geplant.
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