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St. Pauli, das Paulihaus und die BäumeEin Paradox

Auf St. Pauli gibt es Proteste gegen das geplante Paulihaus. Dabei sind die Leute hinter dem Paulihaus doch gar nicht die Bösen. Oder etwa doch?

Gegenwind im Stadtteil: Demonstration gegen das Neubauprojekt Paulihaus am 21. November 2020 Foto: dpa | Markus Scholz

I ch fühl mich nicht. Ich habe Schnupfen und Kopfschmerzen und bleibe lieber im Bett. Du musst zum Arzt gehen, sagt meine Schwester am Telefon, du musst einen Coronatest machen.

Ach hör doch auf, sage ich. Ich schmecke gut und habe weder Husten noch Fieber. Ich fühl mich nur nicht. Und das schon länger. Man muss sich bewegen und die Sonne sehen.

Das tue ich. Ich ging am Samstag vierzehn Kilometer die Elbe entlang. Ich war nur nicht allein. Ich wusste es vorher, aber wenn man derzeit am Wochenende spazieren geht, egal in welchem Naturschutzgebiet, Moor, Park oder Wald in Hamburg, dann sind da überall Menschen, Menschen, Menschen.

Ich gehe schon viele Jahre wandern, und früher waren die Menschen gar nicht da. Aber jetzt sind sie da, diese vielen Menschen der Stadt, die raus wollen, wie ich, Sonne, Vitamin D, Bewegung, auf andere Gedanken kommen. Noch nie ist mir so klar geworden, wie eng es in der Stadt ist, wie wenig Platz wir auf diesen Grünflächen haben, wie jetzt. Und es wird enger.

Bild: Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schrift­stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Sicherheitszone“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Montagmorgen standen ein paar Menschen am Neuen Pferdemarkt, um das Abholzen der Bäume dort zu verhindern. Und sie verhinderten es. Am Montagmorgen um fünf Uhr – es sind Helden! Seit Längerem starre ich diesem Unheil an diesem Platz ins Auge.

Die Bäume müssen weg, die der Baustelle im Weg sind. Und schon geht der Ärger los

Na und?, denke ich, auch schon seit Längerem. Auch nur eine dieser Stadtentwicklungen, die sich nicht aufhalten lassen. Noch ein paar Bäume weniger, noch ein Bürohaus mehr, noch mehr Autos, mehr Verkehr, mehr Hitze im Sommer, mehr hoch- und zugebaut.

Müde schaue ich mir die Website dieses „Paulihauses“ an. Dort finde ich Antworten auf alle Fragen, eine saubere Rechtfertigung für das Bauvorhaben. Sie sind gar nicht die Bösen. Sie sind eine Baugemeinschaft, das ist doch fast so etwas wie eine WG oder eine Genossenschaft, ein Bauwagenplatz, ein Zeltlager, ein Camp? Das passt doch super in diese irgendwie immer noch alternative Gegend?

Und dann beschäftigen sie auch noch so viele Menschen, die „im Viertel“ wohnen, sagen sie, auf ihrer Website. Alles St.-Paulianer*innen, Einheimische, welche von uns/euch, „darunter Mütter und Väter, die in Teilzeit arbeiten, die „mittags zum Essen mit den Kindern nach Hause (…) gehen, nachmittags wieder bei der Arbeit (…) sein“ wollen.

Wer könnte von solchen Eltern, die mittags mit den Kindern zum Mittagessen nach Hause gehen, was es seit den 50er-Jahren ja nicht mehr gegeben hat, verlangen, in ein Büro in die City Nord zum Arbeiten zu fahren? Oder nach Hasselbrook, nach Harburg oder wo die ganzen Büros alle sind, die gerade leer stehen?

Familien! Darum geht es also. Ich habe mir jeden einzelnen Punkt durchgelesen und ich glaube, diese vier Firmen sind einfach – gut. Na ja, vielleicht sind sie auch nur – Firmen. Die Firma „Pahnke Markenmacherei“ zum Beispiel, das ist eine „Full Service Agentur mit den Bereichen Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ (das habe ich von ihrer Website kopiert).

Ich weiß wirklich nicht, was das ist, aber es ist sicher wichtig. Und die anderen Firmen, die zu dieser WG gehören, sind eben auch nur – Firmen. Die Steg-Hamburg („Wir verstehen die Stadt“), Argus und Hamburg-Team („Mit dem Blick für’s Ganze“). Irgendwo müssen die halt arbeiten, und sie wollen’s halt nun da. Und wissen auch, dass es schwierig ist, und wollen’s halt trotzdem.

Und nun also, die Bäume müssen weg, die der Baustelle im Wege sind, da geht auch schon der Ärger los. Einige Leute sind dagegen, einige, die auch „im Viertel“ wohnen, aber natürlich nicht die, die in diesen Firmen arbeiten und mit ihren Kindern zum Mittagessen nach Hause gehen wollen.

Und alles, was ich dazu sagen kann, ist: Ich fühl mich einfach nicht. (Oder, ich meine, die Sache ist einfach die, dass Firmen irgendwo arbeiten wollen, wo sie es geil finden, aus genau dem gleichen Grund, aus dem sie da eigentlich nicht besonders erwünscht sind. In Vierteln, in denen viele Leute wohnen, die andere Werte haben als diese Firmen, und denen „Campaigning, Consulting, Social Media, Packaging und Innovation“ am A… vorbeigehen“. Es ist ein Paradox.)

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