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taz FUTURZWEI

Spurensuche im Swingstate Pennsylvania Wer wählt hier Trump?!

Unser taz-FUTURZWEI-Kolumnist Aron Boks lebt derzeit in Pennsylvania, einem der bei der US-Wahl 2024 umkämpftesten Bundesstaaten der USA. Am Ende gewann auch hier Trump. Er will wissen: Wie leben die Leute und vor allem die Unter-30jährigen dort jetzt miteinander?

In Pennsylvania spricht man nicht über die politischen Präferenzen – man zeigt sie Foto: Aron Boks

taz FUTURZWEI | Ich stehe irgendwo am Rand von Allentown, Pennsylvania, vor der Mittagstischtheke eines südamerikanischen Restaurant und versuche mit meinen Händen, ein Gemüse zu formen. „No, no - äh – vegetarian.“ „Si,si!“, sagt die Bedienung und deutet auf die Chicken Noodle Soup.

Das Gespräch hat sich ziemlich verhakt, bis irgendwann ein kräftiger Typ, mit sonnengegerbter Haut, krausen, kurzgeschnittenen schwarzen Haaren aus der hintersten Ecke des Raumes kommt und mir auf Spanisch eine Gemüsesuppe bestellt.

„Keine Sorge, ich kam auch erst nicht zurecht, als ich in die USA gekommen bin“, sagt er. Außerdem verrät er mir einen super Trick, wie er sagt, um klarzukommen: Google Translate.

„Amazing, thank you.“

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taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°32: Wozu Kinder?

Kinder und Jugendliche sind die politisch ignorierteste Randgruppe der Gesellschaft. Dabei muss diese Minigruppe demnächst die vielen Renten bezahlen und den ganzen Laden am Laufen halten. Was muss sich ändern?

Mit Aladin El-Mafaalani, Marlene Engelhorn, Arno Frank, Ruth Fuentes, Maja Göpel, Robert Habeck, Celine Keller, Wolf Lotter, Lily Mauch, Luisa Neubauer, Henrike von Scheliha, Stephan Wackwitz und Harald Welzer.

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Carlo aus Easton, Pennsylvania

Sein Name ist Carlo. Vor fünfzehn Jahren kam er aus der Dominikanischen Republik nach Allentown. Carlo sagt noch etwas Spanisches in Richtung der Theke und schiebt mir kurz darauf eine Schale gebratene Kochbananen zu.

Ich wohne zwanzig Meilen von hier entfernt – in Easton, Pennsylvania, um an einem College Workshops für Kreatives Schreiben zu geben. Ich bin hier für einen Tagesausflug.

Meine einzige Orientierung war der Song „Allentown“ von Billy Joel von 1982, in dem es darum geht, wie sich diese Gegend durch den industriellen Strukturwandel verändert: „Well, we're living here in Allentown/And they're closing all the factories down“.

Sonst weiß ich nichts von Allentown.

Wer hat die Bundestagswahl gewonnen?

„Hattet ihr in Deutschland nicht gerade erst Wahlen?“, fragt Carlo und setzt sich zu mir an den Tisch. Er ist Gamer, so um die 40, und hat am Wahltag online mit einem Deutschen gespielt, der ihm davon erzählt hat.

Ich nicke. „Und war es gut oder schlecht?“ „Es hätte noch viel schlimmer sein können.“

„Und wer hat gewonnen?“ „Ich weiß nicht.“

Carlo sieht mich fragend an, und ich beginne ihm zu erklären, dass es ein two-sided-sword ist – auf der einen Seite sei es ja gut, dass die AfD nicht noch mehr Prozente bekommen habe, auf der anderen Seite sei das auch ein scheiß Maßstab und Merz als Kanzler …

„Dude, dude!“, sagt Carlo und schüttelt den Kopf. „Ich wollte einfach nur wissen, ob die Guten oder die Schlechten gewonnen haben!“ „Die Konservativen“, sage ich mit mitleiderregendem Oliver-Twist-steht-vor-der-Essensausgabe-Blick und erzähle ihm, die Linke gewählt zu haben.

Er lacht. „Als ich so alt war wie du, habe ich mich darüber auch geärgert. Als wir jung waren, waren wir doch alle links. Aber sobald du Kinder bekommst, wählst du anders. Du willst auch nicht, dass dein Kind weird stuff in der Schule gelehrt bekommt!“

Bild: Jens Passoth
Stimme meiner Generation

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 27, wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 29, wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und war bis Januar 2023 taz Panter Volontärin.

Weird Stuff – Wer wählt wen?

„Was meinst du mit weird stuff?“ „Und man fängt an sich Sorgen zu machen!“, fährt er unbeirrt fort. „Seit meine Tochter zwei Jahre alt ist, checke ich ständig, was auf der Wall Street abgeht, vorher hat mich das alles nicht interessiert.“

Pennsylvania ist ein Swingstate, in dem zuvor der Demokrat Biden und jetzt Trump mit knapper Mehrheit gewonnen haben. Kamala Harris hat hier 48,4 Prozent geholt. Ich gehe davon aus, dass Carlo nicht Trump gewählt hat, aber ich bin mir nicht ganz sicher und auch nicht, ob es sich hier gehört, Leute danach zu fragen. Also tue ich es nicht.

Einen Tag später nehme ich diese Frage mit in die Mensa des Colleges.

„Nein, du fragst hier auf keinen Fall, was wer gewählt hat“, sagt eine Studierende namens Kathy und schüttelt dabei so höflich aber bestimmt den Kopf, wie man es sonst nur bei Fundraisern am Hauptbahnhof macht.

„Besonders hier ist das schwierig“, sagt Taylor, der neben ihr sitzt.

Easton ist Teil des Northampton County und dieser Bezirk war bei der Wahl einer der umkämpftesten Bezirke in den USA. Trump hat auch hier mit 50,4 Prozent der Stimmen gewonnen.

Am Abend sitze ich bei Rico im Auto. Ein 70 Jahre alter Mann mit sorgfältig nach hinten gekämmten schwarzen Haaren und dunklen Augen, die beim Reden mitlachen. Rico ist ein super netter Typ, der aus Costa Rica in die USA kam. Er war der erste, den ich hier kennengelernt habe, weil er mich vom Flughafen abgeholt hat. Heute gibt er mir eine kleine Stadtrundfahrt.

Internationale Kontinuitäten

„Und wie gefällt es dir hier?“ „Awesome“, sage ich easy amerikanisch und sehe bedeutungsschwanger deutsch aus dem Fenster. Die Leute sind sehr freundlich und die Gegend ist charming.

Ich wohne auf dem College Hill, der sich mit Unigebäuden und Häusern über einen Hügel erstreckt und von dem eine Hauptstraße in die Downtown führt. In einer Straße gibt es einen queeren Bookshop, in einer Anhöhe eine evangelikale Kirche, eine „Make America Great Again„-Flagge, und in der nächsten Straße ein ausharrendes „Vote for Harris„- Schild mit Pride Fahne. Im College gibt es ein Gender-Study-Center und im selben Gebäude befindet sich das Büro der Unizeitung, die auf der Titelseite davon berichtet hat, wie Trump gerade eine Maßnahme durchbringen will, alle Förderungen zu Gender- und Minderheitenforschungen einzufrieren. Er sieht das als Teil seines Kampfes „gegen Wokeness“.

„Sobald man hier über Politik redet, würde nur gestritten werden“, hatten Kathy und Taylor mir noch gesagt. „Weil das eine Wahl ist, die vor allem etwas über die eigene Identität aussagt“.

Zwar habe ich ungefragt davon erzählt, Linke gewählt zu haben. Aber auch nur, weil ich ihn so nett fand und dementsprechend dachte, dass so einer doch kein Trump-Wähler sein kann. Genau wie ich in Deutschland bei netten Leuten davon ausgehe, dass die sicher nicht die AfD wählen.

Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, auch nur irgendeinen fröhlichen Moment mit Leuten zu verbringen, die diese Partei wählen. Sehr wahrscheinlich habe ich das in meiner Heimat, dem Harz, schon getan, ohne es zu wissen. Dort haben fast 40 Prozent AfD gewählt. Und wie ist das hier? Ist die Nettigkeit der Nachbarin, die mir Bagels geschenkt hat, vergiftet, wenn sie Trump wählt, und was bedeutet es, wenn Carlo mich unter seine Fittiche nimmt, aber gegen Queers, Klimaaktivst:innen und Migranten und eigentlich alle Bestandteile meiner Vorstellung eines guten Lebens ist? Oder muss ich damit umgehen lernen?

„See what happens“

„Wir fragen uns hier in Easton lieber nicht, was wir gewählt haben“, sagt Rico, als ich ihm davon erzähle. „Alle können sich nicht mehr leiden, wegen der Politik.“

Seit fünf Wochen jagt eine krasse Politik-Meldung die nächste, ständig passiert etwas neues, was man früher „unfassbar“ genannt hätte. Ja, das sei schon alles crazy, sagt Rico. Aber viele würden es gut finden, dass Trump eben kein Politiker sei, sondern ein Businessman. Viele würden hoffen, dass das Land dadurch wieder vorankommt. Viele hätten Angst um ihre Sicherheit. „We’ve gotta see what happens!“

Kurz bevor wir zuhause sind, frage ich ihn dann doch, was er eigentlich gewählt hat.

„Trump“, sagt er knapp. „Aber den kann ich auch nicht leiden!“

Dann gebe ich ihm Trinkgeld, und er gibt mir eine Quittung. „Take care, man“, sagt Rico. „You too!“

🐾 „Stimme meiner Generation“ heißt die gemeinsame Online-Kolumne von Aron Bocks und Ruth Lang Fuentes. In loser Folge schreiben sie darin für unser Magazin taz FUTURZWEI über die Lebensrealität der Gen Z und darüber hinaus.

🐾 Lesen Sie weiter: Die aktuelle Ausgabe taz FUTURZWEI N°32 mit dem Titelthema „Wozu Kinder“ gibt es jetzt im taz Shop.