: Spucktüte und wunder Po
■ Wie ein Bremer Botaniker die Pflanzenwelt aus der luftigen Höhe erforscht
Im Schlick ist er schon oft stecken geblieben bei seinen Bodenexkursionen, der Bremer Botaniker Heinrich Kuhbier. Auch auf Geröllsteinen rutschte der 63jährige schon aus, um ein seltenes Pflänzchen zu erreichen. Da hat er sich dann das Steißbein gebrochen. Außerdem plagt ihn ein „wunder Po“. Denn Kuhbier geht nicht nur zu Lande auf Pflanzenjagd, sondern auch in der Luft. Manchmal sitzt er über fünf Stunden im Motorsegler – und knipst Fotos. Mit spitzem Finger zeigt er auf den schmalen Sessel des Motorseglers und sagt: „Das geht ganz schön aufs Gesäß.“
Ein paar Opfer müßten sein, findet der Pflanzenexperte. Seit 38 Jahren sammelt er für das Überseemuseum Pflanzen der ostfriesischen Inseln und der Nordseeküste. Streifzüge per Pedes über die Inseln gehören regelmäßig zu seinem Job. Als er vor zehn Jahren inmitten einer riesigen Salzwiese auf der Insel Mellum stand, fragte er sich: „Wie sieht es eigentlich 200 Meter weiter aus“– und ging ein paar Monate später mit Hobby-Flieger Horst Nutzhorn mit dem Motorsegler in die Luft. Seitdem sind die beiden, die sich über entfernte Verwandte fanden, ein „eingespieltes Fliegerpaar“. Fast 100 Flugstunden lang betreiben sie schon vom Hobby-Flughafen Lemwerder aus ihre „Botanik in der Luft.“
Hobby-Flieger Horst Nutzhorn, sonnengegerbte Haut und ein beiges Flieger-Cappy auf dem Kopf, drückt das graue Wellblech-Tor einer Halle auf. Partner Kuhbier zieht derweil auf der anderen Seite, bis fünf aerodynamisch geschwunge Motorsegler zum Vorschein kommen. Rund um die Halle ist nur plattes Land. Hinten am Horizont versteckt sich der kilometerweit entfernte Turm vom Klöckner-Gelände im dichten Nebel: Für die Segler ist deshalb heute „flugfrei“, weil die Sonne nicht scheint. „Sie erwärmt die Luft und sorgt für den Auftrieb“, sagt der 67jährige Flieger, der eigentlich pensionierter Psychologe ist. Gemeinsam schieben sie das Flugzeug trotzdem nach draußen, „um es wenigstens mal zu zeigen“. Als Flugersatz gibt es dafür Dias zu sehen.
Schwarze Punkte am Weserstrand oder rote Stellen zwischen grünen Schilffel-dern: Solche Diamotive sind für Kuhbier eindeutige Zeichen für bisher unentdeck-te Vegetation. Die Stellen seien nur vom Motorsegler aus zu erkennen, erklärt er: „An Land verstecken sie sich hinter dem Deich und sind daher bisher unentdeckt.“Wenn es also zwischen den grünen Rasenflächen plötzlich rötlich schimmert, greift Kuhbier im Motorsegler schnell zum Fotoapparat – und lichtet die rotleuchtenden „Queller“aus fast 150 Meter Höhe sofort ab. Dann kann er die Pflänzchen, die vom Juni bis zum Herbst an der Küste blühen, per Foto auch beim Landgang wiederfinden. Fast 10.000 solcher Dias und Fotos hat er auf diese Art schon gemacht und damit Vegetationskarten gezeichnet. „Das Beobachten aus der Luft ist sozusagen eine Ergänzungsarbeit“, erklärt er – und eines seiner „liebsten Hobbys“. Dafür zahlt das Fliegerpaar auch jeden Flug aus eigener Tasche.
„Kennst Du die Geschichte noch“oder „Weißt Du noch, diese Story?“, so fangen deshalb oft ihre gemeinsamen Gespräche an. Wer fliegt, hat einiges zu erzählen. Zum Beispiel über den Tag, an dem das Flieger-Duo in ein Tieffluggebiet von Düsenfliegern geraten war. Da wollte Botaniker Kuhbier unbedingt „aus nächster Nähe für ein Foto an den Boden ran“, so Pilot Nutzhorn. Die beiden ließen sich vom Tower die nächsten Düsenjäger ansagen – und tauchten je nach Jäger-Anfluglage so tief wie möglich ab. Auch die Geschichte mit Bauer Albrecht, der kurz nach der Eröffnung das Nationparkes Wattenmeer noch widerrechtlich Gräben auf seinen Feldern anlegte, sei erzählenswert. „Da habe ich gleich meine allerersten Luftfotos an die Aufsichtsbehörde geschickt“, sagt Botaniker Kuhbier stolz.
Natursünder will er beim Fliegen aber nicht ausschließlich aufspüren: „Das soll ja kein Zwang sein, sondern Spaß muß auch dabei sein“, sagt er, und Pilot Nutzhorn sieht das ähnlich. Der fliegt nämlich liebend gerne über die heiße Luft, die aus dem Klöckner-Schornstein steigt. „Das ist wie ein Fahrstuhl für den Motorsegler“, sagt er und schmettert mit diesem Argument sämtliche Kritiker ab. „Wir tun mit dem Flugzeug jetzt auch etwas nützliches“, sagt er zu den neuen Botanik-Flügen, die kürzlich auch von einem Vogelkundler gebucht wurden.
Ob Windmühlen Zugvögel stören, wollte der per Motorsegler erforschen: Schon nach wenigen Minuten mußte Pilot Nutzhorn zwischenlanden, um neue Spucktüten zu kaufen. Trotzdem hatte der Forscher zum Schluß 40 Dias im Kasten.
„Ein wahrer Held, sowas“, findet Pilot Nutzhorn, und der Botaniker Kuhbier mit seinem wunden Po und dem kürzlich gebrochenen Steißbein nickt. Opfer müssen eben gebracht werden. kat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen