: Sprechtheater in der Prärie
■ Neu im Kino: „Schweigende Zunge“ mit River Phoenix
Können sie sich John Wayne vorstellen, der in einem minutenlangen Monolog vor dem Duell das Innerste seiner Seele bloßlegt ? Oder Indianer und Cowboys, die sich so intensiv mit bühnenreifen Dialogen bekriegen, daß sie gar nicht mehr zum Schießen und Reiten kommen? Oder einen windgegerbten Trapper, der in der weiten Prärie auf Godot wartet? Mit dem Western kann man ja vieles anstellen, nicht umsonst nennt man ihn in Hollywood am liebsten Pferdeoper, aber mit einem Pferdetheater macht sich ein Filmemacher schnell lächerlich. Mel Brooks hätte aus „Macbeth im Wilden Westen“ (so steht es im Pressematerial von „Silent Tongue“) vielleicht eine von seinen witzigen Genre-Transvestien gemacht, aber Sam Shepard meint das Ganze leider todernst.
Shepard ist ein Bühnenautor, dessen Stärke in den Texten liegt – nicht mal Robert Altman konnte mit seiner Verfilmung von Shepards „Fools for Love“ dessen Dialoglastigkeit kaschieren – und Shepard pflegt gerne sein Image des Naturburschen, das des einsamen Helden, der lieber auf einem Pferd als vor einer Schreibmaschine sitzt. Deswegen hielt es Shepard wohl für eine gute Idee, sich einmal an einem Western zu versuchen, und deswegen ist er auch so gründlich daneben gegangen.
Es ist schon komisch, wieviel in einem Film geredet wird, der ausgerechnte „Schweigende Zunge“ heißt, und in dessen Mittelpunkt das Schicksal einer Indianerin steht, der bei einer Vergewaltigung durch weiße Abenteuerer die Zunge abgeschnitten wurde. Seit dieser Missetat hängt ein Fluch über allen Beteiligten, und darüber lamentieren sie ausführlichst: Alan Bates als ein versoffener Quacksalber in der Tradition von W.C. Fields, aber leider ohne dessen Humor; Richard Harris als Trapper, der Pferde gegen Indianerinnen für seinen Sohn eintauscht, die beiden verkauften Frauen – von denen eine als ziemlich molliger Geist durch die Prärie spukt – und schließlich River Phoenix als der wahnsinnige Sohn des Trappers, dessen Monologe entsprechend unverständlich geschrieben sind.
Shepard weidet sich ausführlichst an der Schuld und dem Leid jeder einzelnen Filmfigur, und er macht dies mit einem unangenehm prätentiösen Anspruch. Jeder Szene, jedem Wort merkt man an, daß hier einer große Kunst machen wollte. Dabei ist er sich allerdings nicht zu schade, auf die ältesten Tricks zurückzugreifen: Im Dunkeln lauert immer der böse Geist der Indianerfrau; Gaukler wirken immer so schön poetisch, also leitet der Quacksalber gleich eine ganze Varietétruppe; und auf den Hügeln am Horizont tauchen immer mal wieder bedrohlich die Indianer auf. Es gibt einige schöne Landschaftsaufnahmen, aber auch da übertreibt Shepard und zeigt die Prairie in langen Einstellungen so übertrieben trostlos, das man kaum noch hingucken mag.
In Hollywood hätte solch eine verquaste Mischung aus Shakesspeare, Edgar Allen Poe und Bonanza keine Chance gehabt, aber der französische Pay TV Sender CanalPlus hat den Film finanziert. „Schweigende Zunge“ ist also ein Western für uns kulturbeflissene Europäer, die statt einer Schießerei lieber eine lange Kamerafahrt sehen, die einem Hund immer am Boden lang durch ein Zeltlager folgt, bis er mit traurigen Augen auf ein altes Photo an einer Wand blickt, das natürlich das ganze Elend dieser Welt symbolisieren soll. Dann schon lieber eine Oper mit Pferden.
Wilfried Hippen Atlantis, 20.30 Uhr, Fr. und So. auch 22.45 Uhr
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