piwik no script img

Sprechopern in Braunschweig und HamburgKluger Unsinn im Kuddelmuddel

Mal menschelt's, mal politisiert's, immer spricht's: Sprechopern von Ernst Jandl und vom hannoverschen Duo Kurt Schwitters und Käte Steinitz.

Das Leben, eine Chronik der Ereignislosigkeit: Tobias Beyer und Getrud Kohl Foto: Joseph Ruben Heicks

Angesichts der Sprachverstümmelungen im medialen Alltag stellen das Hamburger Schauspielhaus und Staatstheater Braunschweig, Sprache und das Sprechen mal in den Fokus: Sie greifen damit auf die dichterische Praxis beispielsweise Ernst Jandls zurück, der seine Experimente mit Worten mit denen in der Neuen Musik und abstrakten Kunst verglichen hat, die mit Tönen und Farben experimentieren, statt klanglich etwas auszudrücken oder optisch nachzubilden. Sodass das Bild, die Komposition selbst zum alleinigen Gegenstand wird.

Jandl und sein Dada-Vorgänger Kurt Schwitters betrieben auch in ihren Theaterstücken diese spielerische Auflösung von Schreib- und Artikulationsregeln. Diese funktionieren auch prima als Beschreibung einer aus den Fugen geratenen, absurd gewordenen Welt. Ernst Jandl entwickelte 1979 mit seiner Sprechoper „Aus der Fremde“, die zurzeit in Braunschweig zu erleben ist, allerdings auch klassische Theatersituationen, Szenen aus seinem Leben. Christoph Diem inszeniert das so, dass darin alle den eigenen ritualisierten Alltag erkennen können.

Das Opernlibretto „Zusammenstoß. Ein höchstwahrscheinlicher Irrtum“ (1927) von Kurt Schwitters und Käthe Steinitz präsentiert hingegen den Alltag einer kapitalistischen Gesellschaft im Zustand der Bedrohung. Der wird in der Regie von Naemi Friedmann in Hamburg als Sprechoper zum Ereignis.

Dabei überträgt sich die Kunst der Collage, der Steinitz und Schwitters gemeinsam frönten, als sie in Hannover lebten, bestens auf die Bühne: Julia Oschatz hat Foyer, Treppenhaus und Raumbühne des Betonbunkers Malersaal mit Gegenständen aus dem Fundus neu gestaltet, sie mit dunkelweißer, grauer und schwarzer Farbe bemalt und mit Zitaten verziert. Auf der Bühne sind bespielbare Objekte gestapelt, sodass der Kuddelmuddeltext in einer Kuddelmuddel-Installation als geistreicher Unsinn erblühen kann.

Mode zur Apokalypse wird geschneidert, während die Menschheit der Paniklust verfällt

In Braunschweig ist die Bühne eher leer. Allerdings ist ein Tisch als ständige Versuchung bestens gedeckt mit sieben vollen Flaschen Wein und Whisky. Die Dar­stel­le­r:in­nen von „er“ und „sie“ sind wie Doubles von Ernst Jandl und seiner Lebensgefährtin Friederike Mayröcker hergerichtet. Gertrud Kohl zeigt eine ordnungsliebende Poetin in flüchtiger Resignation. Tobias Beyer gibt den innerlich beweglichen Anarchisten als äußerlich steifen Biedermann, dem die Lebensgeister nur beim freigeistigen Jazzen mit dem deutschen Wortschatz erwachen. Die Welt vor der Haustür erträgt er verächtlich, schluckt Antidepressiva und Schlafmittel mit Alkohol.

Sein Monologisieren besteht wie das ganze Stück aus dreizeiligen Strophen, die im Konjunktiv und in der dritten Person Singular verfasst sind, also alles Gesagte in der Möglichkeitsform relativieren und vom Sprechenden distanzieren. Passend dazu agiert das Paar emotionslos mit abgezirkelten Roboter-Bewegungen.

Text und Sprecher kommen sich wieder nah

Die Inszenierung entwickelt die beiden rastlos lethargischen Sprechmaschinen aber nach und nach zu strahlend lebendigen Figuren eines autofiktionalen Jandl-Theaters, nähert also Text und Spre­che­r:in wieder an, lässt Identifikation zu und zeigt im melancholischen Miteinander die zärtliche Offenheit der Liebesbeziehung, während auf der Handlungsebene der immer gleiche Tagesablauf als unentrinnbares Schicksal durchexerziert wird, als „chronik / der laufenden / ereignislosigkeit“.

Steinitz und Schwitters lassen einen geltungssüchtigen Astronomen den „Zusammenstoß“ eines Sterns mit der Erde und damit das Finale der Menschheitsgeschichte voraussagen. Spinnerei oder Metapher für die Tanz-auf-dem-Vulkan-Stimmung der 1920er Jahre? Frappierend sind die Parallelen zur aktuellen Endzeitstimmung angesichts der globalen Katastrophenszenerien.

Die nächsten Aufführungen

Aus der Fremde, von Ernst Jandl, Staatstheater Braunschweig, Aquarium, wieder am 8., 12., 22., und 26.12., jeweils 20 Uhr

Zusammenstoß. Ein höchstwahrscheinlicher Irrtum, von Kurt Schwitters und Käthe Steinitz, Schauspielhaus Hamburg, Malersaal, wieder am 15.12., 18.30 Uhr sowie 1.1., 20 Uhr

In Schwitters Erzählfragmenten greifen da sofort die Marktmechanismen: Alle wollen schnell nochmal profitieren. Ein Untergangsschlager wird zum Hit, Mode zur Apokalypse geschneidert, während die Menschen als Masse der Paniklust verfallen. Ein herrlich groteskes Szenario, das im Gegensatz zur Jandl-Inszenierung von grellen Typen bevölkert ist, die äußerst formbewusst die Klangeffekte der Nonsens-Volten und den satirischen Biss des antiautoritären Schabernacks feiern. In beiden Produktionen sorgt fast jeder zweite Satz für Schmunzler, Lacher, Brüller im Publikum.

In Braunschweig menschelt es final, in Hamburg wird es politisch. Wenn die Katastrophe abgewendet ist, treffen sich die Schau­spie­le­r:in­nen zu einem A-cappella-Konzert der Steinitz-Schwitters’schen-Wortmusik, aus der hörbar wird, dass die Menschen sich nun einem starken Mann unterwerfen wollen, am besten wohl dem Zusammenstoß-Propheten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!