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Sprechen über sexualisierte GewaltVerbrechen sollten benannt werden

Wer Vergewaltigungsvorwürfe einen „Sex-Skandal“ nennt, verharmlost die Tat. Denn es geht nicht um Sex, sondern um Gewalt und Missbrauch.

Unter dem Hashtag #metoo machen Betroffene auf sexualisierte Gewalt aufmerksam Foto: reuters

Berlin taz | „Sex-Vorwürfe – Wedel tritt zurück“ schrieb das Online-Portal von SAT1, nachdem der Regisseur Dieter Wedel als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele zurückgetreten war. Die Überschrift vernebelt einen wichtigen Aspekt – nämlich, dass es um sexualisierte Gewalt geht. Erst im Artikel konkretisiert das Portal die Vorwürfe, schreibt von „sexuellen Übergriffen“ und „erzwungenem Sex“. Das Wort „Vergewaltigung“ fällt nicht. Dabei berichteten drei Schauspielerinnen Anfang Januar im ZeitMagazin davon, dass Wedel sie sexuell bedrängt und vergewaltigt habe.

Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung werfen zahlreiche Frauen seit Oktober 2017 auch dem Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein vor. Der Fall erregte internationale Aufmerksamkeit. Betroffene berichteten unter dem Hashtag #metoo auf Twitter über sexualisierte Gewalt oder zeigten damit ihre Solidarität. Auch in diesem Fall verwendeten Medien unpräzise Begriffe. Anschuldigungen über sexualisierte Gewalt werden häufig unter den Schlagwörtern „Sex-Skandal“ oder „Sex-Vorwürfe“ zusammengefasst. Beispiele finden sich in der Augsburger Allgemeinen, der Badischen Zeitung, dem Berliner Kurier, Focus oder der BILD-Zeitung.

Gab es noch kein Gerichtsurteil, befinden sich Medien häufig in einem Dilemma: Ist eine Anschuldigung nicht bewiesen, schreiben sie deshalb von einem „Verdacht“ oder von „Vorwürfen“. Doch zu dieser Sorgfalt zählt auch, keine beschönigenden Begriffe für die Straftaten zu verwenden – denn das kann Betroffene verletzen.

Es geht nicht um Sex

Bei den Vorwürfen geht es schließlich nicht um Sex. Es geht um sexuelle Belästigung, Gewaltverbrechen, Vergewaltigung. Ein Skandal ist das nicht deswegen, weil Menschen miteinander Sex hatten. Sondern, weil jemand zu sexuellen Handlungen genötigt oder gezwungen wurde. Konstanze Marx, Professorin für Linguistik am Institut für Deutsche Sprache und der Universität Mannheim, sagt: „Wenn man im Fall von Verbrechen, die mit sexualisierter Gewalt in Verbindung stehen von einem Sex-Skandal spricht, ist das verharmlosend. Das verkennt die strafbare Handlung und das Trauma für die Betroffenen“. Wenn der Verdacht eines Gewaltverbrechens vorliege und dabei von Sex gesprochen werde, erkenne man die Gewalt nicht an.

Konstanze Marx sagt, sie beobachte auch auf Twitter und Facebook, dass Leser eine korrekte Benennung von Verbrechen verlangten. Eine Nutzerin twitterte beispielsweise: „Ein Sexskandal wäre, wenn ein Paar einvernehmlichen Sex in einer Kirche hätte. Bei #metoo handelt es sich um Missbrauchsskandale.“ Marx erklärt, weshalb es wichtig ist, die Begriffe sorgfältig zu wählen: „Worte nehmen Einfluss darauf, wie Dinge bewertet werden. Bezeichne ich eine Vergewaltigung als Sex, nimmt der Leser wahr, dass Leute Geschlechtsverkehr hatten, nicht aber, dass ein Verbrechen begangen wurde.“

„Erzwungener Sex“ statt „Vergewaltigung“

Unklare Begriffe verwendete in der Vergangenheit auch die Deutsche Presse-Agentur. Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen Dieter Wedel schrieb sie mehrfach von „erzwungenem Sex“ statt von Vergewaltigung. Das liege daran, dass Schauspielerin Jany Tempel die Vergewaltigung durch Dieter Wedel anfangs selbst mit diesen Worten beschrieben habe, erklärt Froben Homburger, Nachrichtenchef der dpa.

„Seit den neuen Vorwürfen gegen Wedel schreiben wir in der Regel, dass die Anschuldigungen von Schikane über Belästigung bis zur Vergewaltigung reichen.“ In der Regel benutze die Agentur „erzwungener Sex“ also nicht als Synonym für Vergewaltigung – außer diese oder ähnliche Formulierungen fänden sich beispielsweise in Zitaten oder Anklageschriften.

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1 Kommentar

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  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...was Schlagzeilen betrifft, ist die taz auch kein 'Kind-von-Traurigkeit'.