Sportschwimmer in den USA: Wenn ehemalige Heroen Grabsteine ins Wasser werfen
Die einst führende Schwimmnation USA leidet am fortschreitenden Untergang. Macht sie sich zu viele Sorgen?
E s hat etwas Unappetitliches und Selbstgefälliges, wenn sich einstige Sportgrößen darüber mokieren, dass ihre Nachfolger weniger großartig sind, als sie es einst waren. Und so stieß es auch auf einigen Ärger unter den derzeit Aktiven, als die ehemaligen US Star-Schwimmer Ryan Lochte und Michael Phelps während der diesjährigen Weltmeisterschaften in den sozialen Medien ein Requiem auf den US-Schwimmsport anstimmten. Lochte erzeugte per KI einen Grabstein für das US-Schwimmen, Phelps hoffte immerhin, dass der Auftritt der Amerikaner in Singapur keine Beerdigung, sondern ein Schock gewesen sei, der das US-Schwimmen aufrüttelt.
Von außen betrachtet war die Kritik mehr als übertrieben hart. Immerhin waren die USA wieder einmal die erfolgreichste Mannschaft der Schwimmwettbewerbe mit 29 Medaillen insgesamt und neun Goldenen. Und das, obwohl das US Team während ersten Wettbewerbstage noch mit einer schweren Magen-Darm-Grippe zu kämpfen hatte. Der Verweis darauf, dass die USA nur noch 44 Prozent der verfügbaren Medaillen gewonnen hatte und nicht mehr 57 Prozent wie bei den letzten Spielen, an denen Phelps und Lochte teilgenommen hatten, schien da eher kleinlich.
So sagte die mehrfache Goldmedaillengewinnerin Gretchen Walsh auch: „Ich glaube, sie verstehen aus der Distanz nicht wirklich, womit wir zu kämpfen haben. Ich blende das einfach aus und konzentriere mich auf mich.“
Phelps merkte, dass er sich wohl mit dem Timing seiner Äußerungen und mit dem Tonfall etwas vertan hatte, und ruderte sofort zurück. Er habe mitnichten an den derzeitigen Athleten Kritik üben wollen, erklärte er auf Instagram. Sie arbeiteten so hart, wie sie könnten, und seien nicht weniger erfolgshungrig als er und seine Zeitgenossen es gewesen seien. Seine ganz Kritik gelte der Führung des Schwimmverbandes und diese Kritik liege ihm eben schon lange auf der Zunge.
Die USA stehen kurz bevor ihrer Heim-Olympiade, einer Gelegenheit, die sich jeder Generation höchstens einmal bietet. Das Land dominiert seit Beginn der modernen Spiele das Schwimmern, und selbst wenn die amerikanischen Schwimmer noch immer gewinnen, entgleitet ihnen die gewohnte Dominanz. Insbesondere die Männer haben es mit einer immer stärkeren Konkurrenz zu tun, sie gewannen in Singapur wie schon in Paris nur ein einziges Einzelgold. Und einen kompromisslosen Erfolgsmenschen wie Phelps, der sein ganzes Leben um Dominanz in seinem Sport herum gebaut hat, schmerzt das zutiefst.
Offener Brief
Und nicht nur ihn. Bereits im Juni hatte eine ganze Gruppe ehemaliger amerikanischer Olympiaschwimmer einen offenen Brief an den Verband geschrieben und ihn zur Tat aufgefordert. Sie seien zutiefst frustriert von der Lethargie und dem Mangel einer Vision des Verbandes. Die Tatsache, dass die US-Spitzenschwimmer noch immer international vorne mithalten, so hieß es, maskiere eine tiefe innere Fäulnis.
Sichtbarstes Symptom sei die Tatsache, dass der Verband seit einem Jahr keinen neuen Geschäftsführer findet. Im Frühjahr dieses Jahres hatte man mit der Erfolgstrainerin Chrissie Rawak zwar temporär jemanden gefunden, jedoch leider übersehen, dass eine Untersuchung wegen sexuellen Missbrauchs gegen sie anhängig ist. Sie zog sich nach neun Tagen im Amt wieder zurück.
Die Kernkritik formuliert der ehemalige Goldmedaillengewinner Mel Stewart jedoch so: Die Verbandsoberen kassieren die üppigen Gelder vom IOC und zahlen sie vor allem sich selbst aus. Athleten, inklusive Figuren wie Phelps, fänden kein Gehör. Was sie wirklich brauchen, um Erfolg zu haben, interessiert nicht. Die Clubs an der Basis, die Talente finden und fördern sollen, bekommen keine Unterstützung. Ein Trainer aus Atlanta sagte dem Fach-Portal Swimswam: „Ich würde Geld dafür bezahlen, dass der Verband mich in Ruhe lässt.“ Der Phelps Boom, so die weitere Kritik, sei nicht genutzt worden, der Sport sei dabei, in sich zusammenzufallen.
Sehen wir also ein langsames Siechen der USA als Weltmacht im Schwimmen? Mit etwas distanzierterer Betrachtung muss man wohl sagen, wahrscheinlich nicht. Der Sport ist noch immer immens populär, die Strukturen in den Schulen und Clubs sind solide – gleich, was der Verband macht. Vielleicht sind aber die Zeiten der totalen Dominanz vorbei. Talente wie Phelps, Ledecky und Lochte wachsen nun einmal nicht auf den Bäumen. Für den Zuschauer ist es ohnehin spannender, bei Olympischen Siegerehrungen nicht immerzu den Star Spangled Banner zu hören. In Singapur waren rumänische, tunesische oder schweizerische Siege jedenfalls überaus wohltuend.
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