Sportliche Hipster: Auf einen Sprung im Jutebeutel
Was machen junge Menschen, wenn sie gerade mal keinen Trend setten? Sie machen sich über sich selbst lustig. Am Samstag traten sie bei der zweiten Berliner Hipster Olympiade gegeneinander an.
„Man kriegt wahnsinnig viel Speed auf so ’nem Beutel“, warnt Moderator Alex noch kurz vor dem Startschuss zum „Jutebeutel-Sackhüpfen“ – da liegen auch schon die Ersten auf der hornbrillenbewehrten Nase. Die schlaffen Stoffbeutel mögen ein äußerst geduldiger Begleiter beim Milchtüten-nach-Hause-Tragen sein, als Sportgerät verzeiht die Handtasche aller Hipster von Berlin bis Tokio keinen technischen Fehler. Wer zu kleine Hüpfer macht, kippt – ruck, zuck! – vornüber in den Dreck der 50 Meter langen Wettkampfstrecke auf dem Freigelände des Postbahnhofs am Ostbahnhof. Wer zu große Sprünge macht, den katapultiert es spätestens nach dem vierten Hopser aus der Tasche raus.
Hornbrillen-Weitwurf, Jutebeutel-Sackhüpfen, Club-Mate-Kisten-Wettrennen – zwölf Teams mit je drei bis fünf TeilnehmerInnen ringen am Samstagnachmittag auf der „Hipster Olympiade“ um den Titel „Hipster des Jahres 2012“ – nebst Wanderpokal. Fünf Vorrundendisziplinen gilt es für die in drei Vierergruppen aufgeteilten Mannschaften zu absolvieren. Die zwei punktbesten Teams aus jeder Gruppe dürfen nach der Vorrunde im Halbfinale mit Vinylplattendrehen und Hipster-Konsum-Produkttest (wer den Wert bestimmter Apple-Produkte am genauesten schätzt, gewinnt) weitermachen. Jetzt fehlt nur noch die angemessene sportliche Hommage an das Königsaccesoire jedes echten Hipsters. Als irgendwie logischer Abschluss nach Brille, Beutel und Mate-Kiste ist das Röhrenjeans-Tauziehen den beiden besten Mannschaften im Finale vorbehalten.
Lauter Blümchenblusen
Die Idee zu der Veranstaltung hatten die Initiatoren der Olympiade, Alexander Bernikas und Thomas Blockus, in einem Friedrichshainer Café. Umgeben von lauter Mädchen in Blümchenblusen und Jungs in eng anliegenden Hosen und mit dicken Brillen, machten sie sich erst über den Berliner Hipster an sich lustig. Dann überlegten sie sich Disziplinen für ihn. Und organisierten im vergangenen Jahr mit den MitstreiterInnen ihres Berliner Vereins Kultmucke e. V. (Vereinsmotto: „Mach dir deinen eigenen Kult!“) die ersten Wettkämpfe. Finanziert wird die Olympiade aus der Vereinskasse, durch Sponsoren und den Getränkeverkauf auf der Veranstaltung.
Letzterer dürfte an diesem Samstag recht einträglich verlaufen: Zu Beginn der Vorrundenwettbewerbe am frühen Nachmittag ist die Schlange vor dem Einlass bereits eindrucksvoll lang – zwei Stunden später hat sie sich noch einmal verdoppelt und reicht fast bis vor die Tore des weitläufigen Geländes. Viele sind allerdings wohl nicht allein wegen des Hipsterwettbewerbs gekommen. Den ganzen Nachmittag über gibt es im Postbahnhof Akustikkonzerte, DJs und einen Kreativ-Flohmarkt, abends eine Aftershow-Party mit Indie, Elektro und R ’n’ B.
Die Friedrichshainer Café-Spinnerei ist offenbar genau das, worauf der Berliner Hipster gewartet hat. „Wir hatten dieses Mal schon deutlich mehr Teilnehmer-Anfragen als noch 2011“, berichtet Steffi Saeger vom zehnköpfigen Kultmucke-Organisatorenteam. „Und am Ende doppelt so viele Anmeldungen, wie wir letztendlich Teams an den Start schicken konnten.“ Ausgewählt worden sind die Mannschaften, die auf dem Onlinebewerbungsformular besonders schön begründen konnten, warum ausgerechnet sie ihre Hornbrillen durch die Gegend werfen sollten.
Die angetretenen Teams namens „Tante Emma“, „Kultrocker“ oder „Yeah-Prinzessin“ machen jedenfalls der anwesenden Hipstergemeinde optisch alle Ehre: Die 80er-Jahre-Turnanzüge, die schmalen Jeans und die großen Sonnenbrillen sind zwar sportlich gesehen eher hinderlich. Und auch wenn es am Ende mit dem „Jam FM Casting Team“ einen offiziellen Sieger gibt, so richtig ernst nimmt sich niemand bei dieser Veranstaltung. Das Ganze ist vor allem auch eine große Kostümparty: „Ein echter Hipster sieht eh nicht aus wie ein Hipster“, behauptet eine Teilnehmerin. Selbst die Wettkämpfe sind für manche nur Beiwerk: „Wir wussten gar nicht so richtig, was wir hier machen müssen“, sagt Lucas von den „Flipsters“. „Bloß vor dem Hornbrillen-Weitwurf haben uns Bekannte den Tipp gegeben, dass man die Bügel einhaken muss. Dann fliegen die weiter!“
Zunächst war übrigens geplant, iPhones zu werfen – „das war den Teilnehmern aber dann doch zu kostspielig“, meint Steffi Saeger. Irgendwo hört die Coolness auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?