Sport und Krieg in der Ukraine: Helden am Ball
Nicht nur die großen Sportevents werden von ukrainischen Armeeangehörigen eröffnet. Der Applaus der Massen ist Balsam für die Seelen der Kämpfer.

Er gehört zu den Befreiern von Cherson und wurde 2022 dort verwundet. Nun arbeitet Twerdjak bei der Polizei. In seiner Freizeit pfeift er als Schiedsrichter Fußball- und Futsalspiele. An diesem Abend führt er den symbolischen Anstoß beim Futsal-Match der höchsten ukrainischen Liga aus. Zusammen mit seiner Tochter Slata, die selbst Futsal spielt, betritt er das Feld. Dann lässt er Ball fallen, seine Tochter nimmt ihn Volley und schießt. Die Halle jubelt, auch die Spieler klatschen. Jetzt kann das Spiel beginnen.
Derartige emotionale Inszenierungen, mit der die Einheit von Sport und Armee zur Schau gestellt wird, haben sich seit dem Beginn des russisch-ukrainischen Kriegs etabliert. Kriegsveteranen, aktive Militärangehörige oder Angehörige Gefallener geben das Startsignal. Angefangen hat alles im September 2022 mit der Wiederaufnahme des Fußballspielbetriebs in der Premier-Liga. Damals war es allen Beteiligten ein Bedürfnis zu zeigen, wem sie die Möglichkeit verdanken, ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen.
Im ersten Spiel, das nach dem russischen Überfall in Odessa ausgetragen wurde, der Partie von Tschernomorez gegen Inhulez Petrowe, führte der kleine Maxim den Anstoß aus, der Sohn eines Soldaten, der die Ukraine an der Front verteidigt hatte. Besonderen Eindruck hat am 16. Oktober der Beginn des Spiels zwischen Schachtar Donezk und Dnipro-1 hinterlassen. Katerina Polischtschuk sang die Nationalhymne, und Michail Djanow führte den symbolischen Anstoß aus – beide gehören zu den Verteidigern von Asowstahl in Mariupol und waren erst am Tag vor dem Spiel aus russischer Gefangenschaft entlassen worden.
Spenden für die Armee
Zu derart emotionalen Szenen kommt es nicht nur im Profisport. Auch bei Amateurspielen im Fußball, Basketball oder Volleyball gehören sie zum Alltag. Oft sind es nicht Soldaten, sondern deren Angehörige, die den Anstoß ausführen. Wenn dann die Frau und das Kind eines gefallenen Soldaten zur Spielfeldmitte schreiten, können die Spieler oft nicht an sich halten. Sie laufen auf die Angehörigen zu und umarmen sie mit Tränen in den Augen. In Oleksandrija hat einmal der einjährige Timofej ein Spiel angestoßen. Sein verwundeter Vater, der sich gerade in der Reha befand, hatte ihn aufs Feld geführt.
Ruslan Piliptschuk, Manager in Luzk
„Es geht um Respekt und um Dankbarkeit, die den Verteidigern der Heimat und ihren Familien zuteil werden soll“, sagt Ruslan Piliptschuk, der Manager der Luzker Futsal-Klubs Ljubart. „Der Auftritt von Veteranen bei Sportveranstaltungen soll den Soldaten auch zeigen, dass die Gesellschaft sie nicht vergessen hat. Und den Armeeangehörigen selbst kann der Gang in die Öffentlichkeit helfen, ihre psychologischen Traumata zu verarbeiten. Außerdem können so die Angehörigen Kriegsgefangener unterstützt werden. Es kann auch Geld für eine Militäreinheit gesammelt werden“, sagt er weiter.
Nicht selten werden auch die großen Helden des Kriegs zu den Sportveranstaltungen geladen. In Riwno hat vor Kurzem Georgi Markuschin einen Anstoß ausgeführt. Er hat mehrere Male den Dnjepr bei Cherson überquert, ist dort auf dem von Russland besetzten Ufer gelandet, hat bei Saporischschja gekämpft, in den Wäldern bei Charkiw und in der Region um Donezk. Mit Standing Ovations ist er empfangen worden.
Bisweilen eröffnen auch ukrainische Promis die Sportevents. Das Lwiw-Derby zwischen Karpaty und Ruch etwa begann mit Applaus für Viktor Rosowij. Der war lange ein beliebter Comedian. Bei einem Einsatz an der Front wurde er schwer verletzt und verlor seinen Geschmacks- und Geruchssinn. Aus dem Teilnehmer der Show „Liga des Lachens“ war ein Soldat geworden, der vor Kiew, in Cherson und Bachmut gekämpft hat.
Ebenfalls in Lwiw wurde Natalia Grabartschuk von den Fans mit Applaus begrüßt. Sie hatte bei Riwne eine russische Rakete abgeschossen. Eigentlich ist sie Erzieherin und hat in einem Kindergarten gearbeitet. Nun hat sie sich der Luftverteidigung angeschlossen. Gleich bei ihrem ersten Einsatz am 17. November hat sie einen Marschflugkörper abgeschossen. Auch sie wurde in der Lwiw-Arena gefeiert.
Natalia Grabartschuk und andere Kriegshelden schießen keine Tore, werfen keine Dreier. Aber es ist ihr Einsatz an der Front, der es anderen ermöglicht dies zu tun.
Aus dem Russischen von Andreas Rüttenauer
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