Spitzenspiel der Bundesliga: Comebacker in Gelb

Vom Mentalitätsproblem zum Mentalitätsmonster: Der BVB meistert auch Leverkusen. Und liefert trotz Abwehrfehlern und Rückstand ab.

Der Fußballprofi Erling Haaland allein auf dem Platz

Spielentscheidend: Erling Haaland kratzt sich am Kinn Foto: dpa/Vennenbernd

LEVERKUSEN taz | Zur Feier des Tages begleitete Marco Rose seine Mannschaft zur Jubeleinlage vor dem Gästeblock. Auf dem Weg wuschelte Dortmunds Cheftrainer Abwehrkraft Raphael Guerreiro kumpelhaft durchs Haar und redete intensiv auf den 27-jährigen Portugiesen ein. Die Analyse des wüsten Fußballspektakels in Leverkusen lief da bereits auf Hochtouren – doch Rose musste erst mal runterkommen: Gemeinsam mit den BVB-Kickern hockte er sich vor der entzückten Anhängerschaft mit ausgestreckten Beinen auf den Hosenboden. Das obligatorische Zappeltanzen ließ der gebürtige Leipziger aber lieber aus.

Die turbulente Achterbahnfahrt über 98 Minuten in der BayArena, die Dortmund nach dreimaligem Rückstand am Ende 4:3 gewann, hatte Rose erkennbar geschafft. „Die drei Punkte sind das Wichtigste – in einem sehr, sehr wilden Spiel von zwei sehr guten Mannschaften“, holte der Bank-Vorstand der Westfalen erst einmal tief Luft und freute sich darauf, seinen 45. Geburtstag bei einem Abendessen mit Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter entspannt ausklingen lassen zu können.

Das vorangegangene Duell der beiden Europacupvertreter schmeckte wie ein saftiger Braten – nach dem der siegreiche Rose „die offensive Qualität und Mentalität“ seiner Mannschaft würdigte. Allerdings erwähnte der Jubilar auch sein Missfallen über das allgemeine Defensivverhalten seines Teams, angefangen im Angriff. „Es macht mich sauer, wie viele Gegentore wir bekommen. Wir haben nicht viele Schüsse zugelassen. Aber die Qualität der Torchancen – das war too much“, ärgerte er sich. „Wir fahren glücklich nach Hause. Aber wir wissen auch, dass wir über ein paar Dinge sprechen müssen.“

Die erste Führung für die Werkself durch Florian Wirtz leitete Guerreiro (später mit sehenswertem Freistoßtor zum 3:3) mit einem Fehlpass ein. Vor der zweiten – erzielt durch Patrik Schick – verlor der Ex-Leverkusener Julian Brandt den Ball gegen Kerem Demirbay. „Das waren wilde 90 Minuten, die wir uns so nicht vorgestellt haben“, sagte BVB-Kapitän Marco Reus, an der Vorgeschichte zum finalen siebten Treffer entscheidend beteiligt.

Torfabrik aus Norwegen

Ehe die norwegische Torfabrik Erling Haaland die Schwarz-Gelben vom Elfmeterpunkt aus mit seinem fünften Saisontreffer auf Rang drei hinter Wolfsburg und München schoss, war Reus nach einem – nicht allzu heftigen, aber überflüssigen – Schlag von Bayers Innenverteidiger Odilon Kossounou, der ihm eine blutende Nase bescherte, zu Boden gegangen. „Der Schiedsrichter hat Interpretationsspielraum, wir akzeptieren das sportlich“, erklärte Leverkusens Coach Gerardo Seoane souverän. Sein Kollege Rose äußerte sich noch differenzierter: „Der Schiedsrichter hat in dieser Szene den Regeln entsprechend gepfiffen. Aber als Fußballfans sehen wir das nicht als Foul, das steht außer Frage. Darüber müsste man nachdenken.“

Er selbst wird sich angesichts von neun Gegentoren und dem Start in die Champions League – am Mittwoch bei Besiktas Istanbul – noch intensivere Gedanken um eine bessere Balance zwischen Defensive und Offensive machen. In bestimmten Situationen wie bei Ballverlusten müsse er die Sinne seiner Spieler noch schärfen. Sagt Rose – der aber auch weiß, dass die in Dortmund einst so verhasste Mentalitätsdebatte unter seiner Leitung einen ganz anderen Zungenschlag bekommen hat.

Beim 3:2 gegen die TSG Hoffenheim vor gut zwei Wochen konterte der BVB das 2:2 in der 90. Minute mit Haalands Siegtor in der 91. Minute. Und besonders anschaulich wird der charakterliche Wandel des Teams durch dessen letzte Auftritte in der BayArena: Im Februar 2020 kassierten die Dortmunder dort – nach zweimaliger Führung – eine 3:4-Pleite. Elf Monate später gestatteten sie Leverkusens Jungstar Florian Wirtz zehn Minuten vor Schluss den Treffer zum entscheidenden 2:1. Diesmal hingegen bäumten sich die Gäste wieder und wieder auf, klauten den Leverkusenern das Happy End – sodass Marco Rose bei allem Ärger über sein häufig unaufmerksames Rasenpersonal beim Abschied aus dem Rheinland vermelden konnte: „Ich bin megastolz auf die Mentalität meiner Mannschaft.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.