Spitzel-Affäre "Simon Brenner": 40 Euro für die gute Sache
Gregor Gysi kann aufatmen: Das LKA Baden-Württemberg erstattet der Linksfraktion im Bundestag 40 Euro zurück. Geld, das zuvor ein Spitzel für Fahrtkosten bekommen hatte.
BERLIN taz | Es ist die Wende in der schönsten Spitzel-Posse Deutschlands: Weil ein verdeckter Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamts (LKA) nicht nur eine Veranstaltung der Linksfraktion in Berlin aushorchte, sondern sich von der Fraktion dafür auch die Fahrtkosten erstatten ließ, musste jetzt das LKA einen amüsanten Brief schreiben. Empfänger: Gregor Gysi.
In dem Brief, der der taz vorliegt, ist zu lesen: "Ich darf Ihnen mitteilen, dass die von Ihnen in Ihrem Schreiben geforderte Rückzahlung der Fahrtkosten für Mai 2010 in Höhe von 40,00 Euro am 28. Juni 2011 auf das von Ihnen angegebene Konto bei der Berliner Volksbank überwiesen wurde." Ein spröder Satz, so trocken. Doch hinter der Mitteilung eines schlichten Verwaltungsvorgangs steckt eine ganz wunderbare Spitzel-Posse.
Ende letzten Jahres war in Heidelberg ein unter dem Tarnnamen "Simon Brenner" agierender LKA-Polizist von Studenten enttarnt worden, der dort monatelang linke Studierende im Studentenverband SDS und anderen Studierendengruppen ausgeforscht hatte. Bis heute ist ungeklärt, ob der Einsatz des Spitzels juristisch zu rechtfertigen war.
Doch Brenner war nicht nur in Baden-Württemberg unterwegs, sondern auch in Berlin. Dort besuchte er am 2. Mai 2010 eine Veranstaltung der Linksfraktion, organisiert von deren hochschulpolitischer Sprecherin Nicole Gohlke. Und: Brenner schaute sich dort nicht nur um, sondern ließ sich von der Linksfraktion auch die Fahrtkosten für seine Anreise erstatten. Kostenpunkt: Magere 40 Euro. Das aber erzürnte den Fraktionschef der Linken dermaßen, dass Gregor Gysi am 31. März 2011 Strafanzeige erstattete - wegen Betrugs.
Erstattung nur ein kosmetisches Signal
Veranstaltungen von Fraktionen im Deutschen Bundestag müssten besonders geschützt sein, so Gysi damals. Und die Bespitzelten dann noch selbst für deren Bespitzelung bezahlen zu lassen - eine Dreistigkeit, fand Gysi. Jetzt kann er aufatmen, die 40 Euro sind zurück.
"Das ist in gewisser Weise ein Eingeständnis und löst ein kleines Gefühl von Genugtuung aus", sagt Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke der taz. "Doch es ist natürlich nur ein kosmetisches Signal. Uns geht ja nicht um die 40 Euro, sondern um die Frage der Überwachung.“ Für die Linksfraktion ist weiterhin offen, welchen Auftrag Brenner in Berlin überhaupt hatte. Nach Angaben der Berliner Polizei soll der Spitzel allerdings seinerzeit keinen konkreten Forschungsauftrag gehabt haben, sondern nur zum „Ausbau seiner Grundlegende“ in der Hauptstadt gewesen sein. Gleiches verlautet aus Reihen des baden-württembergischen LKA.
Dass das Landeskriminalamt die offene Quittung nun zahlte, könnte noch einen anderen Hintergrund haben: Denn das eingeleitete Strafverfahren ist weiter offen. Es ist derzeit bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart anhängig. Ende unklar. Landet das Verfahren vor Gericht, könnte es zu einem Kampf um die Einsicht in Akten kommen, die das LKA nur äußerst ungern preisgeben dürfte. So mutmaßen Linksparteiler, die freiwillige Rücküberweisung sei nur ein Schachzug der Behörden gewesen, um dem offenen Strafverfahren die Basis zu entziehen.
Sind die 40 Euro also ein Schuldeingeständnis? Ein Sprecher des baden-württembergischen Landeskriminalamts wollte sich gegenüber der taz nicht zu dem Fall äußern. Doch aus Reihen der Behörde ist zu hören: Zu Rückerstattungen seien die Behörden sogar verpflichtet. Ein- und Ausgaben in dem Fall seien minutiös dokumentiert und belegbar. Und der Kollege, Tarnname Brenner, habe sich nichts zu schulden kommen lassen. Den Rest, den muss nun Gregor Gysi klären. Und die Stuttgarter Staatsanwaltschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!