Spirituosenverkostung in Berlin: Eine echte Schnapsidee
Enriqueta Martinez-Rojas' Großvater trank Schnaps, wenn er Wünsche an die Götter hatte. Sie hat sich auf andere Weise in Fermentiertes verliebt.
Enriqueta Martinez-Rojas inszeniert ihre Schnapsverkostungen ein bisschen wie ein Theaterstück. Sie trägt mexikanische Kleidungsstücke und Accessoires dabei und stellt sich mit ihrem Lebensgefährten an den Enden eines Tisches auf. Wie in einem Duell werfen sich die beiden Informationen hin und her. Er: die Fakten und Zahlen über die Tequilaproduktion. Sie: die Legenden und Geschichten.
Die Gäste lachen, fragen und trinken aus traditionellen, nach Pferdehintern benannten Caballitos-Gläsern sieben ausgewählte Agavenschnaps-Destillate – Tequila, Mezcal und Pulque sind immer dabei. Nachos und Guacamole gibt es dazu auch, „damit niemand betrunken wird“, sagt Keta, wie Martinez-Rojas sich nennt. „Auch wenn für die Azteken der Alkoholrausch eine Art und Weise war, mit den Göttern zu kommunizieren.“
Fünf Jahre war sie alt, als sie das erste Mal mit Tequila zu tun bekam. In ihrem mexikanischen Geburtsort Calvillo bekreuzigten sich Menschen, um sich in die Hände der Götter zu begeben oder sich etwas von ihnen zu wünschen. Außer ihr Großvater – er trank stattdessen einen Schluck Schnaps.
44 Jahre später steht Martinez-Rojas vor einem Regal mit mehr als 120 Spirituosenflaschen aller Formen und Farben in ihrer Wohnung in Berlin-Moabit. Sie lächelt, wenn sie an ihren Opa zurückdenkt und sich heute sieht. „Seit 20 Jahren beschäftige ich mich mit Alkohol, aber ich bin keine Alkoholikerin“, sagt sie.
Die Welt verändern
Die Flaschensammlung diente ihr als Kulisse für die Onlineverkostungen, die sie seit Anfang der Coronapandemie ebenfalls veranstaltet. „Eine Mezcal-Kathedrale“, sagt sie, und über ihr wachen zwei große schwarz-weiße Porträts: Frida Kahlo und Ernesto „Che“ Guevara.
Genau wie Che Guevara will auch Martinez-Rojas die Welt verändern – „mit Mikrobiologie“. Die 49-Jährige kommt aus einer Familie von Händler*innen und wollte Ärztin werden. Weil dafür ihr Schulabschluss nicht gut genug war, studierte sie Chemie, Biologie und Pharmazie und fand so ihre wahre Bestimmung. „Da lernte ich die Mikroorganismen und den Fermentationsprozess kennen. Es war Liebe auf den ersten Blick.“
2002 kam sie mit einem Doktoratsstipendium nach Berlin und promovierte in Bioanalytik. Sie spezialisierte sich auf Angewandte Fermentation, arbeitete als Forscherin in der Bierproduktion und als Gastprofessorin, sammelte Erfahrungen mit Aroma- und Geschmacksstoffen in Getränken.
2014 gründete sie dann zusammen mit ihrem Lebensgefährten die Firma Mayahuel, mit der sie die Seminare und Verkostungen von Agavendestillaten anbietet. Die Idee dazu kam ihr bei einer Rumverkostung, die ihr jemand zum Geburtstag geschenkt hatte – dort kam die Frage auf, ob es das auch für Tequila gebe. Gab es nicht.
„Keta“ Martinez-Rojas, Bioanalytikerin
Also machte Martinez-Rojas sich selbstständig und reiste in ihr Heimatland, um die Herstellung von Agavenschnaps vor Ort zu erfahren. Sie schloss vor Ort Kooperationen mit kleinen Familien- und Frauenbetrieben. Fast ein Jahr recherchierte sie über den rechtlichen Rahmen für Import und Vertrieb mexikanischer Getränke im europäischen Raum. „Als Frau und Migrantin war es nicht einfach, mich in einer männlichen Domäne wie dem Alkoholgeschäft zu behaupten“, sagt sie.
Die Liebe zum Fermentieren hält bis heute, ihre Küche nennt Martinez-Rojas „das Labor“. Dort finden sich Gläser aller Größe, mit Kombucha, Miso, Kimchi und anderem Vergorenem. Doch die Tequilas, Mezcals und Pulques seien ihre „eigentlichen Babys“, sagt sie, während sie eine Dose Pulque – fermentierten Agavensaft – zum Probieren öffnet.
Es sind die von Martinez-Rojas geliebten Bakterien, die bei der Gärung von Tequila und anderen Agavenschnäpsen agieren – und keine Hefepilze, wie es bei Alkoholika gewöhnlich ist. Das sei nicht die einzige Besonderheit dieser Getränke, erklärt sie. „Wenn man den Herstellungsprozess eines Mezcals oder eines Tequilas kennt, versteht man, warum eine Flasche davon so teuer ist.“
Ein guter Tequila basiert auf 100 Prozent Agavenzucker. „Er wird in einem Lehmofen gekocht, wo die Fermentation stattfindet, und am Ende in einer Brennblase destilliert“, sagt Martinez-Rojas. Der Prozess könne bis zu zwanzig Tage dauern. Dagegen müsse bei einem billigen Tequila nur 51 Prozent des Zuckers aus Agaven kommen.
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Er wird in einem Autoklav, einem gasdicht verschließbaren Druckbehälter, gekocht; zur Gärung wird Hefe zugesetzt und anschließend in einer Destillationssäule destilliert, das Ganze in nur fünf Tagen. „Das ist wie ein Mikrowellen-Tequila“, sagt Martinez-Rojas und lacht. So einen Tequila würde sie mit Salz und Zitrone kombinieren, „um den unangenehmen Geschmack wieder loszuwerden“. Ein guter Tequila sei hingegen zum Riechen, Nippen und Genießen da.
In Mexiko sind Zitrone und Salz ohnehin unbekannt, ihre Verwendung sei ein Mythos, wie auch die Behauptung, dass der Wurm in einer Mezcalflasche ein Zeichen für Qualität sei. Dabei sei das nur ein Marketing-Trick aus den 1940er Jahren gewesen: Unabsichtlich war einem Hersteller ein Wurm (in Wirklichkeit eine Schmetterlingsraupe) in eine Flasche geraten. Er entschied, die ganze Produktion damit zu bestücken – mit Erfolg. Der Wurm sei geschmacksneutral und beeinflusse den Mezcal nicht. „Doch heute verzichten die qualitätswertig besseren Mezcals auf den Wurm“, sagt Martinez-Rojas.
Auch solche Geschichten erzählt sie bei den Verkostungen. Dass ihre Gäste glücklich sind, kann Keta Martinez-Rojas mit ihrer Nase erkennen. „Ich kann die Pheromone riechen.“
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