Spielfilm über Künstler Edvard Munch: Malen, solange der Atem reicht
Er will unbedingt unangepasst sein: Der neue Film des norwegischen Regisseurs Henrik Martin Dahlsbakken erzählt von Edvard Munch.
Für Edvard Munch war der künstlerische Ausdruck seines Seelenlebens, der Erlebnisse, die sich tief darin eingeschrieben haben, unentbehrlich. Ein Leben ohne das Malen war für den norwegischen Künstler kaum vorstellbar: „Ich glaube nicht an die Kunst, die nicht das zwanghafte Ergebnis des menschlichen Drangs ist, sein Herz zu öffnen“, brachte er sein daraus gewachsenes Verständnis von kreativem Schaffen als existenzieller Notwendigkeit selbst einmal auf den Punkt.
Was zunächst so klingen mag wie die kapriziösen Ausführungen eines allürenreichen Künstlers, der sein Werk unbedingt mit Bedeutung aufladen will, gewinnt unweigerlich an Authentizität, wenn man sich mit den Widrigkeiten seiner Vita auseinandersetzt. Die Biografie Edvard Munchs, der 1863 in der damals noch „Christiania“ genannten und strenggläubigen Hauptstadt eines seinerzeit verarmten Norwegens zur Welt kam, war von Kindheit an durch eine danteske Schwere geprägt.
„Munch“. Regie: Henrik Martin Dahlsbakken. Mit Alfred Ekker Strande, Mattis Herman Nyquist u. a. Norwegen 2023, 104 Min.
Erfahrungen von Krankheit und Tod
Seine frühen Erfahrungen von Krankheit und Tod, das sich später zur einer ständigen Wegbegleiterin entwickelnde Erleben von Verlust und Isolation schlagen sich in einer Malerei aus schwerfälligen Pinselstrichen und sattfinsteren Farben nieder. In Bildern, die nicht den Anschein erwecken, als hätte Munch es auf eine Zurschaustellung elaborierter Handwerkskunst, sondern vielmehr auf das Sichtbarmachen der Essenz seiner Erfahrungen abgesehen. So, als könnte jede Zierde die Bestimmtheit dieser Erfahrung schmälern.
Das Wesen des Porträtierten, seines Lebens wie seiner Schöpfungen, dem Publikum begreiflich zu machen, ist die wahrscheinlich vornehmste Aufgabe einer Filmbiografie. Vielleicht, so denkt man anfangs noch, in der Absicht, dieser Anforderung gerecht zu werden, hat Regisseur Henrik Martin Dahlsbakken für seine Annäherung an den Ausnahmekünstler einen reizvoll atypischen Ansatz gewählt. Sein Spielfilm „Munch“ verzichtet nicht nur gänzlich auf eine lineare Erzählstruktur, sondern fokussiert sich zudem allein auf vier Fragmente seiner Vita.
Dialoge mit dänischen Psychiater Daniel Jacobsen
Das Drehbuch, das der ebenfalls aus Norwegen stammende Dahlsbakken gemeinsam mit Mattis Herman Nyquist, Fredrik Høyer, Gine Cornelia Pedersen und Eivind Sæther verfasste, wirft Schlaglichter auf Edvard Munch im Alter von 21, 30, 45 und 80 Jahren – jeweils dargestellt von anderen Schauspielern. Statt durch Chronologie sind die Stationen durch eine Art thematische Assoziationskette miteinander verbunden, wodurch der Plot wiederholt zwischen ihnen wechselt.
Das Interessanteste dieser biografischen Bruchstücke ist dabei wider Erwarten nicht etwa eines, das sich einem Munch als angehenden und voller Lebensdrang steckenden Künstler widmet – womöglich, weil es eine solche Version seines Selbst niemals gab –, sondern dreht sich um den Maler im mittleren Alter. Dahlsbakken versammelt darin alle Dämonen, die Munch (Ola G. Furuseth) sein ganzes Dasein über plagten, und bringt sie durch Dialoge mit dem damals für seine fortschrittlichen Therapiemethoden bekannten dänischen Psychiater Daniel Jacobsen (Jesper Christensen) zum Vorschein. Nach einer langen Episode schweren Alkoholismus und einer ständigen inneren Unruhe begab sich Munch 1908 in dessen Klinik in Kopenhagen.
Er malt blind-bleiche Gesichter
Während des Aufenthalts, der sich durch schwermütige Schwarz-Weiß-Bilder im beengenden 4:3-Format vom Rest des Films abhebt, werden der jähe Tod der älteren Schwester Sophie, die im Alter von 15 Jahren an der Schwindsucht starb, und der frühe Verlust der Mutter, ebenfalls durch Tuberkulose, als einschneidende Erlebnisse in Munchs Leben skizzenhaft thematisiert. Einen Bezug dazu, wie diese seelischen Blessuren wiederum Stil und Sujets des Malers beeinflussten und in Werken wie „Das kranke Kind“ oder „Tote Mutter und Kind“ ganz konkret zum Ausdruck kamen, stellt „Munch“ als Film, der sich sehr im Vagen wohlzufühlen scheint, allerdings nicht her.
Mitunter legt Dahlsbakken seinem 45-jährigen Munch zwar bedeutungsschwere Ausführungen in den Mund. Etwa wenn er ihn gegenüber seinem Nervenarzt davon sprechen lässt, die Personen hinter jeder Maske sehen zu können. Davon, dass sie ihn an Leichen erinnerten, die ohne Unterlass einen verschlungenen Pfad zu ihrem Grab entlang eilten. Um darin einen Verweis auf die eigentümliche Art, blind-bleiche Gesichter zu malen, die von Schmerz und Schrecken verzerrt beinahe jeder Menschlichkeit entbehren, zu erkennen, braucht es jedoch einiges an Interpretationswillen.
Das tiefe Gefühl von Zurückweisung
Ohnehin ist „Munch“ eine äußerst voraussetzungsstarke Filmbiografie, die kaum Verbindungen zu seiner Kunst herstellt und nur selten Konkretes zur Vita des Malers bietet. Die prägende, weil turbulente Beziehung zu Tulla Larsen (Gine Cornelia Pedersen) wird in eiligen Rückblenden aufgegriffen, ihre wichtige Rolle in Munchs Leben ist kaum zu erahnen. Dass es zwischen den beiden zu einem Streit kam, bei dem Munch durch einen Pistolenschuss immerhin ein Fingerglied verlor, ebenso wenig.
Dahlsbakken ergründet die Liebe und ihre Enttäuschung als weiteres zentrales Thema seines künstlerischen Schaffens stattdessen im wohl konventionellsten Kapitel des Films. Es folgt dem 21-jährigen Munch (Alfred Ekker Strande) während eines gemeinsamen Sommers mit seiner verbleibenden Familie in Åsgårdstrand, wo er die verheiratete Milly Thaulow (Thea Lambrechts Vaulens) kennenlernt.
Die Darstellung ihrer kurzen Affäre verlässt sich auf malerisch-sonnengeflutete Bilder, die um klischeebeladene Motive zwischen romantischem Waldspaziergang und einer Eifersuchtsszene auf einem Gartenfest kreisen. Für Munch, der den Abend später im Gemälde „Tanz des Lebens“ rekapitulierte, soll diese Beziehung immerzu von Bedeutung geblieben sein, das tiefe Gefühl von Zurückweisung ebenfalls. Weshalb, das vermag die unspezifisch erzählte Liebesgeschichte nicht zu vermitteln.
Der Wert des Nonkonformismus
Wesentlich größere inszenatorische Experimentierfreudigkeit findet sich im Fragment, das sich den Wanderjahren Edvard Munchs widmet. Um die Zeit des norwegischen Malers in Berlin zu illustrieren, versetzt Dahlsbakken den 30-Jährigen (Mattis Herman Nyquist) in die Hauptstadt der Gegenwart. Im Aufzug eines typischen Hipsters mit Oberlippenbart und Buzz-Cut-Frisur radelt er über das Tempelhofer Feld, der Morgenhimmel darüber wird zum Meer aus bunten Nebelschwaden, wie man sie aus einigen Gemälden des Künstlers kennt.
Die spielerische Interpretation der Ereignisse des Jahres 1892, als der konservative Berliner Künstlerverein, echauffiert über die vermeintliche Rohheit von Munchs Stil, ein frühzeitiges Ende seiner Ausstellung erwirkte, verliert sich inhaltlich allerdings gleichfalls in Klischees: So versucht der vorerst verkannte Künstler seinen Frust in einem Underground-Club wegzutanzen, gerät dabei in einen berauschten Streit über den Wert des Nonkonformismus. Plötzlich wirkt Munch wie die unfreiwillige Karikatur eines von sich selbst überzeugten, aber talentlosen DJs, wie es sie weiterhin zahlreich nach Berlin zieht.
Er verlässt sich auf exaltierte Kunstgriffe
Des Eindrucks, dass Dahlsbakken für seine Filmbiografie womöglich selbst aus dem unbedingten Willen heraus, etwas Unangepasstes zu schaffen, zu einer ungewöhnlichen Struktur und plakativen Stilmitteln greift, kann man sich im Laufe dieses mitunter sehr erzwungen wirkenden Films immer weniger erwehren.
Obwohl ein nonkonformistischer Ansatz im zuletzt übermäßig bemühten Biopic-Genre charmant anmutet, versäumt Dahlsbakken es, gewagteren inszenatorischen Entscheidungen einen tieferen Sinn zu verleihen, und lässt sie reizlos beliebig wirken. So auch die Besetzung des 80-jährigen Munchs mit einer weiblichen Schauspielerin (Anne Krigsvoll) in der das Geschehen einrahmenden Vignette, die ihn als zurückgezogenen Eremiten zeigt, der seine Gemälde zu einem Großteil der Stadt Oslo vermacht, um sie vor den Nazis zu beschützen.
Wenn man so will, lässt sich Dahlsbakkens filmisches Verfahren als das genaue Gegenteil von Edvard Munchs Malerei beschreiben. Anstatt im Stil zu reduzieren, um die Essenz eines Motivs einzufangen, verlässt er sich auf exaltierte Kunstgriffe. Effektheischend setzt er in Szene, was auf inhaltlicher Ebene oft nicht über Allgemeinplätze hinausgeht.
„Munch“ trübt so eher den Blick auf die Besonderheiten eines Künstlers, der sein Leben ganz und gar der Kunst verschrieb und rund 30.000 Werke hinterließ, als dass er sie seinem Publikum begreiflich machen würde. Das Interesse an einem Maler, dessen Bildern das „Malen-Müssen“ wahrlich anzusehen ist, sollte man sich dadurch nicht nehmen lassen. Und vielleicht ausnahmsweise lieber ins Museum gehen.
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