Spielfilm über Franz Kafkas letztes Jahr: Der Dichter als Liebender
Der Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ will von Kafkas unbekannten Seiten erzählen. Er konzentriert sich auf eine kurze Zeit des Glücks.
![Eine Frau und ein Mann schauen aus der Tür eines Zuges, nahe zuammengerückt Eine Frau und ein Mann schauen aus der Tür eines Zuges, nahe zuammengerückt](https://taz.de/picture/6885416/14/14-D.Herrlichkeit.d.Leben21063-1.jpeg)
Ein Kafka-Jubiläum steht ins Haus! Das lässt sich unter anderem daran erkennen, dass dieser Tage gleich zwei Produktionen erscheinen, die sich mit dem von Mythen umrankten Schriftsteller aus Prag beschäftigen. Während die Miniserie von David Schalko („Kafka“) in wenigen Tagen in der ARD zu sehen ist, widmet sich ihm das österreichisch-deutsche Drama „Die Herrlichkeit des Lebens“ gerade im Kino.
Weil es sich bei diesem Jubiläum um den 100. Todestag von Franz Kafka handelt, ist es vielleicht nur folgerichtig, dass dieser Film um dessen letztes Lebensjahr kreist. Zunehmend unter seiner Lungentuberkulose leidend, verbringt der 40-jährige Kafka zu Beginn der Handlung gerade Zeit bei der Familie seiner Schwester Elli (Daniela Golpashin) an der Ostsee.
Allerdings ist das, was das Regieduo Georg Maas („Zwei Leben“) und Judith Kaufmann inszenieren, kein kafkaesker Schrecken, kein düsterer Sterbehorror. Kaufmann, die zu den profiliertesten deutschen Kamerafrauen („Das Lehrerzimmer“) gehört, setzt nicht etwa auf eine bedrückend-bedrohliche Bildsprache, die man mit den finstereren Romanen und grotesken Erzählungen des Autors assoziieren könnte. Zunächst ist alles leichtfüßig und unaufgeregt, die Szenerie geradezu lichtdurchflutet.
Dass „Die Herrlichkeit des Lebens“ mit der gängigen Wahrnehmung des Daseins von Franz Kafka als von Depression, Angst und Unbehagen geprägt, brechen möchte, lässt sich schon am Titel ablesen. Er stammt von Michael Kumpfmüllers 2011 erschienenem Roman, der dem Drehbuch, das Georg Maas gemeinsam mit Michael Gutmann („Wir sind dann wohl die Angehörigen“) verfasste, als Vorlage diente.
So wie sich schon das Buch als eine Darstellung der weniger bekannten Seiten des Schriftstellers gerierte, tut dies nun auch die Adaption. Zwar wirkt er durchaus etwas verschroben, der hochgewachsene, magere und stets etwas schlaksig aussehende Kafka (Sabin Tambrea), wenn er im schwarzen Anzug am Strand sitzt. Doch als seine Blicke die der 15 Jahre jüngeren Dora Diamant (Henriette Confurius) treffen, folgt auf das anfängliche Umeinandertänzeln kein baldiger Rückzug.
Anders als es mit den zentralen Frauen seines Lebens bisher der Fall war, lässt sich Kafka auf die aus Polen stammende Erzieherin, die mittlerweile in Berlin wohnt und dort für das Jüdische Volksheim arbeitet, tatsächlich ein. Anstatt sich, wie sonst, in Ausreden zu flüchten, sobald aus der Verbindung etwas Verbindliches zu werden droht, folgt er ihr nach nur ein paar gemeinsamen Spazier- und Badegängen in die deutsche Hauptstadt.
Dadurch, dass sich ein Großteil von „Die Herrlichkeit des Lebens“ dort abspielt, geraten die bekannten Motive der gängigen Rezeption Kafkas beinah beiläufig in den Hintergrund: Der bleierne Büroalltag der Unfallversicherungsanstalt etwa, der sein Schreiben ebenso beeinflusste wie die einschüchternde Präsenz des Vaters, die seinen Roman das „Das Urteil“ bedeutend prägte.
Leerstellen bleiben
Letzterer dringt nur noch als Spukgestalt in das Geschehen vor, wenn Kafka seiner Geliebten von dem rund hundertseitigen Brief erzählt, den er einst für den Vater verfasste, den dieser aber niemals las; oder wenn des Vaters wütende Stimme durch den Hörer des Telefons dringt, nachdem Diamant ihn um Geld gebeten hatte, um die Arztrechnungen zu begleichen, die mit dem sich rapide verschlechternden Gesundheitszustand Kafkas immer höher werden.
Darin besteht die wohl größte Schwäche dieses Ansatzes: Es mag reizvoll klingen, Kafka abseits des allgemein Bekannten zu porträtieren und zum Klischee gewordene Sujets wie das des geplagten Schriftstellergenies bewusst auszusparen. „Die Herrlichkeit des Lebens“ verpasst es allerdings, die so entstehenden Leerstellen mit anderweitig Spannendem zu füllen.
Stattdessen kreist die Handlung um die finanziellen Sorgen des Paares, befeuert durch die horrende Inflation der Zwanziger und den beständigen Streit mit der garstigen Vermieterin (Michaela Caspar), die wegen des unverheirateten Zusammenseins der beiden bloß nicht der Kuppelei bezichtigt werden will.
Die unaufgeregte Inszenierung von Maas und Kaufmann verlässt sich sichtbar darauf, dass der Trotz der Frischverliebten, sich dennoch über das wenige Glück, das ihnen bleibt, zu freuen, ihre Erzählung trägt – auch emotional. Dafür bleibt das Band zwischen Kafka und Diamant aber schlicht zu opak, dazu verweilen ihre Gespräche zu sehr im Oberflächlichen.
„Die Herrlichkeit des Lebens“. Regie: Georg Maas, Judith Kaufmann. Mit Henriette Confurius, Sabin Tambrea u. a. Deutschland/Österreich 2024, 99 Min.
Schwerer als im Zusammenhang der Liebesbeziehung wiegt die Trivialität allerdings im Kontext des Schriftstellers selbst. Kafka wird seiner Mythen beraubt – und zurück bleibt ein Mann, der stirbt. Auch das mag in sich bemerkenswert wirken: den Tod in seiner Alltäglichkeit ernst nehmen, anstatt seine Tragik an der Besonderheit und Berühmtheit dessen zu bemessen, den er ereilt.
Weil der Film stets auf seltsamer Distanz zum Innenleben seines Protagonisten bleibt, gelingt jedoch auch das nicht. Als Franz Kafka dann am 3. Juni 1924 nach zermürbender Krankheit, die ihm am Ende nicht einmal mehr das Sprechen erlaubte, in einem Sanatorium im österreichischen Kierling stirbt, berührt dieser Film selbst hier erschreckend wenig.
Dass es durchaus möglich ist, mit den Erwartungshaltungen an den Schriftsteller, der heute zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren weltweit zählt, zu brechen und dabei dennoch bis zuletzt in seinen Bann zu ziehen, beweist besagte Miniserie von David Schalko („Ich und die anderen“) mit Verve. Möchte man sich angesichts des Jubiläums noch einmal neu mit Franz Kafka beschäftigen, wäre das die weitaus wohltuendere Wahl.
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