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Spielfilm „The Assessment“ über ZukunftDer Untergang ist schmucklos

Kinderkriegen nur mit staatlicher Erlaubnis: Fleur Fortunés Spielfilmdebüt „The Assessment“ über den Alltag in einer nahen Zukunft ist bildgewaltig.

Aber mit Stijl: Virginia (Alicia Vikander) und Mia (Elizabeth Olsen) in „The Assessment“ Foto: Capelight

Die Frage, ob man in eine im Verfall begriffene Welt noch Kinder setzen darf, treibt bereits heute einige junge Menschen um. Es geht um moralische Bedenken, eine individuelle Verantwortung für die nächste Generation, die die Auswirkungen der Klimakatastrophe mit voller Härte zu spüren bekommen könnte.

In „The Assessment“ stellt sich diese Frage nicht mehr. Die Umwelt ist bereits unwirtlich geworden, die Natur nahezu restlos zerstört und persönliche ethische Erwägungen sind einem gesetzlichen Fortpflanzungsverbot gewichen: Um ein Kind zeugen zu dürfen, braucht es nun eine rechtliche Erlaubnis. Und um die zu erlangen, bedarf es wiederum einer offiziellen Bestätigung der Eignung zur ­Elternschaft.

Mia (Elizabeth Olsen) und Aaryan (Himesh Patel) bringen dafür wichtige Voraussetzungen mit. Als Wissenschaftler werden sie als wertvolle Mitglieder einer neuen Gesellschaft erachtet, die qua einer speziellen Droge nicht mehr altert: Während sie in einem High-Tech-Gewächshaus mit Pflanzen experimentiert, um neue Wege für eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion zu erschließen, forscht er an der Entwicklung virtueller Nachbildungen von Tieren.

Weshalb die Arbeit des Ehepaars wichtig ist, aber auch warum Mia und Aaryan wohl unbedingt ein Kind wollen, veranschaulichen schon die ersten Aufnahmen: Ihr Haus steht verloren in einer wüstenähnlichen Landschaft, leblose Stille umgibt sie – unterbrochen wird sie nur von der KI-Stimme ihres Smart Homes. Anders als mit dem dringenden Wunsch, dieser eremitischen Existenz zu entkommen, ist ihr Durchhaltevermögen während des bizarren Prüfungsprozesses jedenfalls kaum zu erklären.

Der Film

„The Assessment“. Regie: Fleur Fortuné. Mit Elizabeth Olsen, Alicia Vikander u. a. Vereinigtes Königreich/Deutschland/USA 2024, 114 Min.

Proben sämtlicher Körperflüssigkeiten

Virginia (großartig grotesk: Alicia Vikander) trägt dafür die Verantwortung und zieht über die nächsten sieben Tage bei Mia und Aaryan ein. Was sie dabei bewerten wird, ist unklar. Danach gefragt werden, darf sie nicht.

Das Fragenstellen obliegt allein ihr: Wie zufrieden sie mit der Beziehung sind, will sie in einer gesonderten Befragung der beiden Partner wissen, wie sie einander beschreiben würden, wie oft sie miteinander schlafen und auch, wie oft sie dabei zum Orgasmus kommen. Später wird sie ihnen beim Sex zusehen, Proben sämtlicher Körperflüssigkeiten des Paares nehmen und sie ein komplexes Spielhaus für ein potenzielles Kind aufbauen lassen.

Die Atmosphäre des Spielfilmdebüts der französischen Regisseurin Fleur Fortuné bleibt über alledem erstaunlich nüchtern, die Stimmung seltsam abgeklärt. Selbst dann, als der ohnehin kafkaeske Prozess immer skurrilere Züge annimmt und Virginia sich von der peniblen Prüferin in die Rolle eines trotzigen Kleinkindes begibt, mit Essen um sich wirft, bestimmt Grenzen überschreitet und sich ebenso wie Mia und Aaryan in ernsthafte Gefahr bringt.

Das liegt vor allem an der ästhetischen Strenge von „The Assessment“: Das reduzierte Setdesign von Jan Houllevigue und die distanzierte Kamera von Magnus Nordenhof Jønck verleihen dem Film eine sterile Kälte. Das unfreiwillige Dreiergespann sitzt mehrmals vor einem Fenster, das an die puristischen Kompositionen des niederländischen De-Stijl-Malers Piet Mondrian erinnert, bewegt sich durch karge Räume, die sich ganz und gar skandinavischen Einrichtungsidealen verschrieben haben.

Adolf Loos, der heute als zentraler Vordenker der modernen Architektur gilt, schrieb in seinem Essay „Ornament und Verbrechen“ (1910), dass die „Evolution der Kultur gleichbedeutend mit dem Entfernen des Ornaments aus dem Gebrauchsgegenstande“ sei. Ein Glaube, dem wir – wirft man einen Blick auf sich hartnäckig haltende Wohntrends oder führt sich neuere Bauwerke im Straßenbild vor Augen – bis heute aufzusitzen scheinen.

Design für den Verlust einer gesellschaftlichen Erzählung

In „The Assessment“ wird er ad absurdum geführt, die Schmucklosigkeit von Mia und Aaryans Zuhause zum zentralen Stilmittel des Films erhoben und steht endgültig nicht mehr für zeitlose Eleganz, sondern nur noch für den Verlust einer gesellschaftlichen Erzählung. Der reine Fokus auf Funktionalität ist hier kein Designfetisch mehr, sondern Ausdruck eines absoluten Rationalisierungszwangs, von vollendeter Effizienz­ergebenheit.

Denn auch wenn Mia und Aaryan glauben, zur Speerspitze eines neuen Systems zu gehören und mit ihrer staatlich reglementierten Familienplanung an einem Glücksversprechen der alten Welt festhalten wollen, lässt sich der Mangel an Ressourcen und die Künstlichkeit dieses neuen Lebens letztlich nicht leugnen. Das unterstreicht auch das Finale, das zwar überhastet erscheint, aber in seinen Aussagen unerbittlich eindeutig ist.

Nach Joshua Oppenheimers satirischem Untergangsmusical „The End“, das vergangene Woche in den deutschen Kinos startete, ist „The Assessment“ damit bereits die nächste Dystopie, in der die unheilvolle Präsenz einer bereits passierten Klimakata­strophe das Geschehen durchzieht. Auffällig ist, dass beide Werke, anders als das Gros der Endzeitfilme, weder einen actiongeladenen Überlebenskampf zeigen noch abseitige Sci-Fi-Szenarien imaginieren.

Stattdessen geht es um den Alltag in einer nahen Zukunft, die glaubwürdig eng mit den technologischen Gegebenheiten unserer Gegenwart verwoben bleibt – und gerade das verleiht diesem erzählerischen Ansatz eine ganz eigene Bedrohlichkeit. Seiner Unaufgeregtheit wohnt etwas Fatalistisches inne: Nach „The End“ ist auch „The Assessment“ weniger aufgebrachte Mahnung als Ausdruck einer bitteren Schicksalsergebenheit, frei nach dem Motto: „Schaut nur, was wir angerichtet haben.“

Visuell beeindruckend ist das allemal – berührend oder gar bewegend allerdings nicht. Dafür zeigen sowohl die Figuren als auch die Inszenierung von Fleur Fortuné, die bisher übrigens vor allem für die Regie stylischer Musikvideos bekannt ist, schlicht zu wenig der menschlichen Regung.

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