Spielfilm „Kopfplatzen“ über Pädophilie: Leben mit dem Dämon
Savaş Ceviz schildert in seinem Spielfilmdebüt „Kopfplatzen“ die Nöte eines Pädophilen. Das Thema ist im Kino nach wie vor eine Ausnahme.
In Markus’ Leben gibt es keine Farben. Die Wohnung: in dunklen Tönen gehalten, viel Grau. Im Kleiderschrank sieht es nicht anders aus. Unauffällig, gedeckt. Versteckt? Savaş Ceviz lässt in seinem Film „Kopfplatzen“ wenig Raum für Ungewissheit. Was in Markus (Max Riemelt), einem 29-jährigen alleinstehenden Architekten, vorgeht, vermittelt sich bereits in den ersten Filmminuten. Sie zeigen einen gedrungenen, nicht unattraktiven Mann, der sich zwischen Büroalltag und Boxstudio bewegt, abendliche Mahlzeiten vorm Fernseher einnimmt sowie trockene Kuchenstücke im Kreis der Familie.
So weit, so normal. Wären da nicht die Toilettenszenen. In großer Regelmäßigkeit nämlich flüchtet sich Markus in die Kabine, um den Druck loszuwerden, der sich rasch und heftig aufstaut. Ihn wegzureiben, bis zum nächsten Mal. Oder die geheime Fotosammlung im Flachablageschrank, die wächst und wächst. Unter anderem dadurch, dass Markus mit Kamera und Stativ das Geschehen auf dem Fernsehbildschirm einfängt. Umrisse von Kindern erscheinen dann bald darauf im hauseigenen Fotolabor.
„Ist doch alles in Ordnung bei Ihnen. Sie sind doch kerngesund“, meint ein Arzt, den Markus in seiner Verzweiflung aufsucht. Denn die ist es, die Savaş Ceviz in seinem Spielfilmdebüt einzufangen sucht. „Kopfplatzen“ behandelt eine Zeitspanne, die von einem Anstieg der Not geprägt ist. Es ist, als würde Markus in einem Boot mit Leck sitzen. Immer wieder läuft es voll, droht zu versinken. Und der, der in ihm hockt, schöpft ununterbrochen das Wasser nach draußen. Vergebens.
Es gibt nicht viele Filme, die sich dezidiert mit dem Thema Pädophilie befassen. „The Woodsman“ (2004) von Nicole Kassell ist einer von ihnen. Er porträtiert Walter (Kevin Bacon), der nach zwölfjähriger Haftstrafe entlassen wird und eine Stelle in einem Sägewerk in Philadelphia antritt. Kassell ist an einem Neuanfang gelegen, die Katastrophe, wenngleich laufend aufflammend, liegt hinter Walter. Für Markus zeichnet sie sich ab. Erst recht, als Jessica (Isabell Gerschke) mit ihrem achtjährigen Sohn Arthur (Oskar Netzel) seine Nachbarin wird.
Begegnung mit Missverständnis
Dabei ist die Begegnung von Beginn an von einem Missverständnis bestimmt: Während Jessica hofft, in Markus den Mann gefunden zu haben, der sie liebt und ihrem Sohn ein geeigneter Vaterersatz sein könnte, entwickeln sich Markus’ Gefühle in Richtung Arthur. Ein heimliches Dreieck, das für einige unangenehme Szenen sorgt.
Denn was Ceviz in „Kopfplatzen“ macht – und es ist zum Teil auch die Dynamik, aus der „The Woodsman“ seine Spannung generiert –, ist der Wechsel verschiedener Perspektiven. Beide Filme wenden viel Zeit dafür auf, das Innenleben ihrer Protagonisten transparent auszugestalten. Beide Männer, Walter und nun Markus, sollen berühren. Und sie tun es. Walter vor allem aufgrund der exzellenten Verkörperung Kevin Bacons; Markus, weil Ceviz ihn durch ein ultimativ tragisches Wechselbad der Gefühle schickt.
„Kopfplatzen“. Regie: Savaş Ceviz. Mit Max Riemelt, Oskar Netzel u. a. Deutschland 2019, 99 Min. Als Video-on-Demand auf www.salzgeber.de
Wenn Markus jenen Arzt aufsucht, der ihm Gesundheit attestiert und der, nachdem er den wahren Grund des Besuchs („Ich liebe Kinder. Ich finde sie erregend.“) erfahren hat, Markus aus der Praxis wirft, und wenn ein zweiter Arzt, jetzt einer, der sich eher aufs Psychische versteht, ihn darüber unterrichtet, dass es keine Heilung gibt und mahnt: „Markus, Sie dürfen nicht in Versuchung geraten“ –, dann dämmert es dem Mann allmählich, dass ihm nicht nur ein Leben am gesellschaftlichen Rand bevorsteht, sollte er mit seiner Neigung offen operieren, sondern auch eines, dass ohne echte Chance auf erfüllende Liebe samt Sexualität ist.
Das Auge hinter der Kamera bedient sich gnadenlos
„There is no glory in prevention“, hört man dieser Tage oft, obschon der Zusammenhang ein anderer ist. Und es ist wichtig, dass Ceviz wiederholt Momente einflicht, die zeigen, was ohne Prävention droht. Es ist das Auge hinter Markus’ Kamera, das sich gierig und gnadenlos an dem bedient, was es erblickt – etwa Arthurs Körper bei einem gemeinsamen Schwimmhallen-Ausflug. Oder die Hände, die beim anschließenden Einseifen des Jungen unter der Dusche ein Begehren erahnen lassen, das bei anderen Badegästen Misstrauen weckt.
Es ist die dunkle Seite, die im Film metaphorisch anhand eines eingesperrten Wolfs verdeutlicht wird, den Markus recht häufig aufsucht. „Der Dämon in mir“ lautet dann auch der deutsche Verleihtitel von „The Woodsman“.„Kopfplatzen“ möchte zeigen, wie so ein Leben mit einem derartigen Dämon aussehen kann.
Und er gelangt zu dem Schluss, dass es ein schreckliches ist. Eines, das zwischen Selbsthass, Scham und Einsamkeit changiert. Und dubiosen Internetbekanntschaften. Die Bilder, die zu Anfang nur farblos waren, werden im Fortlauf gleichzeitig auch immer leerer.
„Kopfplatzen“ ist kein Meisterwerk in Sachen Subtilität. Aber dem Film gelingt es doch, Mitgefühl für ein Schicksal zu fördern, das, vertraut man der Statistik, von nicht wenigen ertragen wird.
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