Spielerwechsel in der Fußball-Bundesliga: Der Vernunftschmerz
Um sich finanziell zu stabilisieren, verkauft der 1. FC Köln Schlüsselspieler Anthony Modeste an Borussia Dortmund. Das könnte sich noch rächen.
Immerhin wurden die Kölner an diesem eigentlich ziemlich traurigen Tag reichlich von dieser im Fußball immer noch unterschätzten Kraft getragen, die sich hinter dem Begriff „Spielglück“ verbirgt. Das 3:1 gegen den FC Schalke zum Auftakt der Bundesligasaison war geprägt von mehreren umstrittenen Schiedsrichterentscheidungen, die nach Rücksprache des Unparteiischen Robert Schröder mit dem Videoassistenten allesamt zugunsten der Kölner gedreht wurden. „Wir sind benachteiligt worden“, sagte Schalkes Sportdirektor Rouven Schröder und sogar Kölns Trainer Steffen Baumgart bestätigte diesen Eindruck der Übervorteilung.
Der Aufsteiger aus Gelsenkirchen kann sich also mit guten Argumenten über den Verlust von drei Punkten beklagen, die Kölner haben aber viel mehr verloren: Wenige Stunden vor Anpfiff der Partie wurde bekannt, dass Anthony Modeste, der wahrscheinlich wichtigste Spieler der vergangenen Saison, an Borussia Dortmund verkauft wird. „Das hat uns alle verärgert“, sagte Baumgart und meinte mit diesen Worten weniger den Wechsel als solchen, als den Zeitpunkt des Bekanntwerdens am Sonntagvormittag.
Die Mannschaft wurde von Eilmeldungen im Internet mit der Nachricht von dem unmittelbar bevorstehenden Wechsel überrumpelt. Baumgart, der den Stürmer noch am Vormittag beim Training gesehen hatte, strich Modeste kurzerhand aus dem Kader für das Schalke-Spiel: „Uns war klar, dass wir das im Kollektiv auffangen müssen“, sagte der Abwehrspieler Luca Kilian. Und genau dieser Zusammenhalt wird nun immer wichtiger beim FC. Denn mit Modeste verlässt der beste Individualist den Klub, und der ganze Vorgang zeigt in großer Deutlichkeit, wie schwer angeschlagen der 1. FC Köln wirtschaftlich ist.
Aufgelöste „Lebensversicherung“
„Fakt war, es gab relativ viele Gründe dafür, dem Transfer zuzustimmen und relativ wenige, die dagegengesprochen haben, es ihm nicht zu ermöglichen“, sagte Sportchef Christian Keller am Sonntagabend. Im Subtext hieß dieser Satz. Die Qualität dieses Spielers, der in der vergangenen Saison 20 Tore geschossen hat, der mal als „Lebensversicherung“ und mal als „Unterschiedsspieler“ beschrieben wurde, wiegt nicht viel gemessen an der wirtschaftlichen Bedeutung des Deals.
Geschätzte fünf Millionen Euro können die Kölner für den 34 Jahre alten Franzosen verlangen, hinzu kommt eine Gehaltseinsparung zwischen drei und vier Millionen Euro. Der FC braucht das Geld. „Gesundung ist unser Hauptauftrag“, sagte Keller, und Baumgart berichtete von einem „Weg“, den der Klub nun einmal eingeschlagen hat.
Das Präsidium hat gemeinsam mit Keller, der im Frühjahr aus Regensburg nach Köln kam, und mit dem neuen Finanz-Geschäftsführer Philip Türoff beschlossen, zwei Jahre der Entbehrungen in Kauf zu nehmen, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und einiger weniger guter Entscheidungen der Vergangenheit zu bewältigen. Keller bezeichnete den Klub schon bei seiner Vorstellung recht offen als „Sanierungsfall“. Bis 2024 sollen Altlasten beseitigt werden, „damit wir uns in zwei Jahren wieder frei bewegen können“, sagte Präsident Werner Wolf.
Die knapp zehn Millionen Euro, die die Kölner durch die Ablöse für Modeste und die Gehaltseinsparung einnehmen, sind ein wichtiger Schritt, auch wenn das Risiko enorm ist. Mit Salih Özcan hat der Klub schon einen anderen Topspieler der erfolgreichen Vorsaison abgegeben, und unter den Neuzugängen befindet sich kein einziger richtig gestandener Bundesligaspieler. Niemand dürfte sich wundern, wenn die Kölner in Abstiegsgefahr geraten. Und sollten sie am Ende in der zweiten Liga landen, werden die Verantwortlichen sich vorwerfen lassen müssen, Modeste verkauft zu haben, obwohl sie den Verlust hätten verhindern können.
Die Erzählung, dass der Spieler unbedingt wegwollte, ist zwar nicht falsch, wenn die Kölner aber jederzeit klargestellt hätten, dass so ein Szenario überhaupt nicht infrage kommt, hätte Modeste damit sehr wahrscheinlich auch ganz gut leben können. Aber der Verein hat von Anfang an mit diesem Verkauf geliebäugelt und im Kader „vorgebaut“, wie Keller sagte.
Mit Steffen Tigges vom BVB und Sargis Adamyan (Hoffenheim) wurden zwei neue Stürmer unter Vertrag genommen, die Modeste nun ersetzen sollen. Immerhin war gegen Schalke schon einmal zu sehen, dass diese Mannschaft auch ohne Modeste Torgefahr erzeugen kann: Erstaunlicherweise schoss der FC nicht nur drei Tore, sondern auch 30 Mal aufs Tor. Häufiger als in jeder Partie der Vorsaison, mit Modeste.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist