Spenden von Homosexuellen: Dein Blut ist zu schwul
Schwule dürfen seit den 90er Jahren kein Blut spenden. Wegen des HIV-Risikos. Die Behörden sind sich uneinig, ob das Verbot gelockert werden soll.
BERLIN taz | Sie lässt sich nichts anmerken. „Haben Sie die letzte Frage richtig gelesen? Stimmt Ihre Antwort?“ – „Ja, natürlich.“ – „Manche verlesen sich da.“ Sie schießt ein Foto für die Kartei, testet die Venen. Bittet kurz, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Dabei weiß sie längst, dass es mit der Blutspende heute nichts wird. Nie etwas werden wird.
Ein privater Blutspendedienst in Berlin. Das Wartezimmer ist leer, an den Wänden hängen Motivationsplakate. „Sie retten Menschenleben“, steht da. Nach zwei Minuten bittet die Ärztin in ihr Zimmer. Auch sie fragt lieber noch einmal nach.
„Sagen Sie, die letzte Frage: Sind sie bi- oder homosexuell?“
„Homosexuell.“
„Das ist schade.“
Sie meint das nicht abwertend. „Dann können Sie leider kein Blut spenden. Sie gehören zur Gruppe mit hohem HIV-Risiko und sind dauerhaft ausgeschlossen.“ Sie sagt das sehr freundlich. Es überrascht nicht, es sind Vorgaben, an die sich die Ärztin halten muss, sonst droht ihr der Verlust der Approbation. Ein sehr nettes Gespräch entwickelt sich. Über das Für und Wider des generellen Blutspendeverbots für „Männer, die mit Männern Sex haben“, kurz MSM, wie es in der Fachsprache heißt. Weniger diskriminierend als „schwul“ soll das klingen.
Erst kürzlich habe sich ein heterosexueller Spender mit ihr unterhalten, sich aufgeregt, dass sein schwuler Freund, der seit zehn Jahren monogam lebt, sein Blut nicht spenden darf. Sein Bekannter, der jedes zweite Wochenende eine Frau aus dem Club abschleppt, aber schon. „Er hat recht. Heteros mit solchem Sexualverhalten sind ein viel größeres Risiko“, sagt die Ärztin.
Blutspende in Deutschland: Pro 1.000 Einwohner werden jährlich 59 Blutspenden geleistet. Das liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 39 Spenden pro 1.000 Einwohner. Dennoch reicht es nicht aus. Der Bedarf ist fast doppelt so hoch.
HIV-Risiko: Homosexuelle Männer haben ein deutlich erhöhtes Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Die genauen Zahlen schwanken allerdings. Bei ungeschütztem Analverkehr – egal ob unter Homo- oder Heterosexuellen – ist das Risiko etwa 18-mal so hoch wie bei ungeschütztem Vaginalverkehr. Die Bundesärztekammer begründet ihr Verbot der Blutspende von Homosexuellen damit, dass sich Männer, die miteinander Sex haben, 100-mal so häufig mit HIV infizieren wie Hetero-Männer.
Andere Länder: In nahezu allen Ländern werden Personen von der Blutspende ausgeschlossen, die eine hohes Risiko haben, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. Allerdings sind nicht alle Länder so rigide wie Deutschland. In Großbritannien, Schweden und Südafrika etwa dürfen MSM 1 bis 10 Jahre nach ihrem letzten Sexualkontakt mit einem Mann wieder spenden. In Spanien ist das schon sechs Monate nach dem letzten Sexualkontakt mit einem neuen Partner möglich, das gilt dort aber auch für Heterosexuelle. In Italien wird Homos und Heteros mit wechselnden Partnern das Blutspenden nur erlaubt, wenn sie schon vier Monate in einer festen Partnerschaft sind. Eine EU-Richtlinie, die MSM generell von der Blutspende ausschließt, gibt es nicht. (pw)
Das generelle Verbot geht auf die 1980er Jahre zurück, als das HI-Virus noch weitgehend unbekannt und die Diagnostik kaum ausgereift war. Mehrere hundert Menschen infizierten sich damals durch Bluttransfusionen mit dem Virus. Seitdem gilt das Verbot. Nicht nur für homosexuelle Männer. Auch Prostituierte, Häftlinge und Drogenabhängige dürfen nicht spenden. Selbst Frauen, die in den vergangenen Monaten mit einem bisexuellen Mann geschlafen haben, sind ausgeschlossen.
Die Fensterphase
Grund des Verbots ist das erhöhte HIV-Risiko. Zwar wird jede Blutspende auf HIV und andere Viren getestet, bevor sie freigegeben wird. Aber die Tests können noch immer keine frischen Infektionen erkennen. Hat sich ein Spender in der Fensterphase – also wenige Tage bis etwa vier Wochen vor der Spende– infiziert, kann das Blut HIV-Viren enthalten, obwohl der Test negativ ist.
Seit Einführung des HIV-Tests aller Blutkonserven haben sich in Deutschland nur noch sechs Menschen über Bluttransfusionen mit HIV infiziert. Zwei der Blutspenden kamen von Homosexuellen, der Rest von Heterosexuellen.
Seit Jahren flammt die Debatte über das generelle Verbot immer wieder auf. Schwulenverbände kritisieren, dass schwule Männer unter Generalverdacht gestellt werden. Besonders die Grünen setzen sich für eine Änderung der Richtlinien ein. „Es geht nicht, dass die sexuelle Identität allein zum dauerhaften Ausschluss führt, nicht im Jahr 2013“, sagt Biggi Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, der taz. Es komme auf ein riskantes Sexualverhalten an.
Auch auf ihr Wirken hin wurden 2010 die Formulierungen in den Fragebögen für die Blutspender überarbeitet. Wurden früher noch homo- und bisexuelle Männer mit Prostituierten, Häftlingen und Junkies in einer Fußnote in einen Topf geworfen, werden Männer heute nach Intimkontakt mit anderen Männern gefragt. „Das klingt besser, hat aber praktisch nichts geändert“, sagt Bender. Sie plädiert dafür, Fragebögen zu entwickeln, in denen nach dem individuellen Sexualverhalten gefragt wird. Nach wechselnden Partnern, gleich ob hetero- oder homosexuell.
Die weiche Richtlinie
Dass der generelle Ausschluss homosexueller Männer nicht mehr zeitgemäß ist, hat jetzt auch die zuständige Bundesärztekammer (BÄK) entdeckt. Ende Juni machte die Meldung Schlagzeilen, dass die Kammer das Verbot lockern will und „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ auf eine Veränderung der entsprechenden EU-Richtlinien hinwirken wird. Dass EU-Länder wie Spanien und Italien längst realitätsnäher mit dem Thema umgehen, zeigt allerdings, dass die EU-Richtlinien kein komplettes Verbot fordern.
Selbst Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) begrüßte den Vorstoß. Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag und selbst schwul, reagiert verhaltener: „Das ist am Ende eine medizinische Entscheidung und keine politische. Wir sollten aber grundsätzlich froh sein um jede und jeden, der mit seiner Blutspende anderen Menschen helfen möchte, egal ob hetero- oder homosexuell“, sagte er auf Nachfrage.
Auch die Gesundheitsminister der Länder haben das Thema aufgegriffen und im Juni die Bundesärztekammer aufgefordert, die geltende Praxis zu prüfen.
Diese Prüfung läuft seit Jahren. An dem generellen Verbot hat das nichts geändert, obwohl selbst die Experten der Ärtzekammer sowie von Vertretern von Robert-Koch-Institut (RKI) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) bereits 2012 in einer Arbeitsgruppe zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen sind.
So empfiehlt die Expertengruppe, „dass der dauerhafte Ausschluss von der Blutspende infolge Sexualverhaltens mit hohem Risiko in eine zeitlich befristete Zurückstellung für 1 Jahr geändert werden sollte“. Ein dauerhafter Ausschluss erwecke nämlich den Anschein einer Diskriminierung wegen der sexuellen Identität.
Das Paul-Ehrlich-Institut, das als Behörde für die Zulassung von Impfstoffen auch die Qualität von Blutprodukten kontrolliert, äußert sich gegenüber der taz nicht konkret dazu, ob es den Vorstoß unterstützt. Die Empfehlung der Expertengruppe werde bei der „jetzt anstehenden Aktualisierung der Hämotherapie-Richtlinien diskutiert werden“, heißt es lediglich.
Deutlich positiver reagiert Deutschlands oberste Seuchenbehörde, das Robert-Koch-Institut. „Das RKI vertritt die Auffassung, dass der dauerhafte Ausschluss von der Blutspende infolge Sexualverhaltens mit hohem Risiko geändert werden sollte“, teilt es mit. Und schließt sich der Empfehlung der Expertengruppe an, schwule Männer das Blutspenden zu ermöglichen, wenn sie „ein Jahr lang keinen sexuellen Kontakt mit Männern hatten“. Das ist zwar unrealistisch, aber immerhin kein generelles, diskriminierendes Verbot mehr.
Die mögliche Lüge
Schon jetzt ist die Praxis widersprüchlich. So verlässt man sich auf die Ehrlichkeit der Spender. Wer will, kann bei der Beantwortung des Fragebogens lügen. Es gibt viele Schwule, die seit Jahren Blut spenden; Heterosexuelle, die – trotz eines ausschweifenden Sexuallebens mit wechselnden Partnern – regelmäßig spenden. Manche nutzen die Blutspende gar als kostenlose und anonyme Möglichkeit, sich auf HIV testen zu lassen. Experten glauben, dass sich eine Änderung der Richtlinien positiv auf die Ehrlichkeit und das Bewusstsein der potenziellen Spender auswirken wird.
Die Expertengruppe empfiehlt etwa, „eine Änderung der Ausschlusskriterien mit einer konzentrierten Aufklärungskampagne zur Verbesserung der Adhärenz [also der Ehrlichkeit; d. Red.] zu verbinden“. So könnte also das Bewusstsein für die Gefahren steigen wie die Ehrlichkeit der Spender auch. Es gehe dabei nicht um eine Lockerung der Kriterien, sondern um eine „Anpassung an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft“.
Das generelle Blutspendeverbot für Schwule mutet auch unter einem anderen Gesichtspunkt fragwürdig an. Denn bei der Organspende gibt es keine solchen Einschränkungen, obwohl die gleichen Risiken bestehen. Zwar wird bei männlichen Organspendern, deren Homosexualität bekannt ist, das Organ gesondert untersucht, um das Zeitfenster für den frühestmöglichen Virusnachweis zu verringern, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation auf Nachfrage mitteilt. „Dennoch bleibt bei jeder Transplantation ein Restrisiko für den Empfänger.“
Doch der Bedarf an Organen sei hoch, es gebe einen eklatanten Mangel an Spenderorganen. „Für jeden Empfänger ist das Risiko unter Umständen höher, ohne das entsprechende Organ zu sterben“, so die Stiftung weiter.
Die Ärztin beim Berliner Blutspendedienst versteht diese ungleiche Handhabung nicht. „Klar ist das Risiko bei Schwulen höher, aber deshalb die ganze Gruppe ausschließen, das ist absurd“, sagt sie. Sie hofft, dass es auch in Deutschland bald eine Regelung gibt, die weniger diskriminiert. „Und dann kommen Sie wieder, und spenden wirklich Ihr Blut.“
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