Spekulativer Leerstand: Investor hat sich verzockt
Der Eigentümer der Habersaathstraße 40-48 verliert gegen einen Bestandsmieter vor Gericht. Damit rückt der Abriss in weite Ferne.
Mit dem Urteil geht ein vielschichtiger stadtentwicklungspolitischer Konflikt in die nächste Runde. Pichotta erwarb den 1984 errichteten Plattenbau 2017 zu einem überhöhten Kaufpreis, mit der Absicht, das Gebäude abzureißen und durch einen profitableren Neubau zu ersetzen. Pichotta ließ das Gebäude zunehmend verfallen, ließ einen Großteil der Wohnungen leerstehen. Durch einen Deal mit dem Bezirk im vergangenen Jahr konnte Pichotta bereits eine Bau- und Abrissgenehmigung herausschlagen. Doch auch nach sechs Jahren hält ein kleiner Rest an Mieter:innen an den unbefristeten Verträgen fest und wehrt sich gegen den spekulativen Abriss.
Mit sogenannten Verwertungskündigungen versucht Pichotta nun, das Mietverhältnis der sechs verbleibenden Parteien zu beenden. Voraussetzung für eine solche Kündigung ist, dass der Eigentümerin „erhebliche Nachteile“ durch den Fortbestand des Mietverhältnisses entstehen.
Kein Recht auf Profitmaximierung
Einen „erheblichen Nachteil“ sah die Richterin allerdings nicht. „Das Gebäude ist gar nicht in so einem wahnsinnig schlechtem Zustand“, anstatt es abzureißen, könne er das Gebäude auch verkaufen oder renovieren. Diese Optionen seien von der Eigentümerin aber gar nicht erst erwogen worden, was die dem Gericht vorgelegte Kalkulation unglaubwürdig macht. „Ich kann nicht auf Räumung urteilen, nur damit ihre Gewinnmaximierung eintritt“, argumentiert die Richterin. Die Rechte der Mieter:innen sei halt das unternehmerische Risiko, das Pichotta mit dem Kauf eingegangen ist.
Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, bezeichnet das Urteil als „wichtiges Signal an alle renditegetriebenen Grundstücksverwerter:innen“ und sieht die Urteilsbegründung als Blaupause für die fünf noch ausstehenden Prozesse gegen Bestandsmieter:innen. Auch eine mögliche Berufung Pichottas sei wenig vielversprechend. „Das Landgericht schützt ein immobilienwirtschaftliches Verwertungsinteresse nur in äußerst engen Grenzen“, vermutet Bartels.
Auch der Rechtsanwalt des beklagten Mieters, Cornelius Krakau, begrüßt das Urteil. „Besser hätte es nicht laufen können“. Krakau erhofft sich nun ähnliche Ergebnisse für die drei weiteren Mieter der Habersaathstraße, die er vertritt. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit sei es wünschenswert, das Gebäude zu erhalten. Gleichzeitig gibt der Anwalt zu bedenken, dass trotz des rechtlichen Erfolgs die Situation vor Ort weiterhin belastend ist.
Kriminelle Methoden
Erst Mitte vergangener Woche drangen Angestellte eines privaten Sicherheitsdiensts und einer Baufirma in das Gebäude ein, bauten Stromzähler und Fenster in mehreren Wohnungen aus und stellten die Warmwasserversorgung ab. Auch forderten sie die rund 50 ehemals obdachlosen Bewohner:innen eines selbstverwalteten Wohnprojekts, das sich seit Dezember 2021 in dem Haus befindet, auf, das Haus zu verlassen. Dabei traten die Handwerker und Securities äußerst aggressiv auf und zertrümmerten mehrere Wohnungen im Haus.
Während die Stromversorgung für die Bestandsmieter:innen wiederhergestellt ist, gibt es für die Bewohner:innen des Wohnprojekts weiterhin keinen Strom, ebenso gibt es im gesamten Haus kein warmes Wasser.
„Die kriminellen Methoden des Eigentümers müssen aufgearbeitet werden“, fordert Niklas Schenker, mietenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, in einer Pressemitteilung am Donnerstag. Auch solle der Senat prüfen, den Wohnraum zu kaufen oder zu enteignen, um die Bewohner:innen dauerhaft zu schützen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag