piwik no script img

Spaziergänge an der Berliner S-BahnLaufen entlang des Ringes

In der Pandemie braucht man Umwege und neue Blickwinkel. Dabei helfen Spaziergänge entlang des S-Bahn-Ringes durch Kleingärten und kleine und große Straßen.

Blick auf die Berliner Ringbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Südkreuz und Schöneberg Foto: dpa

I ch liebe Umwege. Etwas anders zu machen, es zweckentfremden, verspricht immer neue Blickwinkel. Und wenn es etwas gibt, das in der Pandemie fehlt, dann sind es neue visuelle Eindrücke. Eigentlich lässt es sich in meinem Kiez schön flanieren – aber bekanntermaßen stirbt die Liebe nicht an Hunger, sondern an Übersättigung.

Wo also spazieren? Auf der Behmbrücke kommt mir plötzlich ein Einfall: Ich könnte den S-Bahn-Ring doch einmal zu Fuß ablaufen! 27 Stationen, möglichst nah an den Gleisen entlang. Tausendmal abgefahren, doch trotzdem nie richtig dort gewesen – das soll sich ändern. Die ersten Strecken sind einfach: Zwischen Gesundbrunnen und Greifswalder Straße läuft es sich ruhig, viele Parks, kleine Straßen.

Spannender wird es erst am Treptower Park: Im Dämmerlicht am Güterbahnhof vorbei zur Sonnenallee lerne ich Neukölln noch mal anders kennen. Einmal treffe ich einen Freund zum gemeinsamen Ringbahn-Laufen.

Wir starten an der Hermannstraße, laufen südlich des Tempelhofer Felds entlang. Der Weg ist eintönig und lang. Wollen wir nicht lieber auf dem Feld sitzen?, fragt der Freund. Ich bleibe hart, sage nein. Bis zum Südkreuz will ich heute mindestens.

Kleinbürgerlich und Kleingarten

Wir passieren Einfamilienhäuser, staunen über das kleinbürgerliche Fliegerviertel nur wenige Meter vom Feld entfernt. Immer wieder konsultieren wir die Online-Karte. Wirklich an den Gleisen entlang kann man meistens nicht laufen, immer wieder versperren Kleingartenanlagen oder Häuserfronten die Sicht. Wir sind auf Umwege angewiesen.

Irgendwo hinter dem Südkreuz gehen wir schließlich verloren. So ungemütlich zwischen Baustellen, Gleisen und Autobahnkreuzen bin ich selten spazieren gegangen. Erschöpft schaffen wir es zum S-Bahnhof Schöneberg, wo sich der Freund kopfschüttelnd von mir verabschiedet.

Die nächste Teilstrecke laufe ich wieder alleine. Das ist auch einfacher, denn auf der Pulitzbrücke am Westhafen ist es so laut, dass eine Unterhaltung ohnehin fehlschlagen würde. Am Bahnhof Jungfernheide mache ich Feierabend, denn um zur nächsten Station zu gelangen, muss ich den Schlossgarten durchqueren und dafür wird es mir gerade zu schnell dunkel.

Ein unentwirrbares Geflecht

Seitdem ist viel Zeit vergangen. Das S-Bahn-Projekt war ein frühes Coronaprojekt, doch abgeschlossen ist es immer noch nicht. Der Grund liegt tief im Westen: Halensee bereitet mir Kopfschmerzen. Das Vierländereck aus letzterem, Witzleben, Westend und Grunewald sieht schon auf der Karte unbezwingbar aus. Hier kreuzen sich Bahngleise aus mindestens fünf Richtungen, zudem sorgt ein unentwirrbares Geflecht aus Autobahnauf- und abfahrten für Chaos.

Zwischen Halensee und Witzleben, das wird mir klar, werden Spa­zier­geh­hel­d:in­nen geboren. An diese Herausforderung denke ich schuldbewusst, während ich gelangweilt die immer gleichen Kreise um mein Wohnhaus ziehe. Die Umwege, sie fehlen mir schon.

Eine Reise in den Südwesten muss ich bald jedoch ohnehin antreten. Das Semesterticket will erneuert werden und das geht – auch zu Pandemiezeiten – nur in Dahlem an Ort und Stelle. 58 Minuten Anreise per Bahn: Das muss doch noch umständlicher gehen. Seit Tagen schon brüte ich über der Karte, um die perfekte Route zu finden. Laufen aus Lichterfelde? Spazieren aus Schmargendorf?

Plötzlich entdecke ich einen mir bislang völlig unbekannten Ortsteil: Schönow. Meine Entscheidung steht sofort, das Viertel links außen will ich besuchen. Dumm nur, dass Schönow gar keinen Bahnhof hat. Aber: Aus Teltow Stadt sind es auch nur 26 Minuten zu Fuß. Dafür muss ich eine Landesgrenze und einen Fluss überqueren. Vielleicht bin ich danach endlich bereit für Halensee.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Julia Hubernagel
Kulturredakteurin
Studium der Geschichte und deutschsprachigen Literatur in Bochum und Berlin. Redakteurin im Kulturressort.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Umwege sind immer zu begrüssen.



    Börlin: S-Bahn



    Colonia: Grüngürtel



    Vallée: petit ballon, Schnepf, gaschney