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Sparpolitik in BerlinHerber Einschlag

Der Sozialbereich scheint bei den Kürzungen glimpflich davongekommen zu sein. Die Wahrheit ist: Befristete Projekte und deren Angestellte sind extrem bedroht.

Über tausend So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen und Betroffene protestierten gegen Kürzungen in der Bildungs- und Jugendhilfe Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Schon von Weitem sind die Trillerpfeifen und Rasseln zu hören. Mehrere Hundert Menschen haben sich am Donnerstagvormittag am Anhalter Bahnhof versammelt: Mit­ar­bei­te­r:in­nen von Sozialprojekten, Kinder- und Jugendeinrichtungen, aber auch viele Kids. Zu der Protestaktion #unkürzbar gegen die Sparpläne des Senats in Bildung, Kinder und Jugendhilfe hatten Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aufgerufen.

„Viele So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen wissen nicht, ob sie im Januar noch ihre Stelle haben“, ruft ein Gewerkschaftsvertreter unter Applaus ins Mikrofon. Langsam setzt sich der Demozug Richtung Abgeordnetenhaus in Bewegung. Dort stehen an diesem Donnerstag die Sparbeschlüsse der schwarz-roten Landesregierung auf der Tagesordnung.

Auf den ersten Blick scheint das Soziale noch glimpflich davongekommen zu sein. Nur rund 75 Millionen Euro sollen im Ressort von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) gekürzt werden, bei einem Gesamtsparvolumen von 3 Milliarden Euro. Dennoch sind die Auswirkungen enorm – besonders für die Beschäftigten, die nun mit Stellenabbau, Nullrunden und Lohnverlusten rechnen müssen. „Das ist ein richtig herber Einschnitt, wie ich ihn für unsere Stadt in den letzten 20 Jahren nicht gesehen hab“, kommentiert der Vorstandschef der SozDia-Stiftung, Michael Heinisch-Kirch.

Zu den auf der Sparliste stehenden 75 Millionen kommen dann noch weitere 50 Millionen Euro, die Berlin eigentlich dafür verwenden wollte, die Tarifsteigerungen bei den freien Trägern zu refinanzieren. Das Senatsversprechen, die Gehälter bei den freien Trägern endlich dem Lohnniveau im öffentlichen Dienst anzupassen, droht damit flachzufallen.

Tarifverträge rechtsverbindlich

Die Kürzungspläne torpedieren jegliche Anstrengungen der freien Träger und Gewerkschaften in diese Richtung. Dabei hatte Sozialsenatorin Kiziltepe immer wieder versprochen, Tarifabschlüsse, die sich am Tarifvertrag der Länder orientieren, refinanzieren zu wollen, und verwies dabei auf die im Haushalt vorgesehene Summe.

Das Problem: Etliche freie Träger haben in den vergangenen Jahren bereits entsprechende Tarifverträge abgeschlossen. Diese sind rechtsverbindlich, die Gehälter nachträglich zu senken, ist nicht möglich. „Wir können nur die Arbeit kürzen, dann fallen Beschäftigungsverhältnisse einfach weg“, sagt Heinisch-Kirch.

Sebastian Peters, Sprecher der Liga der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, schätzt die Lücke, die sich durch die fehlende Refinanzierung ergibt, auf zehn Prozent. „Das bedeutet schlussendlich zehn Prozent weniger soziale und gesundheitliche Angebote“, warnt Peters. Weit oben auf der Kürzungsliste stünden vor allem die befristeten Projekte und deren Angestellte. „Viele Träger stehen vor der Frage, welche Projekte sie noch weiterführen können und wo sie einsparen können“, sagt Peters.

Ein großes Problem ist nach wie vor die Ungewissheit, mit der sich vor allem die Beschäftigten mit befristeten Verträgen konfrontiert sehen. Da die Kürzungssummen in der Liste oft nur pauschal angeben sind, ist unklar, welche Projekte es in welchem Umfang genau trifft.

„Viele wissen immer noch nicht, was am 1. Januar mit ihren Projekten ist“, sagt auch GEW-Sprecher Markus Hanisch. „Das verunmöglicht die Planung für das nächste Jahr.“ Hanisch kritisiert, dass es im Vorfeld kaum Austausch mit der Senatsverwaltung bezüglich der Kürzungen gegeben hätte.

Wortbruch schwächt Verhandlungsposition

Nicht zuletzt der Wortbruch des Senats hinsichtlich Lohnangleichungen an den öffentlichen Dienst schwächt die Verhandlungsposition der Gewerkschaften, da die Träger Gehaltssteigerungen mit dem Verweis auf die fehlende Refinanzierung ablehnen können. Auch droht die Tarifbindung im Sozialbereich noch weiter zu sinken. „Die prekären Arbeitsverhältnisse werden sich vermehren“, prognostiziert Michael Heinisch-Kirch von der SozDia-Stiftung.

Während sich im Sozialbereich vor allem ein Stellenabbau und zunehmende Prekarisierung abzeichnet, drohen vielen Leh­re­r:in­nen Lohneinbußen. Gestrichen werden sollen zum Beispiel die sogenannte Brennpunktzulage, ein Bonus, der bislang an besonders herausfordernden Schulen gezahlt wurde.

Ersatzlos wegfallen soll auch der Nachteilsausgleich für Lehrkräfte, die sich nicht verbeamten lassen wollen. Dabei handelt es sich um eine Summe von 250 bis 350 Euro brutto monatlich, der den finanziellen Nachteil gegenüber Kol­le­g:in­nen kompensieren soll, die sich für eine Verbeamtung entschieden haben. Markus Hanisch von der GEW kritisiert, der Nachteilsausgleich sei ein Kompromiss, der zuvor mühevoll ausgehandelt wurde. „Das ist ein grobes Foulspiel der Senatorin.“ Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – von diesem Grundsatz scheint sich der Senat nun endgültig verabschiedet zu haben.

Klassenfahrt auf der Kippe

Aber das ist nicht das einzige Problem. „Unsere Abschlussfahrt steht auf der Kippe“, erzählt eine Zehntklässlerin des Manfred-von-Ardenne-Gymnasiums im Lichtenberger Ortsteil Alt-Hohenschönhausen, die am Donnerstag bei der Demo mitläuft. „Kürzt an den Waffen, nicht an den Menschen“, hat sie auf ihr Pappschild geschrieben.

Der Zug ist auf über 1.000 Menschen angewachsen, als kurz er vor 12 Uhr das Parlament erreicht. Mehr als zehn freie Träger habe er in der Menge gesehen, sagt ein Vertreter von Verdi zur taz. Dinge, die nicht über eine Regelfinanzierung, sondern durch Zuwendungen erfolgten und auf ein Jahr befristet seien, seien bedroht. Das gesamte Budget für die queere Jugendhilfe sei gefährdet, befürchtet eine Demo-Teilnehmerin.

Ein Jugendlicher aus einem Jugenkclub in Mitte bringt das Problem für sich in einer Rede so auf den Punkt. „Bei einer Schließung verlieren wir nicht nur die Räume, sondern auch unsere wichtigsten Beziehungen.“

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