: Sparkurs mit Missverständnissen
Heute mal kein Verkaufsgerücht: Weil die „Berliner Zeitung“ Stellen abbauen will, würden deren Verlagsanwälte am liebsten die publizistischen Grundlagen des Blattes umformulieren. Der Redaktion bleibt nur übrig, peinlich berührt zurückzurudern
von STEFFEN GRIMBERG
Kaum hat sich die Unruhe um die erneut aufgeflammten Verkaufsgerüchte beim Berliner Verlag etwas gelegt, sorgt ein solides Eigentor für Stimmung. „In der Frankfurter Rundschau vom 21. Juni wird berichtet, Chefredaktion und Geschäftsführung der Berliner Zeitung hätten beschlossen, dass ‚inhaltlich wesentliche Themen‘ von Mitarbeitern des Blattes künftig nicht mehr bearbeitet werden dürften“, hieß es gestern in einer gemeinsamen Presseerklärung von Chefredaktion und Verlagsleitung der Berliner Zeitung: „Diese Behauptung ist falsch.“
Der Grund für diese so grundsätzliche wie selbstverständliche Klarstellung war die gestern in der FR unter Verweis auf ein „Schreiben der Geschäftsleitung“ der Berliner Zeitung präsentierte Formulierung, „dass Artikel, die sich mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte auseinander setzen, in Zukunft nicht mehr recherchiert, geschrieben und gedruckt werden sollen“. Was die FR als vermeintliche „publizistische Grundsatzentscheidung“ des Blattes deutete, wurde umgehend dementiert: „Der unverstellte Blick auf die Vergangenheit in beiden Teilen Deutschlands gehört zu den journalistischen Grundsätzen der Berliner Zeitung, die konsequenter als jede andere deutsche Tageszeitung die alten Grenzen überwunden hat“, stellten Redaktion und Verlag klar. „Es gibt keinen Beschluss, der es Mitarbeitern der Berliner Zeitung untersagt, sich kritisch mit der DDR-Vergangenheit zu beschäftigen. Es gibt auch keinen Beschluss, der es Mitarbeitern (…) untersagt, sich mit irgendeinem anderen Thema kritisch auseinander zu setzen. Es wird solche Beschlüsse auch künftig nicht geben“, heißt es in der von Chefredakteur Uwe Vorkötter und Verlagsleiter Torsten-Jörn Klein unterzeichneten Erklärung.
Die ganze Aufregung hat allerdings einen schnöderen, aber genauso absurden Hintergrund: Die Berliner Zeitung muss sparen. Viel sparen. „Alle Ressorts stehen auf dem Prüfstand“, hatte Chefredakteur Uwe Vorkötter gleich zum Amtsantritt im Februar der taz gesagt. Jetzt sind die ersten betriebsbedingten Kündigungen erfolgt. Weil solch ein Rausschmiss bei eventuellen Streitigkeiten vor dem Arbeitsgericht bessere Karten hat, wenn der Arbeitsbereich der betroffenen Person wegfällt, haben sich offenbar die Anwälte des Verlags zum publizistischen Durchmarsch entschlossen. Ohne Rücksprache mit der Chefredaktion: „Hintergrund ist die arbeitsrechtliche Auseinandersetzung in einem Einzelfall“, bestätigt Vorkötter. Das Missverständniss, das sich aus „Äußerungen in einem juristischen Schriftsatz“ ergebe, „ist ausgeräumt“.
Im konkreten Fall geht es um eine Stelle im Politikressort des Blattes. Dort befasse sich „mehr Personal als erforderlich“ mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte, zitiert die FR aus einem Schreiben an den Betriebsrat der Berliner Zeitung – und könne im Rahmen der „Kapazitätsanpassungen“ eingespart werden.
Dass der Berliner Verlag mit deratigen Erklärungen wieder einmal für negative Publicity sorgt, stößt in der Redaktion „auf ziemliche Empörung“. Von „allgemeinem Unglauben“ ist die Rede, die ganze Sache sei „dumm hoch zwölf“, sagt ein Mitarbeiter.
Vor allem die seit Jahren bröckelnde Hauptleserschaft des Blattes in den ehemaligen Ostbezirken Berlins dürfte sich wieder einmal verschaukelt fühlen. Schon im Sommer 2000 hatte eine Verlagsaktion für Aufsehen gesorgt, die um ehemalige Ost-Abonnenten warb und dabei kein West-Klischee ausließ. Damals hatte ein fingierter Brief eines erfundenen Druckerei-Mitarbeiters vom „mutigen Verlag“ geschwärmt, der „viele Millionen Mark investiert hat, um die Berliner Zeitung (und damit ein echtes Stück Berlin) zu retten“.
Der oberste Chef des „mutigen Verlags“ hat mittlerweile übrigens seine angeblichen Verkaufsgelüste noch einmal ausdrücklich dementiert: Bertelsmann-Vorstand Thomas Middelhoff hat dem Bertriebsrat der Berliner Zeitung mitgeteilt, derlei habe er „nicht gesagt“. Bertelsmann ist Hauptgesellschafter des Verlagsriesen Gruner + Jahr, dem wiederum der Berliner Verlag gehört. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung hatte Middelhoff Mitte dieser Woche auf den Satz: „Nach Ihren Kriterien müssten Sie sich ebenfalls schnell von Zeitungen wie der Berliner Zeitung trennen“ lediglich sehr allgemein geantwortet, dass Bertelsmann „weitere Randgeschäfte“ abgeben wolle und sich nicht ausdrücklich gegen einen Verkauf des Blattes positioniert. „Das ist die nächste Sau, die wir durchs Dorf treiben“, kommentierte ein Redakteur die seitdem nicht verstummenden Gerüchte.
So bleibt alles beim Alten. Und auch die Kündigung, die Auslöser der aktuellen Verstimmung war, wird nicht zurückgenommen.
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