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Spannungsfeld zwischen Alt und Neu

■ Von der Mietskasernenstadt zur Stadt der Höfe: Seitdem die Hackeschen Höfe in Berlin-Mitte eine Erfolgsgeschichte sind, wird das Konzept auch in anderen Bezirken kopiert

Es gab Zeiten, da galt Berlin als größte Mietskasernenstadt der Welt – und der Hinterhof als Metapher für die beengten, lichtlosen und unhygienischen Wohnverhältnisse der Armen. Diese Auffassung zog sich von den Wohnungsreformern der Jahrhundertwende über Werner Hegemanns Kritik am „steinernen Berlin“ in der Weimarer Republik bis zur Wohnungspolitik der DDR, die gründlich aufräumen wollte mit den städtebaulichen Hinterlassenschaften des Kaiserreichs.

Heute freilich gilt in der Mietskasernenstadt Berlin nicht mehr nur das Wohnen im sanierten Altbau als schick, sondern auch das Flanieren durch die Höfe der Gründerzeit. Es sind vor allem der Standort sowie die Nutzung, die die „neuen Höfe“ zur Metapher des kulturellen Wandels im Berlin der 90er gemacht haben. Während in Kreuzberg kommunale Gewerbehöfe ein eher erfolgloses Dasein fristen, suchen findige Investoren in Mitte nach allen möglichen und unmöglichen Wegen, Brandwände zu durchbrechen und Hofcharakter zu schaffen.

Dabei war die Erfolgsgeschichte, die mit den Hackeschen Höfen begann, gar nicht abzusehen. Als Mitte der 90er Jahre der Heidelberger Bauunternehmer Roland Ernst die Höfe erwarb, schwebte ihm noch der übliche Dienstleistungsmix vor, wie es ihn heute etwa in der Friedrichstraße gibt. Bald jedoch ließ er sich von Kulturschaffenden, Gewerbetreibenden und dem Bezirk davon überzeugen, dass die Hackeschen Höfe mehr waren als nur eine Immobilie, dass es galt, den Genius Loci dieses Orts zu wahren und auch bei der Nutzung hervorzuheben. Das Berliner Publikum dankte Ernst diese Einsicht. Bei der Eröffnung im September 1996 strömten zehntausend Berliner zum Hackeschen Markt. Seitdem ist der Begriff „Höfe“ zum Markenzeichen geworden.

Dass es in Berlin die Höfe sind, in denen man sich trifft, plauscht, Kaffee trinkt oder sich sehen lässt, ist allerdings nicht nur der Wiederentdeckung der gründerzeitlichen Bebauung geschuldet, sondern auch einer Berliner Besonderheit. Die Berliner mögen nämlich keine Passagen. Anders als in Leipzig oder Hamburg, wo das Publikum scharenweise durch die Mädlerpassage oder die Passagen am Gänsemarkt schlendert, werden Passagen in Berlin links liegen gelassen. Das liegt zum einen am wenig ansprechenden Angebot, etwa bei den Passagen am Ku'damm, zum andern aber auch daran, dass der Transitraum einer Passage bei weitem nicht den Charme entwickelt wie die unübersichtlichen Grundrisse der Hofensembles. Gerade hier, im Innern der von Straßen gesäumten Blöcke, entfaltet sich ein letztes Stück Abenteuer in der Stadt, zelebrieren Boutiquen und Designerläden in alten Pferdeställen das Spannungsfeld zwischen Alt und Neu. Und dem Publikum, oft schockiert von der rationalen Langeweile der neuen „Berlinischen Architektur“, gefällt's.

Solche Erfolgsgeschichten wollen natürlich vermarktet werden. Längst schon findet man „Höfe“ nicht mehr nur in Mitte, sondern auch an den Rändern, etwa bei den „Annenhöfen“ im Plattenbauquartier Heinrich-Heine-Viertel. In der Wiederentdeckung der Höfe spiegelt sich damit auch die Sehnsucht nach der guten alten Zeit. Einer Sehnsucht freilich, die an manchen Orten die Banalitätsgrenze überschreitet. Hinter dem Lindencorso, an der Kreuzung Friedrichstraße und Unter den Linden, stand bis 1993 das alte Rosmarin-Karree, eine schmale Gasse, die im vielfach überbauten Raum der Friedrichstraße eine einmalige städtebauliche Situation darstellte. Kurz darauf wurde die Gasse abgerissen. Heute steht dort ein langweiliger Neubau. Sein Name: Rosmarin-Karree. Heute, so wäre zu befürchten, hätten ihn die Investoren womöglich Rosmarin-Höfe genannt. Uwe Rada

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