Spanischer Meerbusen wird Rechtsperson: Mehr Rechte für das Mar Menor
Die Bewässerung der Landwirtschaftsflächen in der Region Murcia stellt ein Problem für Meer und Mensch dar. Die Regierungsparteien blocken.
Seit 2016 kippt das Mar Menor immer wieder um, zum letzten Mal vergangenen August, als Bilder vom Fischsterben europaweit durch die Presse gingen. Dieses Jahr könnte es bereits im Juni so weit sein, befürchten Umweltschützer und Wissenschaftler.
Um dieses in Spanien einzigartige Ökosystem künftig besser zu schützen, haben mehrere Umweltinitiativen der Region über 600.000 Unterschriften für einen Bürgerantrag an das spanische Parlament gesammelt. Dieses möge dem Mar Menor die Rechtsform der „juristischen Person“ zusprechen. Mit Ausnahme der rechtsextremen Vox stimmten alle Parteien dafür. Noch vor dem Sommer soll das Gesetz durchs Parlament gehen.
„Das Mar Menor wird das erste Ökosystem in Europa sein, das eigene Rechte erhält“, erklärt die Mitinitiatorin des Bürgerantrags und Professorin für Rechtsphilosophie an der Universität Murcia, Teresa Vicente. „Juristische Person“ oder auch „Rechtsperson“ ist eine gesetzliche Figur, die einer Sache personenähnliche Rechte zuspricht. Das Mar Menor wird damit zu einem Rechtssubjekt, das einen gemeinnützigen sozialen Zweck erfüllt.
Auf Fluss folgt Meer
Es wird künftig möglich sein, „Personen, Unternehmen oder Einrichtungen, die das Ökosystem angreifen“, gerichtlich zu verfolgen, erklärt Vicente, die die Initiative im spanischen Parlament vorstellte. Alle Bürger können dann von den Verantwortlichen für die in der Lagune verursachten Schäden vor Gericht Schadenersatz verlangen. Bisher gibt es so etwas in Europa nicht. 2017 wurde der Fluss Whanganui in Neuseeland weltweit erstmals als Rechtsperson eingestuft.
Empfohlener externer Inhalt
„Die Gesetzesinitiative hat der Debatte über das Mar Menor sehr genützt“, sagt Pedro Luengo, Sprecher der Umweltschutzorganisation Ecologistas en Acción. Der Biologe ist außerdem Mitglied in der Initiative „SOS Mar Menor“. „Inwieweit das tatsächlich etwas an der Lage ändert, wird sich zeigen, denn ein Gesetz kann nicht rückwirkend ein Vergehen verfolgen und bestrafen“, fügt er hinzu. Er fordert dringende Sofortmaßnahmen und hat dabei die Landwirtschaft im Blick. Auf 60.000 bis 70.000 Hektar rings um das Mar Menor wird Gemüse – vor allem für den Export nach Deutschland und ins Vereinigte Königreich – angebaut.
Um die 10.000 Hektar davon sind illegal. Die Flächen werden bewässert. Dazu kommt Wasser zum Einsatz, das über ein Kanalsystem aus dem zentralspanischen Tajo überführt wird. Der Grundwasserspiegel ist dadurch gestiegen, mit Nitraten verunreinigtes Wasser gelangt in die Lagune. Was früher Ramblas – Flüsse – waren, die nur ein-, zweimal im Jahr Wasser führten, ist seit über zehn Jahren ein ständiges Fließgewässer.
Nitrate und Phosphate
Hinzu kommt, dass mehrere Feuchtgebiete bebaut und die Flussbetten der Ramblas zum Teil betoniert wurden. Bevor dies so war, wurden Regenfälle zurückgehalten, die Vegetation filterte das Wasser. Wenn es jetzt regnet, fließt das meiste Wasser sofort ins Meer, nimmt Erde und damit Nitrate und Phosphate mit. Die Landwirte mit illegalen Flächen nutzen meist Wasser aus Brunnen, entsalzen es und bewässern damit. Das mit Nitrat versetzte Salz wird üblicherweise illegal entsorgt und gelangt oftmals ins Meer.
„Die Bewässerungsflächen müssen reduziert werden“, verlangt Luengo. Auch ihm ist klar, dass eine radikale Wende zurück zur Trockenlandwirtschaft mit ihren Terrassen, die Regenfälle aufhielten und den Grundwasserspiegel wahrten, nicht mehr möglich ist. Aber zumindest die illegalen Bewässerungsflächen sollten stillgelegt werden. Die Initiative „SOS Mar Menor“ schlägt vor, dass nur noch 40.000 Hektar bewässert werden, wie dies einst vor mehreren Jahrzehnten im Landwirtschaftsplan vorgesehen war, bevor nach und nach immer mehr illegale Flächen legalisiert wurden.
Doch weder die Regionalregierung Murcia der konservativen Partido Popular mit Überläufern der rechtsliberalen Ciudadanos und der rechtsextremen VOX möchte etwas unternehmen, noch die Zentralregierung des Sozialisten Pedro Sánchez. „Keiner will auf dem Foto sein, das zeigt, wie landwirtschaftliche Flächen stillgelegt werden“, ist sich Luengo sicher. Stattdessen schlägt die Regionalregierung absurde Makroprojekte vor. So etwa ein Brunnensystem, um den Grundwasserspiegel zu senken, oder gigantische Auffangbecken, um das Regenwasser daran zu hindern, ins Meer zu gelangen. „Es geht immer darum, die Landwirtschaft in Schutz zu nehmen und die Kosten für die verursachten Umweltschäden auf den Steuerzahler abzuwälzen“, beschwert sich Luengo.
Luengo prophezeit, dass, sobald das Gesetz über die Rechtsperson für das Mar Menor in Kraft tritt, Klagen gegen die Regionalregierung, die Verwaltung und einzelne hohe Beamte wegen Verletzung der Rechte des Mar Menor nur noch eine Frage der Zeit sein werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind