Soziologin über Antifeminismus: „Antimodernes Denken“
Coronaskeptiker*innen mobilisieren mit antifeministischer Rhetorik. Das Weltbild ist breitgesellschaftlich anschlussfähig, sagt Rebekka Blum.
taz: Frau Blum, der Verein Deutsche Sprache schreibt in den sozialen Medien, die Coronakrise mache deutlich, dass Naturwissenschaften wichtiger seien als Genderstudies. Von der Werteunion und AfD kommen ähnliche Aussagen. Warum bringen die Akteur*innen diese Themen in Zusammenhang?
Rebekka Blum: Zum einen sind das Akteur*innen, die ohnehin immer wieder antifeministische Themen bespielen. Der Verein Deutsche Sprache ist ein großer Akteur bei der Mobilisierung gegen geschlechtergerechte Sprache – und die Krise hat nun angeboten, das neu anzubringen.
Zum anderen bekommen Naturwissenschaften gerade zu Recht einen besonders hohen Stellenwert. Es ist ein rhetorischer Trick von Antifeminist*innen und Rechten, Themen, die nicht miteinander zusammenhängen, rhetorisch zu verknüpfen.
Diese Strategie wenden auch Verschwörungstheoretiker*innen an. In Ihrer Studie haben Sie Antifeminismus und Coronaverschwörungen untersucht. Wie hängt beides zusammen?
Antifeminismus hat sich schon immer auch in Verschwörungserzählungen geäußert. Ich sehe da strukturelle Ähnlichkeiten, weil beide Bereiche eine Komplexitätsreduktion und einfache Feindbilder bieten. In der Coronapandemie taucht häufig eine Lebensschutzrhetorik auf. Etwa wenn der Gründer der Marke Rapunzel auf seiner Website fragt, ob wir alte und kranke Menschen schützen sollten, und das den Abtreibungen gegenübergestellt.
Hinzu kommt die Leugnung: Pandemieleugner*innen negieren, dass das Virus existiert. Antifeminist*innen leugnen, dass es eine Ungleichheit zwischen den Geschlechtern gibt. Dabei wird eine Machtelite als Feindbild imaginiert. Bei der Coronapandemie ist es jemand wie Bill Gates. Beim Antifeminismus werden feministische Akteur*innen als mächtig dargestellt und es wird von einer Staatsdoktrin fantasiert.
Wenn von Machtelite gesprochen wird, steckt dahinter eigentlich immer Antisemitismus. Wie hängt Antifeminismus mit Antisemitismus und Rassismus zusammen?
ist Soziologin und arbeitet beim „Informationszentrum Dritte Welt“, unter anderem mit dem Schwerpunkt Antifeminismus. Sie ist Mitglied im Netzwerk feministische Perspektiven und Intervention gegen die (extreme) Rechte. Ende 2020 veröffentlichte sie gemeinsam mit Judith Rahner die Studie „Antifeminismus in Deutschland in Zeiten der Coronapandemie“ bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Das tritt häufig in einer Verschränkung miteinander auf. Etwa bei der Verschwörungserzählung vom „großen Austausch“, bei dem es heißt, dass ein Bevölkerungsaustausch durch Einwanderung geplant sei.
Zudem wird behauptet, dass der Feminismus dazu führe, dass Frauen weniger Kinder kriegen, und dahinter wird dann ein großer Plan vermutet. Beim Terroranschlag in Halle hat der Attentäter dieses Narrativ aufgegriffen und am Ende gesagt, schuld daran seien die Juden.
Wie zeigt sich die antifeministische Mobilisierung bei den Protesten gegen die Coronamaßnahmen?
Das zeigt sich in der Fokussierung auf das Kindeswohl. Etwa wenn „Querdenker“ Bodo Schiffmann Erzählungen verbreitet, dass Kinder durch das Maskentragen gefährdet werden oder sterben könnten.
Was ist an der Fokussierung auf das Kindeswohl antifeministisch?
Ich würde bei Antifeminismus von einem erweiterten Begriff ausgehen, der auch LGBTQIA*-Feindlichkeit mit umfasst. Antifeminismus richtet sich gegen emanzipatorische Geschlechterverhältnisse und Erweiterungen von Heterosexualität.
Bei den „Demos für alle“ wird gegen eine angebliche Frühsexualisierung und gegen die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mobilisiert. Indem man das Kind ins Zentrum stellt, findet eine moralische Aufwertung der eigenen Position statt, obwohl das eigentlich eine homofeindliche Position ist.
Gegen die Coronamaßnahmen demonstrieren Impfgegner*innen neben Rechtsextremen. Welche Rolle spielt Antifeminismus für das gemeinsame Auftreten?
Antifeminismus ist eine Türöffnerideologie. Sowohl Antifeminist*innen als auch Pandemieleugner*innen inszenieren sich als freundlich mit Herzluftballons und Kinderchören. Zudem haben extreme Rechte, Esoteriker*innen und christliche Rechte auf den Querdenken-Demos ein geteiltes Feindbild: die Coronamaßnahmen.
Antifeminismus ist bei vielen im Weltbild enthalten. Auch Esoteriker*innen haben häufig ein binäres Geschlechterbild und eine Fruchtbarkeitsidealisierung von Frauen. Diese Festschreibung auf Mutterschaft ist eine Gemeinsamkeit mit der extremen Rechten. Das ist jetzt natürlich zugespitzt, aber trotzdem sehe ich da Überschneidungen.
Was meinen Sie mit Türöffnerideologie?
Zentral ist für mich beim Antifeminismus ein binäres, antimodernes Denken sowie eine Komplexitätsreduktion. Wenn man sich auf diese Art des Denkens einlässt, dockt da ganz viel an. Der Antifeminismus kann daher ein Türöffner für ein ganzes Weltbild sein, wo rassistisches und antisemitisches Denken sowie Verschwörungsdenken mit einhergehen.
Inwieweit begünstigen Krisen den Antifeminismus?
In Krisen wächst der Wunsch nach einfachen Erklärungen und Sicherheit. Die Coronakrise ist eine komplexe Situation, in der Verschwörungstheorien Entlastung bieten können. Wir sind zudem weniger offen für die Infragestellung von bestehenden Denkweisen. Wie der, dass unsere Gesellschaft auf einer zweigeschlechtlichen Denkweise aufbaut.
Die Rechtsextremismus-Expertin Judith Rahner sagte in einem Interview, dass Antifeminismen in der Mitte der Gesellschaft auf fruchtbaren Boden fallen. Woran lässt sich das festmachen?
Antifeminismus ist kein rein rechtes Phänomen, sondern breitgesellschaftlich anschlussfähig – weil ein sexistisches und heteronormatives Weltbild noch immer weit verbreitet ist. Etwa die Vorstellung, dass ein Kind beide biologischen Eltern braucht. Oder dass es nur Männer und Frauen gibt.
Auch Frauen können Antifeministinnen sein und machen bei den Coronaprotesten mit. Wie lässt sich das erklären?
Teilweise dadurch, dass die Situation sehr belastend für sie ist. Da ist eine Betreuungs- und Sorgelücke entstanden durch Kita- und Schulschließungen. Der Umgang damit wurde in der Krise individualisiert und privatisiert.
Sollte Antifeminismus bei der Prävention gegen rechts mehr beachtet werden?
Ja, denn wenn man sich extrem rechte Akteur*innen anguckt, gehen bei diesen Antifeminismus und enge Geschlechterbilder – Männlichkeitsbilder – immer miteinander einher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist