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Soziologe über Niedersachsens Demokratie„Nicht verhandelbare Kernpunkte“

Eine Studie stellt in Niedersachsen eine hohe Affinität zu Verschwörungstheorien fest. Motor für den Rechtsruck sei das Land aber nicht.

Thema nicht erst seit Facebook: englisches Pamphlet gegen eine „Popisten-Verschwörung“ (1678) Foto: dpa
Alexander Diehl
Interview von Alexander Diehl

taz: Herr Finkbeiner, die Menschen in Niedersachsen sind nicht „Motor“ eines bundesweit zu beobachtenden Rechtsrucks, schreiben Sie im „Demokratie-Monitor 2019“. Woran machen Sie das fest?

Florian Finkbeiner: An dieser Stelle beziehen wir uns vor allem auf das AfD-Wahlergebnis aus unserer Sonntagsumfrage. Die elektoralen Erfolge dieser Partei sind in den letzten Jahren ja schließlich zu so etwas wie dem Symbol der gesellschaftlichen Umbrüche und Konflikte geworden. Eine in der letzten Zeit immer wieder geäußerte Erklärungsfolie für den Erfolg von Parteien rechts der Mitte besagt, dass es allein die Enttäuschten, Frustrierten und die sich abgehängt Fühlenden wären, von denen solche Parteien profitieren würden. Unsere Ergebnisse widersprechen dieser These zum Teil.

Inwiefern?

Wir haben in unserer Studie zum Beispiel die Menschen offen gefragt, was sie als die wichtigsten Probleme im Land ansehen, wie viel Vertrauen sie beispielsweise Parteien und Politikern entgegenbringen. Betrachtet man nun die Antworten, dann zeigt sich relativ deutlich, wie viel Enttäuschung und Frustration da offensichtlich mitschwingt, wie viel Misstrauen gegen ganz unterschiedliche Formen von politischen Phänomenen vorhanden ist. Doch nach unserer Sonntagsumfrage würde die AfD hiervon kaum profitieren können. Wären also diese Enttäuschungen allein der „Motor“ für einen Rechtsruck, dann hätten die Ergebnisse dieser Partei eigentlich höher sein müssen. Aber das sind sie in Niedersachsen bislang nicht.

privat
Im Interview: 

Florian Finkbeiner, *1988, Politikwissenschaftler und Soziologie, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung.

Es hat sich gezeigt: Fast ein Viertel der Befragten glaubt, dass staatliche Behörden alle Bürger genau überwachten; nahezu ein Drittel stimmt der These zu, dass hinter vermeintlich unzusammenhängenden Ereignissen geheime Aktivitäten stünden; und sogar mehr als 43 Prozent gehen davon aus, dass geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen hätten.

Diese relativ hohen Werte mögen im ersten Moment vielleicht überraschen. Aber betrachtet man die Ergebnisse anderer Untersuchungen wie beispielsweise die „Mitte-Studien“ von Andreas Zick, dann zeigt sich, dass auch diese Werte in eine ähnliche Richtung gehen. Aber: Ganz genau im Detail vergleichen kann man solche Erhebungen mit unserer Studie oftmals nicht.

Ist Verschwörungsglaube immer politisch rechts – oder ist das komplizierter?

Natürlich ist es etwas komplizierter. Es scheint zwar durchaus einen gewissen Zusammenhang zu geben, aber dies bedeutet keineswegs automatisch, dass Verschwörungstheorien immer politisch rechts wären. Vielmehr findet sich eine gewisse Affinität zu verschwörungstheoretischen Versatzstücken auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft sowie im politisch linken Spektrum. Allerdings gibt es hierbei teilweise deutliche Unterschiede, je nachdem, welche Indikatoren für diese Affinität betrachtet werden. Wir haben uns dabei besonders auf drei Fragenkomplexe bezogen …

also: staatliche Überwachung, geheime Zusammenhänge und einflussreiche Organisationen.

Bei manchen dieser Fragen ist es keineswegs so, dass die AfD-Wähler diesen Aussagen unbedingt mehr zustimmen würden als beispielsweise Linken-Wähler. Bei einzelnen Fragen gibt es kaum wesentliche Unterschiede, bei anderen wiederum deutliche Differenzen. Betrachtet man allerdings das Antwortverhalten zu allen genannten Fragen, würde ich vorsichtig formulieren, dass es zumindest einen Zusammenhang gibt zwischen der Affinität zu verschwörungstheoretischen Erklärungs- und Rationalisierungsversuchen und der Neigung zur Wahl von Parteien rechts der Mitte.

Wenn die Menschen etwa an die Existenz geheimer einflussreicher Organisationen glauben: Wen genau vermuten sie da am Werk?

Wenn es beispielsweise um die vermeintliche Existenz solcher geheimen einflussreichen Organisationen geht, dann liegt die Vermutung zumindest nahe, dass es sich dabei um Assoziationsformen von geheimen Machenschaften handeln kann. Dies wiederum wäre ein prototypisches Anzeichen von Antisemitismus, weil der antisemitische Wahn ja genau darin eine seiner Grundlagen findet, dass es „der Jude“ sei, der hinter diesen geheimen Machenschaften stehen würde.

Aber?

Ob den Befragten eine solche Assoziation überhaupt bewusst ist oder ob diese damit nicht doch etwas ganz anderes meinen, all dies können wir nur auf Basis der bisherigen quantitativen Erhebungen nicht sagen. Diese inneren Zusammenhänge müssen noch tiefer gehender untersucht werden.

Der Monitor

Der Niedersächsische Demokratie-Monitor fußt auf einer telefonischen Befragung von 1.001 Bürger*innen ab 16 Jahren (70 Prozent Festnetz, 30 Prozent Mobil).

Die erste solche Erhebung in einem westdeutschen Bundesland soll alle zwei Jahre wiederholt und dazwischen qualitativ ergänzt werden.

Stine Marg, Florian Finkbeiner, Steffen Kühnel, Efpraxia Dermitzaki: Niedersächsischer Demokratie-Monitor 2019 (NDM); 76 S. ISSN 2628-3743

Im Netz: www.fodex-online.de/publikationen/niedersaechsischer-demokratie-monitor-2019/

Was Sie ja auch tun.

Genau solchen Fragen und vermeintlichen Widersprüchen, wie übrigens auch bezüglich der unterschiedlichen Demokratievorstellungen, gehen wir derzeit in unserem ersten Anschlussprojekt nach, indem wir diese qualitativ vertiefend untersuchen. Die ersten Ergebnisse hierzu sollen bis Ende des Jahres vorliegen.

Wo Sie gerade den Aspekt der „Demokratie-Vorstellungen“ erwähnten: Was haben Sie da bisher erfahren?

Wir haben die Menschen ganz offen danach gefragt, was „Demokratie“ für sie bedeutet, welche Prinzipien und Leitvorstellungen sie damit verbinden. Dabei hat es uns gewissermaßen überrascht, dass es für unsere Befragten keineswegs „die eine“ Demokratievorstellung gibt, sondern dass es offensichtlich ganz unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, was die Menschen mit „der“ Demokratie verbinden. Aber es gibt gewisse Kernpunkte, die die meisten Befragten teilen, die dann auch nicht verhandelbar sind.

Meinungsfreiheit, Respekt vor Andersdenkenden, Chancengleichheit und Machtwechsel“, schreiben Sie, gehörten „für drei Viertel der Niedersachsen unbedingt zur Demokratie dazu“.

Es zeigen sich zum Teil aber auch deutliche Unterschiede, was die Demokratie neben diesen zentralen Leitvorstellungen noch weiter ausmacht. Zum Beispiel sind die Aspekte, ob Experten über grundlegende Probleme der Gesellschaft entscheiden sollten oder ob eine „nationale Leitkultur“ zu einer Demokratie gehöre, weithin umstritten.

Was mich vielleicht am meisten überrascht hat: die ausgeprägte Skepsis gegenüber den sozialen Medien. Die Wahrnehmung ist doch: Wer bestimmten Weltbildern zuneigt, wird sich eher via Facebook oder Twitter Bestätigung durch Gleichgesinnte suchen, als sich herausfordern zu lassen durch angebliche „Systemmedien“.

Natürlich entsteht oftmals der Eindruck einer politischen Verwahrlosung, wenn man sich teilweise Online-Kommentarspalten ansieht. Aber dieser Ausschnitt spiegelt offensichtlich nicht die Realität. Denn nach unserer Untersuchung misstrauen die meisten Befragten den sozialen Medien.

Rund drei Viertel, lese ich.

Und nur ein Viertel gibt an, ihre politischen Informationen über die sozialen Medien zu beziehen. Es scheint auch kein Zufall zu sein, dass genauso wenige angeben, soziale Medien als politische Ausdrucksformen zu nutzen oder dort regelmäßig aktiv zu sein. Diese und weitere Faktoren – auch aus anderen Untersuchungen – lassen vermuten, dass die Bedeutung der sozialen Medien nur für einen relativ kleinen Ausschnitt aus der Bevölkerung zutrifft, aber gerade dieser Teil scheint besonders aktiv zu sein.

Zur besseren Einordnung ihrer Erkenntnisse aus Niedersachsen könnte beitragen, wenn es bundesweite Zahlen gäbe.

Es gibt bundesweite Befragungen und Untersuchungen, die auch diese Themen bearbeiten. Natürlich orientieren wir uns auch an diesen Zahlen. Aber diese Studien arbeiten teilweise mit anderen Fragen, sodass wir diese Ergebnisse auch nicht immer miteinbeziehen können. Wir haben unsere Untersuchung ja mit Steffen Kühnel gemacht …

Inhaber des Lehrstuhls für Quantitative Methoden der Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen …

… der früher auch mit Wilhelm Heitmeyer an den „Deutschen Zuständen“ gearbeitet hat …

einer ein Jahrzehnt lang regelmäßig durchgeführten Erhebung über den Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten.

Kühnel hat immer wieder auf die Schwierigkeit einer solchen Vergleichbarkeit hingewiesen. Wenn Fragen anders gestellt sind, gibt es einen ganz anderen Spielraum zur Interpretation der Antworten. Deshalb können bundesweite Zahlen beispielsweise zu Verschwörungstheorien nur sehr eingeschränkt mit unseren Zahlen verglichen werden. Zumindest aber sehen wir grobe Ähnlichkeiten.

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