Sozialtausch-Komödie: Innige Kameraderie
Die Komödie "Ziemlich beste Freunde" ist gekonnt künstlich und belegt das alte Ketchup-Credo: Mit echten Tomaten kann man nie diesen unverwechselbaren Geschmack erzeugen.
Was hat es mit dem Label "nach einer wahren Geschichte" eigentlich auf sich? Macht es einen Film wirklich sehenswerter, wenn man weiß, dass er auf "realen Ereignissen" beruht? Anders gefragt: Klingt es etwa so unwahrscheinlich, dass ein reicher, nach einem Drachenflugunfall vom Nacken abwärts gelähmter Franzose sich mit seinem Pfleger anfreundet, der anderer Hautfarbe und anderer sozialer Herkunft ist? Seit dem 19. Jahrhundert soll so etwas ja schon mal vorgekommen sein.
Wer in Olivier Nakaches "Ziemlich beste Freunde" bis zum Abspann sitzen bleibt, kann, wie zur Beglaubigung, einen Blick auf die "Originale" werfen, auf denen die als ungewöhnlich angekündigte Geschichte beruht.
Aber entgegen dem, was die echten Bilder von zwei ziemlich rau aussehenden Männern an einer windigen Klippe belegen wollen, machen die Aufnahmen vielmehr klar, dass der Film natürlich nicht ihre Geschichte erzählt, sondern eine andere, in Genreform gepresste, aufpolierte Variante, die ihre Inspiration weniger in ihren Erlebnissen als in gefälligen Sozialtauschkomödien wie "Pretty Woman" oder "Die Glücksritter" findet.
Aber genauso wenig wie Echtheit einen guten Film garantiert, folgt aus Künstlichkeit, dass es ein schlechter sein muss. Ganz im Gegenteil. "Ziemlich beste Freunde" belegt auf seine Weise das alte Ketchup-Credo, das besagt, dass man mit echten Tomaten niemals diesen unverwechselbaren Geschmack erzeugen könnte.
Da wäre zum Beispiel schon der rasante Einstieg des Films. Darin liefern sich Driss (Omar Sy) und Philippe (François Cluzet) ein Autorennen mit der Polizei durch - Gott sei Dank - nächtlich leergefegte Straßen. Quietschende Reifen, Motorgeprotze, mit cooler Miene verabredete Wetten und noch cooleres Austricksen der Autoritäten - obwohl man zu dem Zeitpunkt noch nichts weiß über die Protagonisten, ist doch völlig klar, dass es im Folgenden um echte Männerfreundschaft gehen wird.
Der eigentliche Plot
Erst nach diesem testosterongefüllten Auftakt widmet sich der Film der eigentlichen Geschichte: Der vom Nacken abwärts gelähmte Aristokrat Philippe, distinguiert, aber misslaunig, wie es Herren in seiner Lage geziemt, sucht einen neuen Pfleger. Offenbar hält es keiner lange bei ihm aus. Die Montagesequenz verkehrt das freilich ins glatte Gegenteil, indem sie sämtliche Bewerber als mehr oder weniger schmierige Heuchler outet, mit denen auch der gutmeinendste Gelähmte keinen Tag verbringen wollte.
Ins Schaulaufen der Loser schneit nichts ahnend der schwarze Kleinkriminelle Driss aus den Banlieues herein, der sich erst gar nicht bewerben will, sondern nur eine Unterschrift fürs Amt braucht. So wenig Mitgefühl, sozialen Schliff und Interesse an seinem pflegebedürftigen Gegenüber zeigt Driss, dass Philippe ihn auf der Stelle einstellt. Der Zuschauer, präzise gebrieft, versteht das besser als Philippes zunächst konsterniert reagierende Umgebung.
"Ziemlich beste Freunde" ist kein Film, der auf Überraschungen setzt. Zu welch inniger Kameraderie es zwischen Driss und Philippe kommen wird, hat ja bereits der Vorspann gezeigt. So schematisch die Inszenierung der Gegensätze der Welten ist - Driss staunt über die großen Zimmer und die komfortable Badausstattung -, so charmant geht der Film mit den weniger appetitlichen Details der Pflege um.
Driss muss das männliche Tabu überwinden, einen anderen Mann anzufassen, ihn gar zu massieren und, Grauen über Grauen, ihm die Scheiße aus dem Arsch zu holen. Charmant heißt in diesem Zusammenhang: verbal wird geplänkelt, aber auf weitere Deutlichkeiten wird verzichtet.
Die wahre Geschichte - sie wird anders gewesen sein. Dafür, um noch einmal zurück zu den "echten" Gestalten an der Klippe zu kommen, gehört sie immer noch ganz ihnen.
"Ziemlich beste Freunde". Regie: Olivier Nakache. Mit François Cluzet, Omar Sy u. a. Frankreich 2011, 110 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Filmförderungsgesetz beschlossen
Der Film ist gesichert, die Vielfalt nicht