Sozialproteste in Ungarn: Generalstreik gescheitert
Eisenbahnerführer Gaskó wollte mit einem allgemeinen Ausstand vormachen, wie man ein Sparpaket zu Fall bringt. Am Schluss streikten aber nur die Eisenbahner.
WIEN taz | Generalstreik hieß gestern die Devise von István Gaskó, dem Chef des ungarischen Gewerkschaftsdachverbandes Liga. Der landesweite Ausstand sollte sich gegen das Sanierungspaket von Premier Gordon Bajnaj richten. Ab Freitag, null Uhr stellten die meisten Eisenbahner für 18 Stunden ihre Arbeit ein. Die erhoffte Solidarisierung anderer Gewerkschaften blieb aber aus.
István Gaskó ist auch Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft VDSzSz, die zuletzt im Dezember einen Bahnstreik organisiert hatte. Dem streitbaren Arbeitervertreter gelang es aber nicht, eine größere Streikbewegung auszulösen, obwohl allein in seiner Liga 82 Gewerkschaften vertreten sind, darunter Lehrer, Gesundheitsarbeiter, aber auch Industriearbeiter. Viele dieser Gruppen sind allerdings klein und wenig repräsentativ.
Der Generalstreik, der keiner war, richtete sich gegen das neue Sparpaket, das die neue ungarische Regierung am Montag durch das Parlament gebracht hatte. Es tat ausnahmslos allen weh. So wurde die Mehrwertsteuer von 20 auf 25 Prozent erhöht. Der ermäßigte Satz von 18 Prozent gilt nur für Waren des täglichen Bedarfs. Neben Grundnahrungsmitteln ist das etwa auch die Fernwärme. Den Pensionisten wird die 13. Monatsrente gestrichen, das Krankengeld um 10 Prozentpunkte gesenkt. Jene Arbeitnehmer, die noch keine zwei Jahre bei ihrem Unternehmen beschäftigt sind, bekommen nur noch 50 Prozent statt 60.
Der neue Ministerpräsident Bajnaj, parteiloser Ökonom, war im April vom Parlament gewählt worden, damit er die maroden Staatsfinanzen in Ordnung bringe. Sein sozialdemokratischer Vorgänger Ferenc Gyurcsány war zuvor mittels Misstrauensvotum gegen die eigene Regierung zurückgetreten, um den Weg für Reformen freizumachen und vorgezogene Neuwahlen zu verhindern. Denn seine MSzP würde im derzeitigen Meinungsklima verheerend abstürzen, während die rechtspopulistischen Jungdemokraten der Fidesz-Opposition mit einer Zweidrittelmehrheit rechnen könnten. Bajnaj regiert mit einem Kabinett von Sozialdemokraten und parteilosen Experten.
Die Liga zählt zum Umfeld der Fidesz, findet das Paket ungerecht und vermisst Initiativen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Diese Kritik teilt auch der größere Gewerkschaftsverband MSzOSz, der den Sozialdemokraten nahesteht. Am Generalstreik wollte er sich aber nicht beteiligen, nicht zuletzt um der MSzP kurz vor den Europawahlen nicht zu schaden. Die eigene Klientel wurde mit der Zusicherung beschwichtigt, man würde mit der Regierung Verbesserungen aushandeln.
Die Partikularforderungen der VDSzSz werden nicht von allen anderen Gewerkschaften mitgetragen. So wollen die Eisenbahner neben einer 7-prozentigen Lohnerhöhung einen Extrabonus von rund 880 Euro pro Arbeitnehmer aus dem Privatisierungserlös des Frachtunternehmens der staatlichen Bahngesellschaft MAV.
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