Sozialprotest I: Zahltag im Jobcenter
Beim Aktionstag "Wir zahlen nicht für eure Krise" bieten sich Aktivisten vor dem Jobcenter Mitte als Begleiter für Arbeitslose an.
An einem anderen Tag wäre Franz-Josef Moers alleine geblieben mit seinem Frust. Es hätte ihm eh keiner zugehört. Dabei ist es ein Hammer, sagt Moers, wie ungerecht sie ihn behandeln, die Sachbearbeiter im Jobcenter in Mitte. Jetzt aber hat er seine Zuhörer, als er, wie so oft, das Arbeitsamt an der Sickingenstraße durch den gläsernen Haupteingang verlässt. Sogar Mikrofone und Kameras sind da.
Verschiedene Organisationen, Gruppen und Initiativen haben unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise" zu Protestaktionen in ganz Deutschland aufgerufen. Die erste Aktion des Tages in Berlin findet vor dem Mitte-Jobcenter statt. Etwa zwanzig Aktionsteilnehmer sind gekommen. "Keiner muss allein zum Amt!" ist die Parole.
Wer hier mitmacht, versteht sich als Teil einer solidarischen Gemeinschaft, die Arbeitslose beim Gang zum Arbeitsamt begleitet. Es geht dabei weniger um Expertenbeistand als vielmehr um emotionale Unterstützung. Rainer Wahls vom Berliner Sozialforum, der die Aktion mitorganisiert hat, sieht den Fall Moers als gutes Beispiel. Und Moers erzählt bereitwillig seine Geschichte: Er habe allein im September sechsmal ins Jobcenter gemusst. Für seine neue Wohnung brauche er Wohngeld, doch seine Anträge seien abgelehnt worden. "Das ist Schikane. Ich muss auf dem blanken Boden schlafen, habe nicht mal Töpfe zum Kochen, und die sagen, ich müsste erst mal vier bis sechs Wochen auf den Prüfdienst warten", empört er sich.
Wenn die Erwerbslosen mit Zeugen zum Jobcenter gingen, zeigten die Sachbearbeiter mehr Respekt, sagt Wahls. Und auch den Arbeitslosen mache das Mut: "Viele sind allein verschüchtert und beharren in diesen Situationen dann nicht auf ihren Rechten." Wahls weiß das aus eigener Erfahrung. Er ist selbst arbeitslos und hat einmal jemanden als Begleiter mitgenommen, "um zu zeigen: Es geht auch anders!", wie er es ausdrückt.
Viele der Menschen, die in der Warteschlange vor dem Eingang des Jobcenters stehen, finden die Idee gut. Eine ältere Dame mit Kinderwagen und lila Kopftuch bittet eine Aktionsteilnehmerin um Begleitung.
Um ins Jobcenter zu kommen, brauchen die Arbeitslosen Geduld. Eine Frau erzählt beim Rauskommen, sie habe drei Stunden auf dem Amt verbracht. Gegen Mittag kommt ein Polizist, um die Warteschlange, die sich bis auf die Straße ausgedehnt hat, zurück auf den Gehweg zu lenken. Für die Wartenden haben die Aktionsteilnehmer "Warteplätzchen" mitgebracht, die aber kaum jemand essen will. "Was soll der Scheiß hier eigentlich", fragt eine Anfang 20-Jährige in Highheels, als sie sich an den Kameras, Mikrofonen und Plätzchen vorbeidrängt.
In den letzten Monaten gab es mehrere Aktionen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise". Doch diesmal ist es anders, sagt Rainer Wahls. "Die Presse und die Organisationsstände erschweren den Kontakt zu den Menschen." Rechts neben dem Eingang zum Jobcenter hat die Linkspartei einen Stand aufgebaut. Nicht alle Organisatoren finden das gut. "Wir kämpfen schon seit Jahren für die Rechte der Erwerbslosen und gegen die Hartz-IV-Sanktionen, und jetzt kommt die Linke und macht hier Wahlkampf", beschwert sich Angelika Wernick vom "Bündnis für ein Sanktionsmoratorium". Hinter ihr zieht Linke-Sprecher Werner Schulten am Telefon eine Bilanz des Vormittags: "Der absolute Renner war unser Schild."
Die Aktionen dauern den ganzen Tag. Um 13 Uhr gibts eine Demo gegen den Stadtumbau vor der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wo der Rücktritt der Senatorin gefordert wird. Am Nachmittag trifft man sich zum symbolischen Banküberfall am Wittenbergplatz (siehe Spalte).
Um von einem Veranstaltungsort zum nächsten zu gelangen, fahren die Teilnehmer mit der Bahn - ohne zu bezahlen. "Kostenloser Nahverkehr für alle" fordern sie und verteilen in der U 7 in Richtung Fehrbelliner Platz selbst gemachte "Umsonstkarten". Der Arbeitslose Franz-Josef Moers wird auch nichts bezahlen für seine Fahrt. Protest ist das für ihn aber nicht. Für Fahrkarten hat er einfach kein Geld.
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