Soziales Engagement: Die große Schwester hilft beim Studieren
Junge Akademikerinnen nichtdeutscher Herkunft unterstützen im Rahmen des Projekts Sista Abla migrantische Schülerinnen beim Übergang vom Abitur zum Studium.
Lisa ist 17 und besucht die 12. Klasse des Gymnasiums. Sie sei "eine ziemlich gute Schülerin", sagt sie: "Dabei ist mir an der Grundschule immer gesagt worden, das Gymnasium sei zu schwer für mich." Nun möchte Lisa nach dem Abitur Politik studieren und dann "irgendwo bei der EU arbeiten". Die Berlinerin, deren Eltern aus Serbien stammen und als Altenpflegerin und Bauarbeiter arbeiten, bringt dafür gute Voraussetzungen mit: Sie spricht neben Deutsch, Englisch und Französisch auch Serbisch und Rumänisch. Trotzdem ist Lisa unsicher: "Meine Eltern stehen einem Studium skeptisch gegenüber. Sie möchten lieber, dass ich eine Ausbildung mache, um selbstständig zu sein."
Shajia, ebenfalls Gymnasiastin, ist 18. Ihr Ziel steht fest: Sie will Maschinenbau studieren. Ihre Eltern, aus Bangladesch eingewandert, unterstützten sie dabei, sagt sie, aber helfen könnten sie nicht: "Meine Mutter hat zwar in Bangladesch Abitur gemacht, aber sie kennt das hiesige Bildungssystem nicht und spricht nicht gut Deutsch."
Bildungsferne Eltern - damit wird heute gern der schulische Misserfolg von Einwandererkindern erklärt. Doch was erhellt der Begriff wirklich? Die meisten der "Kinder mit Migrationshintergrund", die deutsche Schulen besuchen, gehören zur zweiten oder dritten Einwanderergeneration. Ist es vielleicht die Bildung selbst, die Schule, die fern von Teilen ihrer Schülerschaft ist? Haben wir es nicht geschafft, die Bildungseinrichtungen dieses Landes - das seit den 1960er Jahren ein Einwanderungsland ist - auf die Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft einzustellen?
Dieser Text stammt aus dem Buch "50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern", herausgegeben von taz-Chefredakteurin Ines Pohl, erschienen im Westend Verlag 2011.
Mehr Infos zum Projekt:
www.life-online.de/aktuelle_projekte/p_sistaabla.html
"Bildungsferne" großer Bevölkerungsteile und die Erkenntnis, dass Wissen ein unerlässliches Handwerkszeug in einer sich verändernden Welt ist, haben vor mehr als 400 Jahren zur ersten Schulpflicht in Teilen Europas und des heutigen Deutschlands geführt. Wo sie übrigens fast 300 Jahre brauchte, um sich flächendeckend durchzusetzen, weil manche der "bildungsfernen Bevölkerungsschichten" ihre Notwendigkeit durchaus nicht einsehen wollten. Ungeachtet solcher historischen Hintergründe ist jedenfalls auch heute noch Tatsache: Wenn Eltern sich nicht für die Bildung ihrer Kinder interessieren oder nicht die Mittel und Möglichkeiten haben, sie zu unterstützen, haben Kinder es in unseren Schulen schwer. Die Pisa-Untersuchung führt uns jährlich vor Augen, dass in keinem anderen europäischen Land der Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg oder eben -misserfolg so groß ist wie in Deutschland.
Das trifft besonders Kinder aus Einwandererfamilien, die oft aus ökonomisch schwachen Verhältnissen kommen. "Dabei zeigen Studien und Statistiken, dass gerade sie oft eine überdurchschnittliche hohe Bildungs- und Aufstiegsmotivation haben", sagt Aliyeh Yegane Arani vom Berliner Verein Life. Und sie bringen zusätzlich zur Mehrsprachigkeit ganz besondere Kompetenzen mit. "Doch diese speziellen Ressourcen der Migrantenfamilien bleiben in unserem Bildungssystem ausgeblendet", sagt Yegane. Eine "Defizitperspektive" präge den Blick auf Einwanderer. Sista Abla - türkisch für: große Schwester - heißt das von Yegane geleitete Mentorinnenprogramm, das hier ansetzt: Studentinnen und junge Akademikerinnen aus Einwandererfamilien unterstützen Oberstufenschülerinnen mit Migrationshintergrund beim Übergang von Schule zum Studium.
Sie habe in der Schule und beim Studium "die volle Unterstützung" ihrer Eltern gehabt, erzählt die Deutschitalienerin Miriam. Die 31-jährige Kulturwissenschaftlerin engagiert sich als Mentorin bei Sista Abla, "weil man einfach ziemlich planlos ist kurz vor dem Abi, wenn man so in die Welt hinausgeschmissen wird. Und als Migrantin vielleicht noch ein bisschen mehr. Man weiß ja gar nicht, was es alles für Möglichkeiten gibt." Mit ihrer Mentee Lisa besucht sie die Studienberatung der Uni und hilft ihr bei Referaten für die Schule. "Ich versuche sie zu stärken und ihr klarzumachen, was es tatsächlich bedeutet zu studieren. Und ihren Eltern das auch ein bisschen näherzubringen."
Shajias Mentorin ist Nina. Die Asienwissenschaftlerin macht gerade ihren Master in Intercultural Education. Sie finde "die Idee sehr schön, dass man jemanden hat, der einen ein bisschen an die Hand nimmt, um sich an der Uni zurechtzufinden", sagt die 25-jährige Deutschslowenin. "Das hätte ich damals auch gern gehabt."
Zwölf Teams betreut das aus EU- und Bundesmitteln finanzierte Projekt Sista Abla seit Anfang 2010. Mentorinnen und Mentees werden dabei mit einem Rahmenprogramm unterstützt: Angeboten werden Trainings, Workshops, regelmäßige Treffen und eine E-Learning-Plattform zum Erfahrungsaustausch. Bei einem fünftägigen Potential Assessment Center lernten sie ihre Stärken und Fähigkeiten in Bezug auf ihre interkulturelle Kompetenz kennen. Und sie organisierten das "Berliner BürgerInnenforum Integration und Vielfalt in der europäischen Bildung" mit, dessen Ergebnisse sie auf einer Konferenz in Brüssel vorstellten.
Dieser Rahmen sei vor allem für die Mentees wichtig, sagt Nina: "Er zeigt ihnen, dass man sich für sie interessiert und sie unterstützt. Das stärkt noch mal sehr." Und auch für die Mentorinnen sei er hilfreich: "Es ist gut, dass es die Möglichkeit des Austauschs mit anderen Mentorinnen gibt. Allein zu sein wäre schwieriger." Die regelmäßigen Treffen würden helfen, die Kontinuität zu wahren, ergänzt Mentorin Miriam.
Ihre Mentorin habe ihr schon vieles beigebracht, berichtet Shajia: "Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich nach einem Studienplatz suchen soll. Das macht einen ja auch ängstlich und nervös, was da so nach dem Abitur auf einen zukommt." Lisa ist noch ängstlich: Als ältestes Kind habe sie in den Augen ihrer Eltern Vorbildfunktion für die jüngeren Geschwister. "Das bedeutet auch Druck für mich. Studieren und danach arbeitslos sein ist nicht das, was ich möchte. Deshalb versuche ich mit meiner Mentorin herauszufinden, was das Richtige für mich ist."
Das Klischee von den "bildungsfernen MigrantInnen" ärgert sie alle: "Alle Mädchen, die an dem Projekt teilnehmen, sind super bildungsmotiviert", sagt Mentorin Nina. "Und auch die Eltern wollen, dass die Kinder eine gute Schulbildung haben. Es stimmt nicht, dass diese Familien sich nicht für die Bildung ihrer Kinder interessieren."
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