piwik no script img

Soziale Ungerechtigkeit und CoronaPandemie verstärkt Ungleichheit

Sind vor dem Coronavirus alle gleich? Eine Studie mahnt die Bekämpfung sozialer Ungleichheit an. Deutschland landet auf Platz 3, trotz Defiziten.

In Indien hat nur die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu medizinischer Versorgung Foto: Mahesh Kumar A/ap

Berlin taz | Vor dem Covid-19-Virus sind alle gleich? Das Gegenteil bewies jüngst eine Untersuchung, derzufolge Milliardär*innen trotz Krise kräftig Gewinne einfahren konnten. Im Gegensatz dazu leiden benachteiligte Gruppen deutlich stärker unter Corona. Doch die soziale Ungleichheit behindert auch die Pandemiebekämpfung. Das ist das Ergebnis einer Studie, die die Hilfsorganisation Oxfam gemeinsam mit der Unternehmensberatung Development Finance International am Mittwoch veröffentlichte.

„Weltweit haben Regierungen bei der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit katastrophal versagt“, kritisiert Oxfams Expertin für soziale Ungleichheit, Ellen Ehmke. Deshalb sei die Mehrheit der Länder schlecht gerüstet gewesen, „um eine Pandemie zu bewältigen. Die Hauptlast dieser Krise tragen die Menschen am unteren Ende der Einkommensskala“.

Grundlage der Studie ist eine Bewertung der Regierungspolitik in 158 Ländern in den Bereichen Steuern, Arbeitnehmer*innenrechte und öffentlicher Dienst, also Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme. Diese haben Oxfam zufolge entscheidende Bedeutung für die Verringerung von Ungleichheit, und damit auch für die Bewältigung der Pandemie.

Vor allem ärmere Kinder im Homeschooling sind benachteiligt. Ist der Zugang zum Gesundheitssystem für bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Einkommensschichten nicht möglich, können Infektionen nicht behandelt und eingedämmt werden. Gleichzeitig gibt es in vielen Branchen keine Möglichkeit, effektiv im Home Office zu arbeiten.

Vor allem Arme sind gefährdet

Oftmals prekär Beschäftigte wie Reinigungskräfte, Kellner*innen oder DJs stehen ohne Sicherungssystem schnell ohne Einkommen da. Sind Infizierte aber gezwungen, weiterhin arbeiten zu gehen, können sie das Virus weitertragen.

Besonders gefährdet sind arme Menschen, die deutlich häufiger an Vorerkrankungen leiden oder unter mangelhaften Hygienebedingungen leben müssen. Dasselbe gilt für People of Color, die oftmals einen schlechteren Zugang zum Gesundheitssystem und zu sozialer Sicherung haben. Aber auch Frauen, die insgesamt häufiger in prekären Jobs oder im Gesundheitssektor arbeiten, sind betroffen.

„Bis weit in die Mittelschicht hinein kam ein großer Teil der Bevölkerung nicht einmal zwei, drei Monate ohne ihr ungeschmälertes Einkommen aus. Er ist offenbar nur einen Lockdown, eine Kündigung oder eine schwere Krankheit von der Armut entfernt“, stellt der Armutsforscher Christoph Butterwegge fest. Es gebe eine „verteilungspolitische Schieflage“ der in Deutschland existierenden Finanzhilfen, sagte Butterwegge zur taz.

Deshalb empfiehlt Oxfam unter anderem, 15 Prozent des Haushaltsbudgets für Gesundheit aufzuwenden. Das erreichen derzeit gerade einmal 26 Staaten. In 103 Ländern hatte mindestens ein Drittel der Arbeitnehmer*innen kein Zugang zu Schutzmaßnahmen wie Krankengeld, als Corona ausbrach. Und obwohl die Arbeitslosigkeit in vielen Ländern stark zunimmt, verzeichnet Oxfam in der Krise weltweit Angriffe auf Arbeitnehmer*innenrechte.

Deutschland im Bildungsbereich miserabel

Deutschland belegt im Ranking der Studie zwar den dritten Platz. Dennoch: Auch hier gibt es massive Defizite. So liegt der Anteil der Bildungsausgaben an den Gesamtausgaben bei knapp 10 Prozent und im Bereich Bildung damit auf einem miserablen Platz 139 vor Südsudan – dem Schlusslicht der Gesamtwertung. Hier gibt es momentan dreimal mehr Generäle als Ärzt*innen. Auch das deutsche Steuersystem liegt gerade einmal auf Platz 77. Über die Hälfte der untersuchten Länder habe demnach einen gerechteren Mix aus Einkommens-, Unternehmens- und Mehrwertsteuer.

Unter den wohlhabenden G7-Staaten belegen die USA den letzten Platz. Gründe sind vor allem eine gewerkschaftsfeindliche Politk sowie ein niedriger Mindestlohn. Auch Indien, wo gerade einmal die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung hat, schneidet schlecht ab. Dänemark liegt zwar auf Platz 2, doch auch hier wird moniert, dass die reichsten 10 Prozent die Hälfte des Landes besitzen.

Doch es gibt auch Staaten, deren Regierungspolitik die Studie ausdrücklich lobt. So habe die Ukraine eine der niedrigsten Ungleichheitsraten der Welt. Trotz des relativ niedrigen Bruttoinlandprodukts wurden die Löhne dort unlängst um 300 Prozent erhöht. Während Bangladesch den vor allem weiblichen Beschäftigen im Gesundheitsbereich Bonuszahlungen gewährt, schnürte Vietnam ein umfangreiches finanzielles Hilfspaket für besonders Schutzbedürftige. Georgien schaffte sogar alle Gesundheitskosten im Zusammenhang mit COVID-19 ab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare