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Soziale SicherungZu arm für die Krankenkasse

Viele Kleinselbständige können derzeit ihre Krankenversicherung nicht zahlen. Denn die die Mindestbeiträge sind zu hoch.

Auch Reinigungskräfte arbeiten öfter als Solo-Selbständige Foto: dpa

Berlin taz | Fair ist es nicht: Für einen Angestellten, der 1.000 Euro im Monat brutto verdient, zahlt der Arbeitgeber inklusive des Arbeitnehmeranteils etwa 160 Euro im Monat an Krankenversicherungsbeitrag. Selbständige mit ähnlich niedrigen Einkommen, die in einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert sind, müssen 350 Euro berappen. Für sie gilt eine Mindestbemessungsgrenze. Doch die Kritik an dem Konzept wächst. Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis schlägt Alternativen vor, drei Bundesländer bringen am Freitag im Bundesrat eine Entschließung zum Thema ein.

Mattheis, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der taz, es wäre erstrebenswert, die Krankenversicherungsbeiträge entsprechend des realen Einkommens der Selbständigen zu berechnen und nicht mehr entsprechend der Mindestbemessungsgrenze für hauptberuflich Selbständige von derzeit 2.231 Euro im Monat. Viele Solo-Selbständige erreichten dieses Einkommen gar nicht, so Mattheis.

Im Entschließungsantrag von Thüringen, Berlin und Brandenburg für den Bundesrat fordern die Länder einen Bericht zur Situation der Solo-Selbständigen und deren sozialer Absicherung. Ihre Beitragslast sei im Vergleich zum erzielten Einkommen „zu hoch“, heißt es im Antrag.

Beitragschulden enorm gestiegen

Der Tagesspiegel hatte über neue Zahlen des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) berichtet, nach denen die Beitragsrückstände der Selbstzahler innerhalb eines Jahres von 4,5 Milliarden auf zuletzt sechs Milliarden Euro angestiegen sind. Selbständige unterliegen wie alle BürgerInnen seit 2007 der Pflicht, eine Krankenversicherung zu haben. Der GKV-Spitzenverband fordert, dass der Staat die Beitragsschulden der Selbstzahler übernimmt.

Wer seine Krankenversicherung nicht zahlen kann, bekommt erst Mahnungen und dann ein Vollstreckungsverfahren. Säumige Zahler aber würden nicht vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, sagte ein Sprecher des AOK-Bundesverbandes der taz.

Axel Wunsch, Sprecher der Barmer Ersatzkasse, erklärte, dass säumige Mitglieder unter bestimmten Vorausetzungen über das „Ruhen der Leistung wegen Zahlungsverzuges“ informiert werden. Aber auch dann hätten Mitglieder Anspruch auf Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzuständen dienten ebenso wie auf Untersuchungen zur Früherkennung bestimmter Krankheiten und Leistungen bei Schwangerschaft. Sowohl bei der AOK als auch bei der Barmer gibt es einen Anstieg der „Nichtzahler“. Gleichwohl ist der Anteil bei der Barmer mit 63 000 Privatkunden, die Selbstzahler sind und die Beträge nicht entrichten können, vergleichsweise gering.

Das ärmste Viertel der Solo-Selbständigen hat nur 1.000 Euro netto im Monat

Für Existenzgründer in der Anfangsphase kann die Mindestbemessungsgrenze auf 1.487 Euro monatlich abgesenkt werden, der Mindestbeitrag liegt dann bei 234 Euro inklusive Krankengeld. Auch Solo-Selbständige mit geringen Einnahmen können dies als „Härtefall“ beantragen. Dann muss das Partnereinkommen aber auch sehr niedrig sein und beim Vermögen gelten geringe Freigrenzen für die „Härtefälle“.

Laut Statistischem Bundesamt beträgt die Zahl der Solo-Selbständigen 2,3 Millionen und ist zuletzt nicht gestiegen. Nach einer älteren Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) mit Zahlen von 2011 hat das ärmste Viertel der Solo-Selbstständigen monatliche Einkommen von im Schnitt nur 1.000 Euro netto.

Von den Solo-Selbständigen mit niedrigen Einkommen sind die meisten freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse und nur ein Bruchteil bei einer Privatkasse versichert. Dort gilt dann ein noch höherer Basistarif.

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13 Kommentare

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  • Ich bin bereits länger krank. Mein Krankengeld ist nach 78 Wochen ausgelaufen. ALG1 bekomme ich nicht mehr. ALG2 ist sehr schwierig und nicht zuverlässig, wenn man krank ist. Kein Einkommen, aber davon soll ich monatlich 180 Euro an die Krankenkasse für meine "freiwillige" Mitgliedschaft bezahlen. Wovon ich das bezahle ist denen schnuppe. Also werde ich langsam in die Schuldenfalle abgeschoben. Solange ich säumiger Zahler bin, bekomme ich allerdings nur das nötigste von der Krankenkasse, was natürlich diese definiert. So erhalte ich z. B. nur 1 Medikament von bisher benötigten 5. Meine Asthma-Medikamente sind nicht lebensnotwendig. Zum Arzt darf ich auch nur noch gehen, wenn die Krankenkasse es mir erlaubt. Und das tut sie nicht, denn seit einem Monat versuche ich, ein Rezept von meinem Arzt zu bekommen. Dann muß ich wohl an meinem Diabetes zugrunde gehen und kann damit das längst überfällige sozialverträgliches Frühableben betreiben.

     

    Wie war das noch? Die Würde des Menschen ist unantastbar? Kann das mal jemand den Krankenkassen erzählen?!?

  • Wir brauchen endlich eine Einheits-Krankenkasse für alle - in der alle einzahlen und alle die gleichen Leistungen erhalten können -

    nicht Private extra, Beamte extra,

    Künstler bewundert, aber erhalten gar nichts.

    Je mehr einzahlen desto besser ist für die Gesundheit gesorgt, desto geringer die Beiträge.

    • @nzuli sana:

      Richtig. Dabei ist aber wichtig, dass das tatsächliche Einkommen zur Bemessung der Beiträge herangezogen wird. Die derzeitige Reglung ist für Selbstständige, die gerade so über die Runden kommen sehr nachteilig. Ihnen wird ein Einkommen unterstellt, das sie in der Regel nicht haben.

  • Warum machen wir's nicht wie in Dänemark und stellen das ganze System auf Steuerfinanzierung um? Dann gäbe es solche Dramen überhaupt nicht mehr. Keine Mittelsmänner mehr, die wie Pseudobehörden funktionieren, sondern direkte Vergütung für Ärzte aus Steuermitteln.

     

    In DK hat jeder Anspruch auf medizinische Versorgung. In D muß man bar auf die Kralle zahlen beim Arzt, wenn man aus Armut nicht versichert ist oder es kein Notfall ist, wird wie ein Bittsteller behandelt, und dann bekommt man hinterher noch Zigtausende Schulden aufgebrummt. Nicht nur bekommt man keine Leistungen, man kann auch nicht normal zum Arzt gehen und wird obendrein noch per "Beitragsschulden" (Fantasieschulden, da man auch praktisch keine Leistung erhält) bestraft.

     

    Das System ist doch Scheiße. Bei der Schaffung der Pflichtversicherung ging man einfach davon aus, daß alle das auch bezahlen können. Fataler Irrtum.

     

    Ich glaube auch nicht, daß die Verhängung von Beitragsschulden zur Gesundheit der Versicherten beiträgt. Eher im Gegenteil.

     

    Geld dürfte eigentlich bei medizinischer Hilfsbedürftigkeit gar keine Rolle spielen!

  • "...es wäre erstrebenswert, die Krankenversicherungsbeiträge entsprechend des realen Einkommens der Selbständigen zu berechnen und nicht mehr entsprechend der Mindestbemessungsgrenze für hauptberuflich Selbständige von derzeit 2.231 Euro im Monat. Viele Solo-Selbständige erreichten dieses Einkommen gar nicht..."

     

    Eine (für viele zu) späte Erkenntnis. Aber in D gilt allgemein der Grundsatz: Wer selbstständig ist, schwimmt im Geld. Für viele ist das aber der blanke Hohn.

  • Die Krankenkassenbeiträge in D dürften anteilig weltweit die größten sein. Ansoluter Wucher! Allein was für Verwaltung draufgeht, oder für Ärzte. Alles nur noch maßlos! 350 Euronen abgeben von gerade mal 1000 Netto...die haben sie ja nicht mehr alle!

     

    Was es braucht ist eine ganz klare Grenze: 10% vom Nettolohn darf eine Krankenversicherung kosten. Mehr nicht. Und wenn das nicht reicht, dann müssen eben die Löhne rauf! Dann ruft sogar die FDP nach einem Mindestlohn von 12€.

  • "der 1.000 Euro im Monat brutto verdient, zahlt der Arbeitgeber inklusive des Arbeitnehmeranteils etwa 160 Euro"

     

    Nein, das Arbeitsentgelt ist dann 1160€. Nämlich genau das, was der Arbeitgeber für die Arbeitsleistung zahlt. Davon gehen 350€ vom AN an die Krankenkasse.

     

    Der AG-Anteil ist kein Geschenk des AG sondern Schönsprech um die Belastung des AN mit Sozialabgaben nicht so drastisch aussehen zu lassen.

    • @A. Müllermilch:

      Ohne Gewähr, ich denke, ca. 160€ wäre in dem Beispiel der Gesamtbetrag an KV, also AN+AG.

      Der Sprung zwischen Kleinselbstständigkeit und "richtiger" ist zu hoch, das ist das große Problem. Oder, wie weiter oben, einfach mal ne steuerfinanzierte KV und RV.

       

      Absatz 3 unterschreib ich aber.

      • @Hugo:

        "Ohne Gewähr"

         

        ...Sie haben recht

  • "die in einer gesetzlichen Krankenkasse freiwillig versichert sind..." Die sind also "freiwillig" versichert.

    "Selbständige unterliegen wie alle BürgerInnen seit 2007 der Pflicht, eine Krankenversicherung zu haben." Drei Sätze weiter ist es also eine "Pflicht". Was bitte ist daran "freiwillig"?

    • @Jürgen Matoni:

      Das war bis vor ein paar Jahren freiwillig. Inzwischen ist man verpflichtet, eine Krankenversicherung zu haben. Das "freiwilig" ist nur als Begriff aus alten Zeiten übriggeblieben.

       

      Krankenversicherung ist nicht mehr "freiwillig", auch wenn sie immer noch so heißt.

  • Es ist gut, dass das Thema hier aufgegriffen wird. In der Künstlersozialversicherung wurden ja zuletzt Künstler u. ä. Berufsgruppen pflichtweise renten- und krankenversichert, weil die so arm sind. Es wäre fällig eine pflichtweise Absicherung für alle Selbständigen aus gleichem Anlass zu schaffen. Und dann dürfen natürlich nicht nur die schlechten Risiken einbezogen werden. Der Versicherugnsgedanke und eine Stabilität der Beiträge funktioniert nur dann, wenn gleichzeitig auch gute Risiken in die gesetzliche Versicherung aufgenommen werden.

     

    Sobald aber TTIP oder CETA in Kraft treten, wird es kaum noch machbar sein, die Selbsätndigen zu versicehrn. Private Versicherung können dann vor Schiedsgerichten wegen der Sicherheit ihrer Investitionen dann auf Schadensersatz klagen, wenn ihnen potentielle Kunden weggenommen werden. Das macht eine gesetzliche Regelung nicht mehr finanzierbar.