piwik no script img

Sozialdrama „Aus der Spur“ auf ArteMit Zynismus gegen die Schnösel

In der französischen Miniserie „Aus der Spur“ wehrt sich ein gedemütigter Arbeitsloser gegen die Chefetage. Da schwingt Gelbwesten-Geist mit.

Éric Cantona als rachsüchtiger Loser Alain, nebst Designerlampe Foto: arte

In Sachen Rahmenhandlung eine altbewährte Praxis: Ein Mann sitzt im Gefängnis und erzählt, wie er dahin gekommen ist. Der neue deutsche Netflix-Spielfilm „Betonrausch“ funktioniert nach diesem Prinzip. Und auch der Arte-Sechsteiler „Aus der Spur“ beginnt damit.

Ein Mann mit Backenbart, geschorenem Kopf, Muscleshirt und Tätowierungen erzählt in die Kamera, wie er da ins Gefängnis gekommen ist: „Nach sechs Jahren Arbeitslosigkeit, zu elenden Jobs und permanenter Erniedrigung verdammt, und der ständigen Bedrohung, die Wohnung zu verlieren, war ich bei kalter Wut angelangt. Manchmal hatte ich Gefühle wie ein Terrorist.“

Dieser Alain Delambre wird gegeben von Éric Cantona. Der ist, sagen wir: Schauspieler und ehemaliger Fußballprofi bei Manchester United – um nicht „schauspielernder Ex-Fußballer“ zu sagen, denn das würde ihm kaum gerecht. In so vielen Filmen, mit Kollegen wie Cate Blanchett („Elizabeth“), Mads Mikkelsen und Eva Green („The Salvation“), hat er in den vergangenen 25 Jahren mitgewirkt. Einmal spielte er sich selbst – in so einem typisch sozialrealistisch-humanistischen Kleine-Leute-Ken-Loach-Film: „Looking for Eric“.

In „Aus der Spur“ – im französischen Original: „Dérapages“: Verwerfungen, Entgleisungen – habe er nun eine Rolle gefunden, die zu ihm passe wie keine andere zuvor, wird Cantona von der dpa zitiert.

Die Serie

Die ersten drei Folgen „Aus der Spur“ sendet Arte am Do., 23. April um 21.10, die restlichen drei Folgen dann genau eine Woche später. In der Mediathek ist die komplette Miniserie bis Mitte Mai verfügbar

Jede Menge Leuchten

In der Serie wird seine Figur, zu Anfang noch ein 500-Euro-Jobber, von einem unflätigen Vorarbeiter umgetreten. Und revanchiert sich gleich mit einem Kopfstoß à la Zidane 2006. So wie der brillante Spieler Éric Cantona abseits des Fußballplatzes nicht eben als umgänglich galt, so macht es auch der von Cantona verkörperte langzeitarbeitslose Personaler Delambre mit seiner niedrigen Erregungsschwelle seiner Frau und seinen erwachsenen Töchtern nicht eben leicht.

„Wenn die Mädchen zum Essen kamen, brachte die eine den Nachtisch und den Wein mit und die andere den Käse und die Vorspeise. Ich fragte mich, ob nicht eines Tages eine von ihnen diskret einen Geldschein auf die Kommode legen würde. Wie im Bordell.“ Seine Brille ist mit Tesafilm geklebt. Den Unterschied zwischen einer Zahlungserinnerung und einer Mahnung kennt er genau, weil er sich daran gewöhnt hat, Rechnungen niemals sofort zu bezahlen.

Die Wohnung, die Alain De­lambre zu verlieren fürchtet, ist voller Schimmel. Designerleuchten (von Kastholm & Fabricius) zeugen von besseren Tagen. Überhaupt hat man in einer Serie selten so viele so ausgesuchte Leuchten gesehen (Szenenbild: Françoise Dupertuis). Das Büro eines schnöseligen Konzernchefs mutet an wie ein 1970er-Jahre-Lampenladen.

In diesem Büro legt also ein kaum weniger schnöseliger Unternehmensberater eine Pistole auf den Tisch und sagt’s: „Ich schlage eine Geiselnahme vor.“ Er meint eine fingierte Geiselnahme: um den stressresistentesten Top-Manager zu finden, für den Job, innerhalb von sechs Monaten 1.250 Leute zu entlassen. (Top-Managerin 1: „Man wird uns jemanden vorsetzen.“ Top-Managerin 2: „Zweifellos einen Deutschen.“)

Der „Kleine Mann“ ändert die Spielregeln

Ganz klar, die Sympathien der Drehbuchautoren (Pierre Lemaitre und Perrine Margaine) und des Regisseurs (der schon einmal Oscar-nominierte Ziad Doueiri) gelten wie bei Ken Loach den kleinen Leuten. Nur dem Humanismus haben sie abgeschworen.

In der Selbstmobilisierung des Alain Delombre kann man leicht eine Referenz auf die Selbstermächtigung der Gilets jaunes erkennen. Er soll bei dem bösen – und jenseits der Filmrealität selbstredend hochgradig kriminellen – Rollenspiel der beiden Schnösel den Re­cruiter geben.

Aber als er erkennen muss, dass die große Chance auf eine Festanstellung nur eine vermeintliche ist – dass auch er nur verladen und einmal mehr gedemütigt werden soll: ändert er die Spielregeln. Macht aus der gespielten eine echte Geiselnahme. Die aber auch nur eine Finte ist. In einem neuen Spiel. Einem, das er selbst abgekartet hat. In dieser clever konstruierten Fiktion.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!