Sozialdemokraten in Hannover: Leben im Vorgestern

Hat die SPD in Hannover den Kampf schon aufgegeben, fragt sich unser Autor. Dabei hatte die Partei hier ihre Hochburg – vor der Rathausaffäre.

Stefan Schostok geht durch eine schwere Holztür

Musste vorzeitig gehen: Ex-Oberbürgermeister Stefan Schostok Foto: dpa

HANNOVER taz | Wenn wir über die Partei reden, die seit 1946 Hannovers Oberbürgermeister (OB) stellte, dann reden wir ausschließlich über die SPD. Gefühlt seit hundert Jahren, mindestens. Na und? Beziehungsweise: Wie ist es jenseits des Ruhrgebiets dazu gekommen? Oder: Endet die SPD-Epoche mit dieser OB-Wahl, die bestimmt in eine Stichwahl münden wird? Die zunächst letzte, eine Nebenfrage: Dehnt sich der Zeitraum der zwangsläufigen SPD-Bestallung so, weil es nur fünf Männer waren, die diesen Posten bislang innehatten?

Allen voran drängt jetzt Herbert Schmalstieg in den Vordergrund, der von 1972 bis 2006 ununterbrochen amtierte, ein bundesweiter Rekord natürlich. Wobei wir der Ordnung halber ins Bewusstsein rufen, dass der hannoversche OB erst seit 1996 auch als Verwaltungschef fungiert und nicht nur als „Grüß-August“, wie man damals sagte. Einen großartigen Artikel zum Abschied Schmalstiegs als OB ist übrigens im taz-Archiv nachzulesen, verfasst von dem damaligen Niedersachsen-Korrespondenten Michael Quasthoff.

Ich erinnere mich, dass ich Schmalstieg zum ersten Mal begegnet bin zusammen mit meinem Vater, der weit oben im Stadtplanungsamt arbeitete. Er hatte mich Steppke zur Einweihung des Stadionbades 1972 mitgenommen. Schließlich stellte er mich in einem günstigen Moment nach vorn, damit ich Schmalstieg die Hand gab – und zwar, wenn mein Gedächtnis nicht trügt, beinahe ehrerbietig, des Amtes wegen, das es zu würdigen galt.

Später deutete ich diese Szene als Sinnbild für die streng hierarchische, ja, autoritäre Struktur, die historisch die SPD durchzog. Keine originelle Ansicht vermutlich, denn diese Struktur war oder ist jeder traditionellen Partei eigen.

Die SPD ist nicht tot

Ich erinnere mich an die wachsende Zahl von „Freizeitheimen“ in den Stadtteilen als typische Einrichtung der SPD-Politik. Hinzu kamen am Beginn der 1970er-Jahre – anfangs gegen den Willen der Verwaltung – das „Unabhängige Jugendzentrum Kornstraße“ und das „UJZ Glocksee“, die laut Wikipedia „als älteste Einrichtung ihrer Art in Deutschland“ gelten.

Und ich erinnere mich, dass ich Anfang der 1980er-Jahre deshalb die SPD wählte, weil deren Programm versprach, das Kommunale Kino zu erhalten, trotz „knapper Kassen“. Ein Ausdruck, den ich als Phrase kenne, seit ich denken kann. Ich besuche das Koki nach wie vor oft, allerdings nennt es sich mittlerweile Kino im Künstlerhaus. Ich vermute, weil „kommunal“ heutzutage nicht sehr smart klingt.

Ich erinnere mich an eine Kolumne auf der Wahrheit-Seite der taz vor sechs Jahren, in der ich einen Protagonisten sagen lasse: „Die SPD ist nicht tot, sie riecht nur komisch.“ Das war vor der Bundestagswahl im September, bei der die SPD immerhin knapp 26 Prozent erreichte und die Groteske um Martin Schulz in der Zukunft lag. Die AfD blieb unter fünf Prozent, genau so wie die FDP. Was waren das für herrliche Zeiten!

Ich erinnere mich, immer wieder verblüfft gewesen zu sein, sobald ich daran dachte, dass die SPD über ihr Unternehmen DDVG mit 23 Prozent die größte Kommanditistin des Madsack-Konzerns ist, dem viertgrößten Verlagshaus Deutschlands.

Abgesehen von der taz besitzt Madsack nicht nur gleichsam das Monopol für die lokale öffentliche Meinung (nicht unbedingt sozialdemokratisch geprägt, wie auch immer das zu definieren wäre), sondern logisch auch eigene Geschäftsinteressen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Online lebt die SPD im Gestern

Und endlich erinnere ich mich, dass wir hier natürlich auch von Stefan Schostok sprechen sollten, den Oberbürgermeister von 2013 bis 2019, an dessen Namen jene „Rathausaffäre“ nun unweigerlich hängt. Als Folge der Affäre wählen wir jetzt, denn Schostok ließ sich nach einer Anklage wegen des Vorwurfs der Untreue in den Ruhestand versetzen. Das wäre ebenfalls eine andere Geschichte.

Erstaunlich erschien mir die Seite stefan-schostok.de, als ich sie vor wenigen Tagen aufrief. Sie eröffnete direkt mit dem Gruß „Auf vertrauensvolle Zusammenarbeit!“ und leitete den Text so ein: „Seit Donnerstag vergangener Woche bin ich als Oberbürgermeister vereidigt.“ Im Laufe des 14. Oktobers verschwand es, nun braucht es ein Passwort.

Noch erstaunlicher war ein Besuch bei der Internetseite spd-hannover.de. Wer in der Suchmaske „Oberbürgermeisterwahl“ eintippte, erhielt das Resultat: „0 Ergebnisse gefunden für Oberbürgermeisterwahl“. Oder tippte man den Namen des SPD-Kandidaten Marc Hansmann ein: „0 Ergebnisse gefunden …“

Da die SPD in der Stadt und die SPD in der Region den Netz-Auftritt gemeinsam betreiben, gab ich der Seite noch eine Chance, wählte unter den fünf Rubriken eine, die „SPD-Stadtverband“ heißt. Sie zweigte ab auf eine Seite „spd-hannover-stadt“ mit der Aussage: „Hier entsteht eine neue Internetpräsenz“.

Damit landen wir bei folgenden Fragen: Kommt die Wahl für die SPD in Hannover so plötzlich? Will sie sich erst mal sorgfältig vorbereiten? Oder hat sie den Kampf längst aufgegeben? Bin ich der einzige, der die Seite aufruft? Oder bin ich zu blöd bei meiner Suche?

Ich gab auf und setzte mich aufs Rad, fuhr zum x-ten Mal an einem Plakat eines anderen OB-Kandidaten vorbei, der ohne Partei-Signet auskommt. Der eine Slogan lautet „Endlich sicher, sauber und sozial!“ Zu erläutern, mit welcher Partei meine Synapsen diesen Stummelsatz reflexartig verknüpfen, wäre eine gänzlich andere Geschichte.

Mehr über die Wahl zur neuen OberbürgermeisterIn Hannovers lesen Sie im aktuellen Wochenendschwerpunkt der taz nord oder am E-Kiosk.

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