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„Sonst wird man nur gelebt“

Hölderlin-Handschriften retten, Klaus Theweleit herausbringen, sich von Literatur finden lassen: der Stroemfeld-Verleger KD Wolff zur dreißigjährigen Geschichte seines Hauses und zur Kraft alter Texte

Interview DIRK KNIPPHALS

taz: Als der Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld 75 Jahre alt wurde, haben Sie ein Geburtstagsporträt über Ihre ersten Begegnungen Ende der 60er-Jahre publiziert. Gibt es zwischen Ihnen und Herrn Unseld mehr Berührungspunkte, als es auf den ersten Blick scheint?

KD Wolff: Noch vor fünfzehn Jahren hätte ich jede Ähnlichkeit abgelehnt. Wie jemand Herrmann Hesse lieben kann, werde ich wohl auch in meinem Leben nicht mehr verstehen. Aber Siegfried Unseld ist wirklich ein Literaturbesessener. Das ist etwas, was ich früher weder gesehen habe, noch hätte es mich interessiert.

Heute treffen Sie sich im Hinblick auf Autorentreue oder Autorenverehrung?

Es gibt schon noch viele Aspekte, in denen wir uns unterscheiden. Aber mag sein, dass sich allein schon durch die Marktentwicklung eine größere Nähe ergibt. Es zeigt sich ja, dass ansonsten die Marketingmanager kommen.

Sie ähneln sich darin, dass Sie das Büchermachen nicht aus Marktgründen betreiben? Nicht, um damit Geld zu verdienen?

Man kann keinen Verlag betreiben, ohne zu versuchen, damit Geld zu verdienen. Das geht gar nicht.

Wenn es mit dem Geldverdienen mal nicht klappt: Können Sie sich vorstellen, was Sie außer Verleger sein könnten?

Die Option, Politiker zu werden, lag für mich eine Zeitlang auf der Straße. Grüne hatten mich Ende der 70er gefragt, ob ich kandidieren wollte. Inzwischen bin ich sehr froh, dass ich mit dieser gewaltfreien und basisdemokratischen Partei nichts zu tun habe.

Würden Sie das Wort Autorenverehrung zu Ihrer Selbstbeschreibung verwenden?

Kaum. Aber das heißt nicht, dass ich nichts davon habe.

Ist Ihnen das Wort zu emotional?

Womöglich. Aber dass ich etwa mit unserer Faksimile-Ausgabe Franz Kafkas, die Roland Reuß und Peter Staengle bei uns herausgeben, gewissermaßen der Verleger dieses Autors werden durfte, das ist für mich ein wirkliches Glück. Davon habe ich immer geträumt. Franz Kafka war für mich immer der wichtigste moderne Autor.

Kürzlich feierten Sie das dreißigste Jubiläum Ihres Verlages. Im Sammelband „Terz“, den Sie zu dem Anlass herausbrachten, gibt es eigentlich nur einen programmatischen Satz: „Die Zukunft gehört den Kleinen.“

Wollen mal sagen, es ist der einzige Propagandasatz.

Wenn Sie sich jetzt programmatisch als Kleinverlag sehen, bedeutet das zugleich, dass Sie sich nicht mehr als Bestandteil einer Gegenöffentlichkeit begreifen?

Ach, diese Phantasien hat man sich schon lange abschminken müssen. Aber es stimmt immer noch, dass kleinere Verlage eine größere Beweglichkeit haben können. Verlagskonzerne sind schwerfällig, allein schon aufgrund ihrer hohen Personalkosten. Außerdem wäre meine Monomanie in den Konzernen wohl kaum vermittelbar. Über Jahrzehnte, wenn es sein muss, kann man dort nur schwer an einem Projekt dranbleiben.

Sie sind der Verlag Klaus Theweleits und bringen viele Gegenwartsautoren heraus. Darüber hinaus werden Sie mittlerweile vor allem als etwas eigenwilliger Klassikerverlag wahrgenommen. Ihre großen Editionsprojekte betreffen Hölderlin, Kafka, Kleist und Keller . . .

. . . Trakl auch noch. Und es gibt noch ein paar andere.

Wie gehören diese Autoren zusammen?

Es sind die Unzeitgemäßen. Diejenigen, die zwar pauschal zu Klassikern erklärt worden sind, aber eigentlich in der literarischen Tradition am Rande stehen. Wir verlegen die, für die kein Platz war.

Mag sein, dass über Generationen hinweg in der germanistischen Tradition Goethe hochgehalten wurde. Aber rennt man mit Ihrem Ansatz nicht mittlerweile offene Türen ein?

Das hätte ich selbst auch fast gedacht. Nach den Scharmützeln mit der Hölderlin-Gesellschaft in den 70er-Jahren, dem Gefecht mit der Kleist-Gesellschaft in den 90er-Jahren dachten wir fast schon, unser Ansatz, Autorenhandschriften im Faksimile zu drucken, mit typographischer Umschrift als Lesehilfe, sei durchgesetzt. Aber wie Gustav Seibt neulich in der Zeit um sich geschlagen hat, zeigt, dass die Frage nach authentischer Überlieferung ihre Schärfe nicht verloren hat.

Um sich geschlagen?

Ja, um sich geschlagen. Seibt behauptet allen Ernstes, früher hätten Editoren sich um den Text der Dichter bemüht, während wir ihn angeblich zerstören. Da wird einfach unterschlagen, wie zensiert wurde, wie „schöne“ Fragmente ausgewählt, wie gesellschaftliche Zusammenhänge ausgeblendet wurden. Dass unsere Editionen den Lesern die Werkstatt der Autoren zugänglich und dadurch die Arbeit der Editoren in jedem Schritt überprüfbar machen, ist nicht gleichgültig. Das erst ist radikaldemokratische Grundlagenforschung in der Germanistik!

Noch ein Propagandasatz.

Nein. Das ist ernst. Und: Im Hölderlin-Archiv in Stuttgart liegen die meisten erhaltenen Handschriften Friedrich Hölderlins. Sie fangen an zu bröckeln. Aber außer uns interessiert sich fast niemand dafür, sie so gut zu fotografieren, dass wenigstens ihr Schriftbild erhalten bleibt. Zweites Beispiel: Im vergangenen Jahr haben Roland Reuß und Peter Staengle bei uns William Faulkners Text „Mississippi“ herausgegeben. Als Buch und mit dem Typoskript war er noch nie auf Deutsch erschienen, außer uns wollte das auch niemand tun. Als es um die Rechte ging, hatten wir keine Konkurrenz. Ein bedeutender Autor wie Faulkner spielt keine Rolle mehr, wer liest ihn denn noch, nach Heiner Müller?

Sie retten Handschriften. Ihr verlegerisches Tun hat eine bewahrende Seite. Darf man Sie als im besten Sinn konservativ bezeichnen?

Wenn es konservativ genannt werden kann, wie wir die abenteuerlich-ausufernden Schreib- und Denkweisen von Klaus Theweleit publizieren, wenn man sieht, wie ein Peter Kurzeck quer zum Literaturbetrieb seinen Stil in unserem Verlag entfalten konnte – dann ja! Dass wir literarische Hinterlassenschaften retten, dazu stehe ich. Das ist wichtiger, als alte Schlösser zu rekonstruieren. Wir haben das immer wieder begründet und auch Geld dafür gesammelt.

Warum?

Allein schon durch die Art, wie sie gemacht sind, haben unsere Editionen tatsächlich etwas Bewahrendes. Nur: Die Texte haben immer noch eine große Schärfe. Es kann vorkommen, dass wir etwa ein Stück Handschrift von Franz Kafka noch einmal lesen, und es lässt uns nicht in Ruhe, verändert uns. Das kann mit der Fräuleinwunderliteratur, die mein Freund Volker Hage in den letzten Jahren propagiert hat, gar nicht verglichen werden. Kafka ist moderner, lebendiger und stellt uns mehr Fragen. Erstaunlich ist doch, wie sehr Literatur, die achtzig, neunzig Jahre alt ist, noch so in uns reingreifen kann. Für Texte von Hölderlin oder Kleist, die noch viel älter sind, gilt das Gleiche.

Was halten Sie von Menschen, die das nicht sehen? Die das als alten Kram bezeichnen?

Ich spreche jedes Jahr ein paarmal mit jungen Buchhändler-Lehrlingen in der Buchhändler-Schule. Da mache ich die Erfahrung, dass jüngere Leser ganz erstaunt sind, wenn sie zum ersten Mal zum Beispiel etwas von Hölderlin in der Hand halten. Und plötzlich schreibt uns begeistert ein Leser der Jungle World, der in unserem „Terz“-Band überrascht Hyperions „Scheltrede“ von Hölderlin entdeckt hat.

Bei aktueller Literatur glauben Sie nicht an eine vergleichbare Kraft?

Grundsätzlich will ich das nicht behaupten. Aber es gibt doch auch viel Ramsch.

Den gab es damals auch.

Aber der Markt ist inzwischen in das Innere der Literatur vorgedrungen. Hier hat Folgen, was über Jahre in den Feuilletons, allen voran von Reich-Ranicki, propagiert wurde. Erzählt wie die Amerikaner, wurde gesagt, dann wird alles gut! Als ob Faulkner oder Harold Brodkey keine Amerikaner gewesen wären!

Auffällig sind Parallelen zwischen Ihnen und Peter Stein. Die Goethe-Begeisterung des ehemaligen Schaubühnen-Leiters teilen Sie zwar nicht, aber auch an der Schaubühne ging man von einer politischen Haltung aus und landete bei einer Versenkung in alte Texte.

Die Berliner Schaubühne reagierte in den Siebzigerjahren als Erste auf unsere Hölderlin-Edition. Das war für uns überraschend. Wir hatten 1974 damit angefangen, und auf einmal benutzte das jemand.

Stein wird Musealisierung der Klassiker vorgeworfen.

Ich vermag nicht zu beurteilen, wie es bei Peter Stein ist. In meiner Biografie gab es lebensgeschichtlich den entscheidenden Punkt, an dem ich aufgehört habe, Leuten sagen zu wollen, wo es langgeht. Das war ungefähr die Zeit, als wir 1974 D. E. Sattler trafen und uns verpflichteten, die Frankfurter Hölderlin-Ausgabe mit ihm herauszubringen. Wenn wir gewusst hätten, dass das dreißig Jahre dauern würde, hätten wir es trotzdem gemacht? Es war ein phantastisches Gefühl. Wir wussten, das ist richtiger als fast alles, was wir bis dahin gemacht hatten. Und wir hatten ja schon Verschiedenes gemacht. Ich glaube auch, dass in den alten Texten Potenziale stecken, die tatsächlich uns befragen. Es ist nicht so, dass wir einfach nur die Texte befragen können, sondern wir werden auch von ihnen befragt. Man merkt doch zum Beispiel bei Kleist sehr oft: Er reicht bis zu uns, und wir müssen uns dem Text überhaupt erst einmal stellen.

Wo genau liegt für Sie der Gewinn, wenn man neue Details an den alten Texten erkennt? Ist das eine ästhetische Freude?

Das ist es bestimmt auch. Aber es berührt auch die Probleme, wie man sich in der Welt fühlt und wie man die Beschreibung der Welt für möglich hält. Das sind die Fragen, wie überhaupt gelebt werden kann. Sonst wird man doch nur gelebt.

Die Texte bieten Anschauungsmaterial, das zum Verständnis der Welt beiträgt?

Was heißt nur von der Welt? Sie tragen auch zum Verständnis von einem selbst bei, etwa darüber, wie die eigenen Verstehensprozesse funktionieren.

Wer würde für Sie zu einem Kanon dazugehören?

Ich finde, man kann Leseerfahrungen nicht präjudizieren. Meistens entdeckt man Literatur sowieso in Krisen. Mir ist das immer so gegangen. Etwa, als ich nach dem ganzen Terroristenspuk 1978 eine schwere Gelbsucht hatte, habe ich angefangen, Manès Sperber zu lesen, „Wie eine Träne im Ozean“. Während ich das Buch las und in mich aufnahm, bin ich allmählich gesund geworden. Man findet das dann schon. Oder man kann es auch umdrehen: Es findet einen dann schon.

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