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Songs von der Landstraße

Trotz Umwegen immer geradeaus: Das Hamburger Tummetott Label präsentiert im „Maria“ eine „Indiepunk-Compilation“

In der Öffentlichkeit betrunken zu sein ist so eine Sache. Kommt auf den Abend drauf an. Heute in der Maria am Ostbahnhof wird es auf jeden Fall gehen, denn da sind die Wirtinnen genauso betrunken wie man selbst. Und dann wird auch noch die – Zitat – „kleine Indiepunk-Compilation“ des Hamburger Tummetott Labels präsentiert. Sie heißt: „Das sagst du so in deinem jugendlichen Leichtsinn“.

Natürlich stellt sich gleich die Frage, was Indierock heute denn eigentlich noch soll. Punk als Gegenbewegung ist tot, und das seit mittlerweile zwanzig Jahren. Aber die Grundannahmen des und die Auseinandersetzungen im Punk sind heute genauso gültig, wie sie es damals waren. Ohne die Haltung des „anything goes“ oder „Man muss sein Instrument nicht beherrschen, um sich auf die Bühne stellen zu können“ wäre selbst House nicht möglich gewesen. Die ganze heutige Clubkultur würde nicht existieren. Und Berlin müsste ohne die Pop Tarts auskommen.

All die Diskussionen um Themen wie Selbstbestimmung des Künstlers, musikalischer Ausverkauf, Sprengung von Verkaufsmechanismen und die Auseinandersetzung mit eigenen Idolen wurden im Punk dem Käufer gegenüber offen ausgefochten. Und so wurde Indierock erst möglich. Mit ihm entstand eine völlig neue Plattenfirmenlandschaft. Und die Möglichkeit, Ton- und Printmedien auch für eine kleine Käuferzahl möglichst einfach zugänglich zu machen. Langfristig allerdings veränderte das eher die Firmenpolitik der großen Labels. Und Indierock interessiert heute eigentlich niemanden mehr.

Viele Bands der späten Achtzigerjahre sind dann völlig neue Wege gegangen. Die meisten bogen ab auf die Datenautobahn, um dann später die Gitarre doch wieder auszupacken. Andere entschieden sich für die Schnellstraße des Pop. Die Bands auf der Tummetott-Compilation indessen sind die Landstraße unverdrossen weitergefahren. Ein paar von ihnen haben sie allerdings links und rechts begrünt, sind in der Gegend herumgefahren und haben sich ein wenig umgeschaut.

Ostinato zum Beispiel sucht Kreidler, findet Sand 11 auf der Straße und landet am Ende in einem Szenecafé. Superstolk prügelt sich so lange mit Zigaretterauchen, bis die Stimme hochpitcht. Die Bum Khun Cha Youth kauft wie immer ihr Dosenbier an der Tanke und landet konsequent auf dem Acker.

Die beiden Bands, die heute die Compilation präsentieren, sind auch diverse Umwege gefahren. Tomte klingelte beim Vater Postrock, um dort mit Tocotronic-Arrangements bewirtet zu werden. Mutter Punkrock wurde von Sänger und Gitarrist Thees Uhlmann mit dem Satz glücklich gemacht, dass die Band, in der er jetzt spielt, zu den acht besten in ganz Deutschland gehören würde. Nachdem dieser Tee getrunken war, verschwanden sie in Richtung Rockschuppen.

Parole Trixi wiederum wählten noch einen anderen Weg: Sie unterhielten sich erst einmal eine Weile mit dem Feminismus. Und zwar über alles – Gesellschaft, Zeitungen, Platten und Ausgehen. Gevatter Punkrock gesellte sich dazu, und mit ihm wurde heftig geflirtet. Später trennte man sich jedoch mit den Worten, immer nur zu schreien sei auch nur dasselbe wie immer den Mund zu halten. Eine Trennung im Guten, denn die beiden verstehen sich immer noch prächtig. Es wurde dem Pop Hallo gesagt, und er kam mit. Jede Menge Verzweiflung beschleunigte den Schritt, und so landeten sie natürlich in der Bar.

Laut Info geht es Parole Trixi darum, dass weibliche Subjektivität auch nicht subjektiver ist als männliche Subjektivität. Und Sängerin Sandra Grether ist dermaßen subjektiv, dass es kracht. Und das will was heißen. Ihr Motto lautet: „Wo wir sind, ist die Party!“ Na, denn man los. Christoph Leich

Christoph Leich ist Schlagzeuger bei der Hamburger Band Die Sterne

Maria am Ostbahnhof, Straße der Pariser Commune 8 – 10, Friedrichshain

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